10.12.2018

Gewalt: Die Tragweite begreifen

 

Heute ist Internationaler Tag der Menschenrechte. In Marokko läuft der Annahmeprozess des Migrationspaktes, der interpretationsoffen und gänzlich ohne Rücksicht auf das individuelle Verhaltensrepertoire „staatliche Maßnahmen im Zusammenhang mit diskriminierenden Handlungen und Bekundungen, die sich gegen Migranten und ihre Familien richten“ fordert. Längst nicht zuletzt wegen der „skandalösen Einseitigkeit“, wie es der Philosoph Reinhard Merkel meint, spreche ich hingegen die erodierte Menschenrechtslage im Zielland Deutschland in punkto Sicherheit an, wo entrückte Figuren in Medien und Politik sämtliche Ressourcen inklusive ihres Empörungspotenzials in den bewusst nie klar definierten „Kampf gegen Rechts“ investieren, während sich bundesweit inzwischen teils mehrmals täglich einheimische Bürger mit fürchterlichen Gewaltattacken konfrontiert sehen (Belege siehe unten). Das Damoklesschwert der sozialen Ausgrenzung schwingt mit: Wehe, wenn du darüber sprichst. Wolf Reiser drückte es in einem weitsichtigen Beitrag über „die hypersexualisierte Moderne“ so aus: „Wer es allerdings wagt, die Einzelfälle durch traumatisierte Spitzbuben als mörderische Handlungen zu bezeichnen, lernt rasch die gnadenlose Gehässigkeit des Juste Milieus kennen: Nazi, Rassist, Hetzer … Wenn ein Eisen zu heiß ist, wartet man lieber, bis sich andere daran die Finger verbrennen und flüchtet sich fürs erste in jenes lauwarme Seichtsprech, das die paralysierte Republik 2018 auf allen Ebenen auszeichnet. Alles sind Einzel-fälle, verstörend zwar, aber irgendwie normal auch … als Fußnotenfluch der offenen Wertegesell-schaft eben.“ Sein Hinweis zur hiesigen, ins immer noch Perversere abgleitende Pornoindustrie verdiente nebenbei unbedingt intensivere Beachtung: „Warum die sexuellen Gewaltauswüchse des Migrantenmilieus speziell und nur in Deutschland unter dem Schutzschirm eines generellen Tabus gehalten werden, würde ein ganz anderes Fass öffnen.“ Stichwort: Bindeglied(er). 

 

Jeder Redakteur, der nach Mord oder Vergewaltigung seitens Zugewanderten seine Schimpftirade gegen „rechte Hetzer“ loslässt, denen man nicht das Feld überlassen dürfe, hat eine Entscheidung getroffen: Das Thema „gegen Rechts“ ist ihm wichtiger als die weitestgehend mögliche Prävention von Mord und Vergewaltigung – was Benennung von Fakten voraussetzt. Allein schon die Höhergewichtung rechter Parolen, wo es denn überhaupt welche sind, vor dem Recht auf unversehrtes Leben und Schutz vor Gewalt hebelt jede menschenrechtliche Erklärung aus den Angeln. Bezeichnenderweise geraten Gutachter, die letztlich zu einer Strafminderung für ausländische Täter beitragen, niemals in den Fokus der radikalisierten Tugendwächter. Im Fall des brutalen Missbrauchs einer 16-Jährigen durch zwei afghanische Asylbewerber hieß es ungestört: „Der Facharzt für Rechtsmedizin führt jedoch nicht nur dessen Rausch an. Man müsse ‚auch berücksichtigen, dass er aus einem anderen Kulturkreis kommt‘ … Die Gewichtung sei ‚eine komplett andere, wenn man in diesem Kulturkreis und nicht in einem westlichen aufwächst‘. Über Afghanistan sagt der Mediziner: ‚Da zählt eine Frau nichts, und der Mann geht über alles‘.“ Kein Geschrei von „rassistischer Vereinnahmung“ in diesem Fall, nirgends. 

 

Dass Steinmeier die konstruierte Verzahnung von Rechtsextremismus mit empörten Bürgern, die völlig zu Recht die neue Gefahrenlage anprangern, indirekt pusht, mag man als Signal demokrati-scher Verachtung deuten: „Nach eineinhalb Jahren an der Spitze des Landes hat der Präsident sein Thema gefunden. Es ist der Kampf gegen Rechts“; so zumindest die Neue Presse. Was wohl bewirkt ein Bundespräsident, der, so könnte man wegen der regelmäßig medialen Subsumierung der breiten politischen Mitte unter das stets unseriös gesetzte Label „Rechts“ durchaus annehmen, „unter evidenter Vernachlässigung der Integrationsfunktion“ willkürlich Partei ergreift? Die politmediale Aufstellung jedenfalls bewirkt eine Zweigleisigkeit im Ablauf des gesellschaftlichen Alltags: Hier das veröffentlichte Leben mit nahezu stündlichen Warnungen vor dem allgegenwärtigen „rechtspopulistischen“ Feind, und dort das beschwiegene, täglich neue Opfer gerierende Szenario von Gewaltattacken inklusive barbarischen „Kopftretens“. Alleine so was aus der Entfernung sehen zu müssen hätte schon traumatische Folgen für sensiblere Gemüter aus der behüteten Wohlfühlzeit. Deren Abwehr, die neue Faktenlage wahrzunehmen, ist zumindest nachvollziehbar.  

 

Die Alltagsgewalt wird nicht einfach aufhören. Möglicherweise kommt es deshalb zu Unruhen. Wie es sich abzeichnet, wird die Deutungselite dann die Ursache für diese Unruhen den tatsächlichen und, damit es mehr werden, erfundenen „Rechtspopulisten“ in die Schuhe schieben. Das wiederum wird zu berechtigten Abwehrmechanismen führen, während der Hass auf die deutsche Wertegesell-schaft derjenigen Zuwanderer, die niemals eine Integrationsabsicht hatten, durch die Laissez-faire-Haltung von Verantwortungsträgern geschürt wird und zu weiteren Straftaten animiert. Sogar das ist – wenn auch unter empathischem Schmerz – zumindest nachvollziehbar. Es wird wohl für manch einen derjenigen Zuwanderer, die hier ihre Gewalttriebe ausleben, ein Faszinosum sein: Nach Straftaten, für die sie im Heimatland oftmals hart bestraft würden, finden sie im gelobten Deutsch-land oft vor Milde triefende Richter und ein ganzes Arsenal an Lobbygruppen vor, die sie betüdeln. Wo gibt es solch eine schmierige Moralumkehr sonst in der Welt? Außerhalb von Europa eher nicht: Nach dem Anschlag in Berlin demonstrierten in Tunis auf einen Aufruf von NGOs hin (!) Hunderte Personen gegen die Rückkehr von Terroristen wie Anis Amri ins Land, teilte die NZZ 2016 mit. Plakate der Demonstranten trugen die Aufschrift: „Verschließt dem Terrorismus die Türen“ und „Keine Toleranz, keine Rückkehr“. Toleranzbesoffene einflussreiche Wohlfahrts-organisationen wie Caritas und Diakonie hingegen machen sich stark für einen Verbleib von (Kindes-)Vergewaltigern, damit den Tätern auch ja kein Härchen im Heimatland gekrümmt wird. Das ist unverzeihlich. 

 

Eine Umkehr vom falschen Weg hätte die beste Chance, wenn sich die Redakteure im publikumsintensiven Fernsehen und Rundfunk endlich von unglückseligen Verbandelungen mit eigenen Fehlschlüssen sowie mit verantwortungslosen Personen und Interessengruppen lösen und sich auf ihren journalistischen Auftrag besinnen würden. Da es allerdings zum „Drama unseres derzeitigen Tugendregimes“ gehört, „sich in nahezu allen essentiellen Fragen der Gegenwart ohne Standpunkt, ohne Autorität und ohne Wesenskraft durch die Realität zu mogeln“ (Reiser), sollten vorerst insbesondere noch mehr Leute mit Renommee und/oder Praxiserfahrung die Entscheidung treffen sachbezogen, ohne Ablenkung auf das Thema „Rechts“, zu sprechen und sich dafür gegebenenfalls alternativer Medien zu bedienen. Die Überwindung der Sprachlosigkeit entspräche der Zielsetzung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die heute vor 70 Jahren verabschiedet wurde: Da die „Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei geführt haben, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen“ und „damit der Mensch nicht gezwungen wird, als letztes Mittel zum Aufstand gegen Tyrannei und Unterdrückung zu greifen…“

 

Ob es hierfür bereits zu spät ist – „nun sind sie halt da“ und werden trotz Urteil ohne Pass nicht abgeschoben, wegen Überlastung aus der Haft entlassen oder tauchen nach dem Urteilsspruch unter – kann an dieser Stelle nicht beurteilt werden. Ich persönlich habe keinen Bedarf an aufständischen Unruhen, die dann tatsächlich Extremisten aller Couleur anzögen. Alternativ wären zum Zweck der Schadensbegrenzung neben Grenzkontrollen und Überwindung des Sprechtabus effektive (!) Möglichkeiten auszuloten und zeitnah umzusetzen für den Umgang mit Delinquenten aus gewalt-affinen Kulturen, die unser Rehabilitierungssystem nicht erreicht. Die Hauptaufgabe der staatlichen Regierung, nämlich für weitestmögliche innere Sicherheit zu sorgen, ist vehement einzufordern und jede beschönigende Verharmlosung der Lage ausdrucksstark zurückzuweisen. Ferner ist zu ver-mitteln, dass Jugendliche, Frauen und Mädchen Gefahrenlagen ernst nehmen und achtsam vorsorgen; sich auch nicht von der Parole „Rechtspopulisten schüren nur Ängste“ davon abhalten lassen. 

 

Wie gravierend und langwierig die Folgen für Opfer von Übergriffen sein können, ist im Fall der schrecklichen Siegaue-Vergewaltigung zu beobachten. Das junge Pärchen ist heute noch schwer belastet, während der aggressive Täter seine, im zweiten Prozess verhandelte niedrigere Strafe nicht akzeptiert und wieder Revision gegen das Urteil eingelegt hat. Der deutsche Rechtsstaat hält Straftätern wahrlich etliche Wege offen. Indessen geht man über die Tragweite einfach hinweg, die mit reihenweise traumatisierten Opfern einhergeht. Über das persönliche Schicksal hinaus wäre hier auch über langzeitliche Beanspruchung therapeutischer Hilfen sowie über verloren gegangene Ressourcen für die Gesellschaft, Stichworte etwa Fachkräfte und Arbeitsausfälle, zu sprechen. Pauschale Stigmatisierung der Betroffenen auf eine lebenslange Opferrolle ist gleichsam zu umgehen. Etliche Betroffene sind in der Lage, eine erstaunliche Resilienz zu mobilisieren. Das wird allerdings umso schwerer, je mehr Täter sich hier ausleben können, die eine in unserem heutigen Kulturkreis nur schwer bis gar nicht verdauliche Gewaltfähigkeit mitbringen. Mir persönlich wäre angesichts des hiesigen politischen Personals wohler, wenn für die anstehenden vordringlichen Aufgaben Unterstützung aus dem Ausland angefordert würde.

 

Falls einmal der Zeitpunkt kommen sollte, an dem über entsprechende Taten gar nicht mehr berichtet wird – Merkel, Maas, Barley & Co. werden nicht müde fast nie bewiesene „Fake News“ anzuprangern –, dann wird die Sachlage in der Bevölkerung aufgrund der Häufigkeit der Gewalttaten trotzdem kommuniziert. Nahezu jedes Opfer hat Verwandte und Bekannte, die davon erfahren. Man müsste schon schwere Geschütze auffahren, das Thema langfristig zu tabuisieren. Wie auch immer: Die Wut der Bevölkerung über die Preisgabe erkämpfter zivilisierter Standards wird voraussichtlich die meisten Verantwortungsträger noch bei Lebzeiten einholen. Bis dahin könnten aufgrund erbrachter respektive gruppentechnisch erzwungener Adaptionsleistungen unglückseligerweise die Hemmschwellen allgemein soweit herabgesetzt sein, dass sich zunehmend auch einheimische Leute gewalttätiger Methoden beschriebenen Genres bedienen. Orientierungspunkt muss stets der Stand vor September 2015 sein. Ich werde hier nun einige unverlinkte Quellen listen. Es handelt sich um eine kleine Auswahl von Übergriffen der letzten Wochen. Auf meinem personalisierten Nachrichtentool bekomme ich mittlerweile täglich bis zu vier neue entsprechende Meldungen angezeigt. Man käme nicht hinterher, würde man alles nachverfolgen wollen: 

 

https://polizei.news/2018/12/06/zwei-12-jaehrige-in-einkaufspassage-sexuell-misshandelt-algerier-21-ermittelt/ 

 

https://www.merkur.de/bayern/egg-bayern-mann-soll-mehrere-frauen-vergewaltigt-haben-neue-details-bekannt-10819511.html   

 

https://www.rheinpfalz.de/nachrichten/rheinland-pfalz/artikel/maedchen-aus-unkel-beigesetzt-see-wird-moeglicherweise-abgepumpt/  

 

https://www.nwzonline.de/blaulicht/goettingen-vier-tatverdaechtige_a_50,3,1662448934.html  

 

https://www.bild.de/regional/sachsen-anhalt/sachsen-anhalt-news/frau-wehrt-sich-mit-faustschlag-gegen-messer-mann-in-halle-58763460.bild.html  

 

 https://www.lokalo24.de/lokales/werra-meissner-kreis/markt-spiegel/hackbeil-weihnachtsmarkt-38-jaehriger-kommt-u-haft-10792836.html  

 

https://www.cnv-medien.de/news/cuxhaven-vier-maenner-treten-auf-18-jaehrigen-ein.html  

 

https://www.tz.de/muenchen/region/hoehenkirchen-muenchen-maedchen-vergewaltigt-angeklagte-schlafen-im-prozess-ein-10340990.html  

 

https://www.bild.de/regional/hamburg/hamburg-aktuell/pruegel-attacke-am-michel-wichtige-zeugin-hat-sich-gemeldet-58795458.bild.html  

 

https://www.owl24.de/owl/paderborn-ort29245/delbrueck-haftbefehl-erlassen-nach-toedlichen-stichen-war-es-notwehr-10773989.html  

 

https://www.derwesten.de/panorama/wittenburg-asylbewerber-toetet-rentner-id215824047.html  

 

https://www.bild.de/news/inland/news-inland/breckerfeld-nrw-verbrecher-schlaegt-polizistin-mit-hantel-den-kopf-ein-58487520.bild.html 

 

https://www.derwesten.de/panorama/tiere-und-frauen-misshandelt-dna-fuehrt-zu-verdaechtigem-id215685045.html 

 

https://www.bild.de/regional/nuernberg/nuernberg-news/fuerther-vergewaltiger-37-darum-wurde-er-nicht-abgeschoben-58416950.bild.html  

 

https://www.koeln.de/koeln/nachrichten/polizeimeldungen/unbekannte_stechen_mehrfach_auf_einen_mann_ein__zeugensuche_1106342.html  

 

https://www.bild.de/regional/dresden/dresden-aktuell/sexuelle-noetigung-zwei-maenner-bedraengen-maedchen-17-58519020.bild.html  

 

https://www.bild.de/regional/chemnitz/chemnitz-news/taeter-aus-freibad-vergewaltiger-sollte-seit-2004-abgeschoben-werden-58602108.bild.html  

 

https://www.derwesten.de/region/recklinghausen-linienbus-angriff-id215828815.html  

 

 https://www.schwaebische.de/landkreis/landkreis-sigmaringen/sigmaringen_artikel,-unbekannter-schl%C3%A4gt-einen-mann-bewusstlos-_arid,10966372.html  

 

https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/116094/4123363  

 

https://www.welt.de/print/welt_kompakt/hamburg/article184292574/Nachrichten-Hamburg-Kompakt.html 

 

https://www.soester-anzeiger.de/lokales/werl/sexuelle-belaestigung-eurobahn-syrer-werl-soll-frau-angefasst-haben-10791526.html  

 

https://www.bz-berlin.de/berlin/neukoelln/mann-wollte-zu-edeka-und-schnappt-sexgangster 

 

https://www.br.de/nachrichten/bayern/nach-missbrauch-augsburg-will-schulen-umzaeunen,RAlx4Q8 

 

https://www.waz.de/staedte/essen/frau-im-hauptbahnhof-essen-geschlagen-und-zu-boden-gerissen-id215927627.html  

 

https://www.bild.de/regional/frankfurt/frankfurt-aktuell/auf-kinderfreizeit-in-alzey-mann-19-belaestigt-13-jaehrige-im-schlafsaal-58353918.bild.html  

 

https://www.bz-berlin.de/tatort/menschen-vor-gericht/vater-75-wollte-tochter-47-erstechen-weil-sie-mit-maennern-redete  

 

https://www.infranken.de/ueberregional/blaulicht/niederbayern-unbekannter-missbraucht-schaf-so-brutal-dass-es-notgeschlachtet-werden-muss;art74350,3819034  

 

https://www.bild.de/regional/muenchen/stuttgart-aktuell/ueberfall-in-muenchen-pasing-mann-greift-frau-19-in-manzinger-park-an-58240160.bild.html  

 

https://www.bild.de/regional/frankfurt/frankfurt-aktuell/17-jaehriger-festgenommen-schon-wieder-sexueller-uebergriff-im-miramar-57721056.bild.html  

 

https://www.mmnews.de/vermischtes/95407-gelsenkirchen-1-toter-nach-messerattacke  

 

https://www.bz-berlin.de/berlin/mehrere-menschen-an-tramstationen-attackiert-mann-26-schwer-verletzt  

 

Nachtrag: Der umstrittene UN-Migrationspakt ist offiziell verabschiedet. 


29.6.2018

Und das internationale Völkerrecht?

 

Die Bundeskanzlerin mag die komplexe Rechtslage so oft zu ihren Gunsten auslegen wie sie will: es wird sich nirgendwo eine implizite Aufforderung finden lassen im Zuge humanitärer Hilfe Stabilität und Sicherheit im eigenen Land aufs Spiel zu setzen; was letztendlich nur zu Verlusten und weiterhin dazu führt, dass überhaupt niemandem mehr geholfen werden kann. Wer sich als Regierungsverantwortliche in die Untiefen der Juristerei begibt und der Bevölkerung vermittelt an den Grenzen gelte „europäisches vor deutschem Recht“ agiert außerdem dann unseriös, wenn das internationale Völkerrecht bei der Kontrastierung ausgeklammert wird. Die Aufnahme von Artikel 14 „Recht auf Asyl“ in die Erklärung der Menschenrechte (AEMR) war ein umkämpfter Vorgang. Wie ähnlich die Argumente schon 1948 im Vergleich zur aktuellen Debatte gewesen sind, lässt sich bei der Bundeszentrale für politische Bildung nachvollziehen. Letztlich stieß die Forderung nach Freizügigkeit ohne jede Einschränkungen auf breite Ablehnung. „Im Zuge des Entstehungsprozesses der AEMR ging es wiederholt um Assimilationspflicht von Einwanderern … Schließlich führten die Mehrheitsverhältnisse dazu, dass vom ursprünglichen Entwurf, in dem noch von einer Garantie die Rede gewesen war, das deutlich abgeschwächte Recht übrig blieb, ‚in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen‘ … Damit trat an die Stelle des vormals angedachten, umfassenden Rechtsanspruchs für Asylsuchende ein genereller staatlicher Vorbehalt: Der Flüchtling konnte das Asyl ‚suchen‘, den potentiellen Aufnahmestaat also darum bitten - Anspruch auf Gewährung hatte er aber nicht.“ Verfolgten als anerkannte Flüchtlinge wurden weitergehende Rechte zugesprochen. „Allerdings waren nach Art. 14 unter anderem diejenigen Menschen vom Flüchtlings-status auszunehmen, die ‚auf Grund von Verbrechen nichtpolitischer Art‘ Asyl beantragten.“

 

In etlichen Staaten des euroatlantischen Raums habe Einwanderung seit dem Ersten Weltkrieg „per se als problematische Herausforderung“ gegolten; auch in kultureller und politischer Hinsicht. „Generell spiegelte sich in der vorgenannten Mehrheitshaltung die äußerst restriktive Einwanderungspolitik der meisten Länder wider. Die Restriktionen gegenüber Migranten bzw. Nicht-Staatsangehörigen zeigen, dass sich die Mehrheit der damaligen Delegierten nicht bereit fand, die praktischen Folgen der millionenfach erfahrbar gewordenen (Zwangs-)Migration auf eine menschenrechtliche Basis zu stellen, die einzelstaatlicher Kontrolle entzogen war. Vielmehr deuten Inhalt und Entstehungskontext der AEMR darauf hin, dass vorrangig Staatsangehörige eines Landes im Fokus des beabsichtigten Menschenrechtsschutzes standen und damit zugleich Ursachen von Migration bekämpft werden sollten. Bereits die UN-Charta von 1945 hatte insofern in diese Richtung gezielt, als sie … die Souveränität der einzelnen Staaten betont hatte.“ Wie übrigens die souveräne Gleichheit der Staaten als Grundprinzip des Völkerrechts im Zuge der internationalen Organisation zunehmend angefochten wurde und wird, steht an dieser Stelle: „In seiner langen Geschichte hat sich der Souveränitätsbegriff in überraschender Weise als wandlungsfähig erwiesen. Er hat viele verfrühte Grabreden, die auf ihn gehalten wurden, ebenso überdauert wie Vorwürfe besonders im 20. Jahrhundert, er stehe jener gesteigerten Form internationaler Zusammenarbeit im Wege, die für das Überleben der Menschheit notwendig sei.“ Dass letztere Bestrebung gar nicht unbedingt mit einem politisch modernen Verständnis korreliert, wie es der Bevölkerung derzeit weisgemacht werden soll, geht aus diesem Zitat hervor: „Vieles spricht dafür, dass erst sein Verschwinden an einem noch unbekannten Zeitpunkt der Zukunft das wirkliche Ende des modernen Staates markieren wird.“

 

In einem neueren Beitrag nimmt Georg Lohmann ideologische Vereinnahmung der Menschenrechte unter die Lupe. Diese seien nicht in dem Sinne gemeint, dass „der Einzelne schlicht auf Kosten aller anderen seine Rechte geltend macht“. Sie implizierten nicht eine umfassende Theorie des Guten, seien im Prinzip einschränkbar. Gegen Einwände argumentiert er: „Das scheint insbesondere dem geläufigen Verständnis der Unbedingheit und Absolutheit der Menschenrechte zu widersprechen, die häufig als ‚Trümpfe‘ verstanden werden, die alle anderen normativen Erwägungen überbieten. Das scheint mir aber ein Missverständnis des kategorischen Anspruchs der Menschenrechte zu sein. Er bezieht sich auf den unbedingten Anspruch eines jeden Menschen, Träger von Menschenrechten zu sein, nicht auf seinen Anspruch, seine Rechte auch ohne jede Einschränkung durchzusetzen.“ Ernüchterung im Verständnis der Menschenrechte breche mit dem absoluten Verständnis ihres Geltungsanspruchs; vor allem, wenn es als moralisch absolutes Konzept verstanden wird. Im Dienst hehrer Absichten stünden auch Ausweitungen der Menschenrechte, „die entweder harmlos oder aber im Gegenteil unzulässig und irreführend sind oder sein können, häufig aber problematisch sind, d.h. in ihnen vermischen sich gute Absichten mit schlechten oder bedenklichen Folgen“. Man über-schätze, „was vernünftigerweise Menschenrechten abverlangt oder mit ihnen geleistet werden kann“.


21.6.2018

USA hat genug vom Menschenrechtsrat

 

Der UN-Menschenrechtsrat ist schon mehr als eine „Schwatzbude“, wie nach dem angekündigten Austritt der USA aus selbigem mancherorts zu lesen ist. Begründungen für den Austritt, etwa von UN-Botschafterin Nikki Haley: übersetzt bei Achgut. Der Menschenrechtsrat als Nebenorgan der Generalversammlung löste 2006 die Menschenrechtskommission ab. 47 Mitgliedstaaten sind darin vertreten. Israel, die Marshallinseln, Palau und die USA stimmten damals gegen die Einführung des Rates. Grund: Die ausgehandelten, wenn auch verschärften Kriterien zur Aufnahme von Staaten seien nicht hinreichend. Mehr dazu bietet dieser Bericht. Erklärtes Ziel des Menschenrechtsrates: Mitgliedstaaten dabei unterstützen, Menschenrechte einzuhalten und weiterzuentwickeln. Prinzipien: Unparteilichkeit und Objektivität. Es wäre nachlässig gewesen, es nicht nochmal zu versuchen, auch mit schwierigen Ländern am Verhandlungstisch zu bleiben und Einstellungsveränderungen bei Staaten, in denen Menschenrechte allenfalls mit Füßen getreten werden, anzustreben. Die selbsterklärten Ziele konnten aber bis jetzt nicht durchgesetzt werden. Warum? „Die Dritte Welt hat in dem Rat eine automatische Mehrheit“, schrieb dazu 2009 die Frankfurter Rundschau: „Der Solidarität zwischen den meisten afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Ländern im Rahmen der Bewegung blockfreier Staaten oder der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) hat der Westen zahlenmäßig nichts entgegenzusetzen. Die Politik Israels in den besetzten Palästinensergebieten wird daher von diesem Gremium laufend verurteilt, während Verletzungen der Menschenrechte in anderen Regionen oft ignoriert werden.“ Neben all der vernichtenden Kritik am Schritt der USA sei erinnert an die Einschätzung des früheren Menschenrechtsbeauftragten Günter Nooke. Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler und heutige „Persönliche Afrikabeauftragte der Bundes-kanzlerin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ meinte im Zuge der Konstituierung des Menschenrechtsrates: „… dieser Spatz in der Hand vielleicht schon halb tot ist, weil der prozentuale Anteil menschenrechtsfreundlicher Staaten noch weiter abgenommen hat“. Man müsse aber das Beste daraus machen. Darüber kann man streiten.

 

Nachtrag vom 29.6.: Verpasste Chance: Die Schweiz und der UN-Menschenrechtsrat


9.4.2018

Zum Verhältnis von Freiheit und Verantwortung

 

Die Initiative „Menschenpflichten“ ist gemeinhin wenig bekannt, aber immer noch virulent: Anlässlich des 20. Jahrestags 2017 erschien „Die Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten des InterAction Council“ in 40 Sprachen. Verstanden in Ergänzung der Erklärung der Menschenrechte und als Orientierung für verantwortungsbewusste Wahrnehmung von Rechten und Pflichten legte der InterAction Council 1997 die 19 Artikel der Weltöffentlichkeit vor. Debatten dazu gab es damals einige, mitunter auch scharf geführte. So titelte die Politikwissenschaftlerin Constanze Stelzenmüller in einer Replik auf das Plädoyer von Helmut Schmidt, einer der Erstunterzeichner der Menschen-pflichtserklärung: „Die gefährlichen achtzehn Gebote.“ Der Pflichtenkodex „könnte zum Einfallstor für alle autoritären Regime werden, die Menschenrechte relativieren, die Gemeinschaftsmoral zur Norm erheben und den Bürger bis in die privateste Ecke seines Lebens in die Pflicht nehmen wollen“. Schmidt habe „einen dramatischen Bogen“ gespannt „vom ‚Gerangel der Interessenhaufen‘ in Deutschland über die Globalisierung bis hin zum ‚clash of civilizations … à la Samuel Huntington‘.“ Stelzenmüller bezog sich auch auf die in der Präambel formulierte Beobachtung, dass „die Vernachlässigung der Menschenpflichten zu Gesetzlosigkeit und Chaos führen kann“. Weiter im Zeit-Beitrag aufgeführte Argumente der Politikwissenschaftlerin sind zum Teil sicherlich diskutabel. Letztlich hängt es wie immer vom Charakter der Verantwortlichen ab, ob Deklarationen missbraucht werden oder nicht. Interessant aus heutiger Sicht ist ihre Aussage: „Wer die Moral zur Pflicht macht, dem geht es darum, den Einzelnen fester in bestehende Kollektivstrukturen einzubinden – und ihn diesen in letzter Konsequenz unterzuordnen.“ Im Rahmen der aktuellen Zuwanderungsdebatte wird gerade das betrieben – auch ohne verabschiedete Menschenpflichtserklärung.

 

Unterstützt wird die Menschenpflichtserklärung vom Human and Global Development Research Institute: „Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte war erfolgreich, indem sie das Selbstbild des Menschen veränderte und deklarierte, der Mensch habe ihm naturgemäß zustehende und unveräußerliche Rechte. Dieses veränderte Selbstbild, das zunächst nur eine Behauptung war, verfestigte sich im Lauf der Zeit zu einer Gewissheit in unserem Selbstverständnis und war der Schlüssel zur Entwicklung einer humaneren und gerechteren Gesellschaft.“ Allerdings sei das simple Prinzip „Wo Rechte sind, sind auch Pflichten“ in der Jurisprudenz zwar anerkannt; „allein auf dem Gebiet des Selbstverständnisses des Menschen selber sind bisher nur Rechte definiert worden, nicht aber Pflichten“. Die Lücke müsse geschlossen werden: als Grundlage, um Herausforderungen zu meistern. Auch wenn der Entwurf der Menschenpflichtserklärung heute wohl, ebenso wie Artikel 29 AEMR, eher nicht ernst genommen wird, ist der eine oder andere Denkanstoß dazu durchaus nützlich. Es gesellte sich zur Frage nach der Bereitschaft für Verantwortung die Frage nach der Fähigkeit zur Verantwortung. Der InterAction Council regte zudem einen Ausgleich zur Versöhnung politischer Ansichten an: „Leider wird dieses Verhältnis von Freiheit und Verantwortung nicht immer richtig verstanden. Einige Ideologien legten mehr Gewicht auf den Begriff der individuellen Freiheit, während andere sich auf die bedingungslose Verpflichtung gegenüber der gesellschaftlichen Gruppe konzentrierten. Ohne richtige Balance ist unbegrenzte Freiheit ebenso gefährlich wie aufgezwungene soziale Verantwortung … Beide Extreme sind unerwünscht.“ Denn: Ohne „Selbstbeschränkungen würde die Menschheit zum Überleben des Stärkeren zurückkehren“. Das Fazit: „Wir müssen uns wegbewegen von der Freiheit der Indifferenz hin zur Freiheit des Engagements.“ 


23.3.2018

Die Frau als verstümmelter Besitz

 

Während sich eine SPDlerin durch harmlose Bilder eines Künstlers „sexistisch belästigt“ fühlt und sofort entsprechende Konsequenzen gezogen werden, entwickelt sich hier eine weitere gewaltfördernde Parallelstruktur. Es geht um Genitalverstümmelung. Folgende Aufklärung dazu muss man aushalten: „Die Weltgesundheitsorganisation nennt unterschiedliche Formen der Genitalverstümmelung. Je nach Praxis werden Klitoris, Klitorisvorhaut sowie innere und äußere Schamlippen entfernt. Um die Vaginalöffnung zu verengen, werden die großen Schamlippen über der Harnröhre und der Scheide zusammengenäht – mit Akaziendornen. Dazu werden meistens primitive Werkzeuge wie unsterile Rasierklingen oder Glasscherben verwendet. Ein Drittel der Mädchen stirbt unmittelbar an den Folgen dieser Tortur.“ Die Öffnung sei manchmal kleiner als der kleine Finger, sagt eine Gynäkologin. „Im Heimatland wird die kleine Öffnung oft von den Ehemännern in der Hochzeitsnacht mit einem Messer erweitert.“ Laut Deutscher Stiftung Weltbevölkerung  ist es eine traditionelle Praktik vor allem in Afrika und im Mittleren Osten, wie die Welt ausführt. Zweck: Die Stärkung der Rolle des muslimischen Mannes und die Garantie der Treue der Frau, für die Geschlechtsverkehr fortan nichts weiter ist als eine Tortur.

 

Die Angelegenheit kann nicht schöngeredet werden, wie man in der Politik begriffen hat. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) spricht von „barbarischer Praxis“, „schwerer Menschen-rechtsverletzung“ und einer „Mauer des Schweigens“. Weniger deutlich wird kommuniziert, dass man sich diese gewalttätige Tradition mitsamt des dahinter stehenden Bildes der Frau als Besitz infolge der verantwortungslosen Zuwanderungsmanie seit 2015 verstärkt ins Land holt. Inzwischen sind hier mehrere tausend Mädchen aus Zuwandererfamilien von Genitalverstümmelung bedroht. Allein in München betreffe dies 800 junge Mädchen zwischen vier und acht Jahren. Eine dortige Frauenärztin behandle fast täglich beschnittene Frauen. Die brutale Beschneidung ist seit Ende September 2013 via § 226a Strafgesetzbuch verboten. Nichtsdestotrotz sind zahlreiche Fälle dokumentiert. In Hessen etwa wurden 2016 Genitalverstümmelungen in 572 Fällen diagnostiziert. Wie viele davon im Heimatland vorgenommen wurden und wie viele hierzulande geht aus der Presse nicht eindeutig hervor. Es handelt sich zudem nur um jene von gesetzlich Versicherten, deren Daten von der Kassenärztlichen Vereinigung verarbeitet werden „ – sofern sie ein Arzt notiert hat“. Schon die Verabredung zum Eingriff in einer Praxis sei strafbar: „Falls sich Eltern mit einem solchen Ansinnen an einen Mediziner wendeten, sei dies als ‚versuchte Anstiftung zu einem Verbrechen‘ zu werten. Daher dürften der Arzt oder das Praxispersonal Polizei oder Jugendamt einschalten. ‚Schweigepflicht hin oder her‘.“ 

 

In dieser Broschüre beklagten Frauenverbände bereits 2007: „Bislang haben Ärzte/innen zwar das Recht, ihre Schweigepflicht im Falle einer drohenden Genitalverstümmelung zu brechen. Eine explizite Meldepflicht wie in Frankreich gibt es in Deutschland jedoch leider noch nicht.“ Die Folge: „Aus Deutschland ist uns kein bewiesener Fall bekannt. In Paris ist jedoch eine Beschneiderin angeklagt und verurteilt worden“, brachte die Süddeutsche Zeitung 2017 in Erfahrung. Der Landtag von BW lehnte kürzlich eine ausnahmslose Meldepflicht ab. Seitens der Bundesärztekammer heißt es immerhin in den „Empfehlungen zum Umgang mit Patientinnen nach weiblicher Genitalverstümmelung“: Wird nach der Entbindung „trotz eingehender Aufklärung die Wiederherstellung, also die Infibulation, verlangt, muss der Arzt die Behandlung ablehnen“. Hintergründe der Beschneidungspraxis sind intransparent: Sicherheitsbehörden sprechen von einer „Schweigespirale“ und „Parallelstrukturen“. Die „Community“ verfüge hier über eigene Ärzte, die via Mundpropaganda solche Beschneidungen durchführen, so ein von der Welt zitierter leitender Beamter des Düsseldorfer Landeskriminalamts. Strafverfolger hätten aber bei diesen kriminellen Praktiken „keinen Fuß in die Tür bekommen“. Ein Leser drückt das so aus: „… außer reden können wir gar nichts machen. Und die betreffende Klientel weiß das.“

 

Nachtrag: Zum Verweis eines Lesers auf den Kampf des Menschenrechtlers Rüdiger Nehberg gegen weibliche Genitalverstümmelung: siehe dort (für starke Nerven).

 

Nachtrag 2020: "Zehntausende Opfer weiblicher Genitalverstümmelung in der Bundesrepublik ... In drei Jahren ist die Zahl der Betroffenen um 44 Prozent gestiegen. Das geht aus einer vom Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) in Auftrag gegebenen Studie hervor ... Die meisten der von FGM betroffenen Frauen sind Migrant*innen aus Eritrea, Somalia und Indonesien, aus Ägypten sowie Nigeria. Der erhebliche Anstieg der Zahlen ist nach Angaben des BMFSFJ auf die verstärkte Zuwanderung von Mädchen und Frauen aus Herkunftsländern zurückzuführen, in denen FGM praktiziert wird. Ebenso erschreckend hat gemäß der Erhebung das Risiko für in der Bundesrepublik lebende Minderjährige zugenommen, Opfer von FGM zu werden ... Schon im Jahr 2008 stimmte die Weltgesundheitsversammlung für eine Resolution zur Beseitigung von FGM." Hat nichts gebracht. 

 

Nachtrag 30.7.2020: "Erfolgreiche Übergabe unserer Petition an Bundesfrauenministerin Giffey!"

 

Nachtrag vom 23.7.: "Stellungnahme der Bundesministerin ... Dr. Franziska Giffey, anlässlich der Übergabe der Petition 'Genitalverstümmelung in Deutschland bekämpfen'..."


26.2.2018

Tafeldebatte: Prinzip versus Pragmatismus

 

Es ist richtig, dass die Entscheidung der Essener Tafel Empörung auslöst. Trotzdem ist die Ent-scheidung in diesem Fall auch richtig und die Art der Empörung auch falsch. Stefan Gosepath hat Dilemmata solcher Art in seiner Abhandlung über die Menschenrechtsfrage als minimalen, aber bedeutsamen Konsens treffend formuliert: „Quasi-deduktive Ableitung von Handlungsanweisungen für konkrete Fälle mit ihren besonderen Anwendungsbedingungen aus Artikeln oder Paragraphen von Menschenrechtskatalogen kann es nicht geben. Wir können nur gute Argumente suchen, Gegenargumente offen prüfen und andere Personen zu überzeugen versuchen, so gut es geht. Die inhaltliche Interpretation und relative Gewichtung der Menschenrechte ist – wie die bisherige Erfahrung zeigt – selbst strittig. Auf diese Kontroverse um die richtige Auslegung, Abwägung und Anwendung der Menschenrechte können und müssen sich alle einlassen.“ Konkret: Wenn der Leiter der Tafel Jörg Sartor Rücksicht auf hochbetagte und alleinerziehende Frauen nimmt – ein bisher nicht offiziell abgeschaffter Grundwert unserer Gesellschaft –, dann ist das zu begrüßen. Die Ursache für das Fernbleiben dieser Klientel liegt im Anteil der Zuwanderer von 75 Prozent mit steigender Tendenz, die sich teils respektlos verhielten. Pragmatische Lösung kann hier nur sein, sozialverträg-liche Rahmenbedingungen anzustreben. Pragmatisch orientierte Annäherung an die Sache ist das Eine. Prinziporientierte Annäherung seitens Kritiker der Tafel ist ebenfalls legitim und in einem Diskurs auch notwendig, um zu verhindern, dass zu viel Pragmatismus die Menschenrechte zur Verhandlungsmasse degradieren. Es ist ein bleibendes, stets zu diskutierendes Spannungsverhältnis. 

 

Die Empörung der Kritiker ist deshalb grundsätzlich richtig und notwendig. Die Art und Weise hingegen dreht die Sache ins Destruktive und bezeugt, dass es jenen gar nicht um Annäherung, sondern um Instrumentalisierung der Angelegenheit für die eigene politische Agenda geht. Sei es durch die verleumderische Unterstellung, hilfebedürftige Menschen würden absichtlich gegeneinander ausgespielt, oder durch die aggressive Beschmierung der Essener Tafelfahrzeuge mit „Fuck Nazis“. Wie Prinzipienfestigkeit ohne Pragmatismus wiederum dazu führen kann, dass am Ende quasi niemand mehr profitiert, zeigt sich gerade bei der Saarbrücker Tafel mit inzwischen 60 Prozent Zuwanderern: Bis 1. Mai 2018 „sind keine Neuanmeldungen möglich“. Nur Notfälle nehme man noch auf, sagte der Vorsitzende der Saarbrücker Zeitung, die witzigerweise titelt: „Saarbrücker Tafel schließt Migranten nicht aus.“ Stets und gerne vergessen übrigens Moralapostel Artikel 29 AEMR: „Diese Bestimmung will uns daran erinnern, dass es nicht nur Menschenrechte gibt, sondern dass jeder und jede auch Pflichten gegenüber seinen Mitmenschen hat. Die Ausübung der Menschenrechte ist insoweit begrenzt, als damit nicht in die Rechte und Freiheiten anderer Menschen eingegriffen werden darf. Dies würde einen Missbrauch der Menschenrechtsidee darstellen.“ Die Ausübung der Menschenrechte beginnt hier beim ordnungsgemäßen Anstellen in der Warteschlange vor der Lebensmittelausgabe.

 

Nachtrag vom 30.9.: "Aus Frust über Kritik aus den eigenen Reihen hat Jörg Sartor seinen Posten im Landesverband abgegeben ... 'Mir sind da zu viele in den Rücken gefallen' ... Sartor sei aber noch aktiv für die Essener Tafel - sechs Tage die Woche." 


27.1.2018

Der Mensch als Verantwortungssubjekt

 

Bei Gelegenheit sollte man den Politikern in Berlin einmal erklären: Es sind ihre Kritiker, die sie in ihrer Menschenwürde ernst nehmen und nicht jene, die ihnen alles durchgehen lassen. Die „Einsicht in die Würde des Menschen als eines Verantwortungssubjekts“ ist in einer Broschüre des Instituts für Menschenrechte ausführlich herausgearbeitet. In diesem elementaren „Achtungsanspruch erfährt der Mensch sich selbst und seine Mitmenschen als Subjekte von Verantwortung“. Das ist zugleich „die implizite Voraussetzung aller normativen Verbindlichkeiten“; die Voraussetzung, dass Menschen Abkommen miteinander eingehen können, die für alle verlässlich gelten sollen; dass sie einander wechselseitige Versprechungen machen können; dass sie normative Eckpunkte in einer Verfassungsordnung festschreiben können. „Dies alles hängt daran, dass Menschen sich selbst und einander als Subjekte möglicher Verantwortung achten.“ Darauf gründe sich auch Moral und Recht.

 

Um Missverständnisse zu vermeiden: „Es geht nicht darum, dass man sich den Respekt als Verantwortungssubjekt erst konkret erarbeiten oder ‚verdienen‘ müsste“, eine Leistungsbilanz vorweisen oder tatsächlich Verantwortung für Andere übernehmen muss: „Die Würde des Menschen besteht vielmehr in der prinzipiellen – womöglich auch nur potenziellen – Befähigung des Menschen, normative Verbindlichkeiten einzugehen … Ohne diesen elementaren Achtungsanspruch sind Verbindlichkeiten gar nicht denkbar; sie könnten weder entstehen noch aufrechterhalten werden.“ Andernfalls bliebe nur die utilitaristische Erwägung individuellen oder kollektiven Nutzens, den man sich von Abmachungen verspricht. „Dass die Verletzung von Verbindlichkeiten indessen typischerweise einen Vorwurf – den Vorwurf von Unzuverlässigkeit, Treuebruch oder Rechtsbruch – auslöst, zeigt gleichwohl, dass zumindest die Erwartung bindender Wirkung besteht. Auch die Missbilligung eines konkreten Verhaltens kann Ausdruck dafür sein, dass man den betreffenden Menschen als Subjekt von Verantwortung achtet.“ Die Menschenwürde jedes Einzelnen ist aus dieser Sicht unhintergehbar. Neuer Aspekt in der Debatte könnte sein herauszustellen, wer diese achtet und wer hingegen keinerlei Verbindlichkeit erwartet – nicht aus in Resignation gemündeter Erfahrung heraus nicht (mehr) erwartet, sondern aus Gleichgültigkeit gegenüber dem Achtungsanspruch von Menschen als mindestens potenzielle Verantwortungssubjekte heraus. Aus dieser Sicht mag sogar das eine oder andere unerklärliche Gerichtsurteil zumindest sinnvoll erscheinen. Sie ist zudem hilfreich für die Einschätzung von Personen, die sich für die Umsetzung ihres persönlichen Nutzens vorzugsweise mit Leuten umgeben, die nichts mehr voneinander erwarten, als ebenfalls einen persönlichen Nutzen. Dass in einem würdelosen Umfeld kaum mehr als unwürdige Ereignisse entstehen, liegt auf der Hand. Zünftige Kritiker der herrschenden Zustände jedenfalls, die der marginalisierten Spezies der zur Verantwortung Gezogenen angehören, dürfen frohgemut von einer allseits hohen Achtung ihrer Menschenwürde ausgehen.