30.11.2017

Terrorschutz ohne Grünanlagengesetz

 

Das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf hat tatsächlich versucht, die Verantwortung für den Schutz vor Terroranschlägen auf eine harmlose Betreiberin eines Weihnachtsmarktes abzuwälzen. Zunächst sollte diese "einen Grundschutz gegen unbefugtes Befahren des Veranstaltungsgeländes mittels Kraftfahrzeugen" gewährleisten. Sodann sollte sie Gegenstände aufstellen, "die in den Veranstaltungsbereich einfahrende Fahrzeuge ablenken oder zumindest abbremsen" könnten sowie im Bereich des Eingangs zum Gelände ein bewegliches schweres Fahrzeug als mobile Komponente postieren. Das unter Androhung von Zwangsgeld bei Nichterfüllung. Auf das Grünanlagengesetz könnten sich aber solcherlei Anordnungen nicht stützen, meinte dann das Verwaltungsgericht. Das Polizeirecht greife in diesem Fall auch nicht, allerdings gilt: "Nicht verantwortliche Personen könnten aber nur dann polizeirechtlich in Anspruch genommen werden, wenn Polizei und Ordnungsbehörden eine etwaige Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder durch Beauftragte durch Vornahme geeigneter Maßnahmen abwehren könnten." 

 

Nachtrag vom 8.12.: Siehe auch: „Terrorabwehr ist nicht Sache eines Karnevalsvereins.“ 


14.11.2017

Scheinväter: Bemerkenswertes Urteil

 

Die Rechtsprechung der deutschen Justiz dürfte gewissenhafte Bürger zunehmend schockieren: „Erkennt ein deutscher Staatsangehöriger die Vaterschaft zu einem ausländischen Kind an, nur um der ausländischen Mutter den Familiennachzug zu ermöglichen, so steht der Mutter dennoch ein Aufenthaltsrecht zu“, heißt es bei „Kostenlose Urteile“. Die Scheinvaterschaft schließe den Familiennachzug nicht aus, so das Verwaltungsgericht Göttingen Ende Juni. Dass richterlicherseits so entschieden wurde, obwohl Staatsanwälte „ein großangelegtes bundesweites Betrugskartell mit deutschen Scheinvätern“ vermuten, ist bemerkenswert. Das im Mai beschlossene „Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ zur Prävention missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen ist eine Farce. Ob im Übrigen bei diesem Fall im Hintergrund auch der „gemeinnützige“ Verein Jumen kooperierte, der mittels „strategischer Prozessführung“ die Gesetze zum Familiennachzug aushebeln will? (Siehe zum selben Thema auch weiter unten)

 

Nachträge zu Scheinehen

 

Nachtrag vom 6.6.2018: Antwort der Bundesregierung auf die parlamentarische Anfrage: "Scheineheverdacht im Familiennachzugsverfahren"

 

Nachtrag vom 13.6.2018: Bundesweite Razzia: "Sie sollen Männern aus Indien und Pakistan gefälschte Heiratsurkunden mit Frauen aus osteuropäischen EU-Staaten besorgt haben." Mit den falschen Dokumenten bekamen die Geschleusten eine EU-Aufenthaltskarte.

 

Nachtrag vom 11.7.2019: Großrazzia: 550 Beamte der Bundespolizei gingen gegen banden-mäßige Scheinehen vor. 28 Menschen sind bisher vorläufig festgenommen. "Die hauptsächlich pakistanischen oder indischen Staatsangehörigen sollen nach Osteuropa und Zypern eingereist und dort mit Frauen verheiratet worden sein, um anschließend als Ehepartner in Deutschland eine EU-Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen." Zudem: falsche Meldebescheinigungen. 

 

Nachtrag vom 18.4.2021: "Illegale Aufenthaltstitel - Innenministerien verzeichnen Hunderte Verdachtsfälle auf Scheinvaterschaften - Schwangere Frauen aus Ländern außerhalb der EU zahlen Tausende Euro an meist mittellose deutsche Männer, damit diese die Vaterschaft für die Kinder übernehmen. Verdachtsfälle gibt es in ganz Deutschland, doch nur die wenigsten können bewiesen werden ... Die zuständigen Jugendämter können die oft mittellosen Väter im Bedarfsfall nicht zu Unterhaltszahlungen für die Kinder heranziehen."


2.11.2017

Späte Erkenntnis des Tages

 

„Ich habe in Russland erlebt, was es bedeutet, wenn eine Rechtsordnung zusammenbricht. Es ist die Hölle. Wir sollten den Anfängen wehren.“ Boris Reitschuster in der Bild

 

Siehe auch: „Der Rechtsstaat ist nicht mehr funktionsfähig!“ Oberstaatsanwalt Ralph Knispel, Vorsitzender der Vereinigung Berliner Staatsanwälte


29.9.2017

Behinderung der Justiz durch Anwalt

 

Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verdient Beachtung und verdeutlicht gleichzeitig die Mentalität so manchen Anwalts, der sich mit der Verteidigung von Asylbewerbern bereichert: Am 12. September übermittelte der  Anwalt eines abgelehnten afghanischen Asylbewerbers nachmittags per Fax an das BVerfG einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung – mit Anlagen im Umfang von 450 Seiten, ohne die wesentlichen Bescheide über das Asylverfahren. „Der Anwalt trug insbesondere vor, die Abschiebung stehe noch am 12. September 2017 bevor. Am nächsten Tag jedoch stellte sich auf Nachfrage heraus, dass der Anwalt bereits am Morgen des 12. September erfahren hatte, dass sein Mandant untergetaucht war. Der Afghane konnte nicht abgeschoben werden“, berichtet LTO. Der „grob irreführende“ Anwalt muss nun eine Missbrauchsgebühr in der maximalen Höhe von 2.600 Euro zahlen. Begründung: „Andere Menschen bräuchten den Rechtsschutz durch das BVerfG und damit auch seine Ressourcen tatsächlich.“ 

 

Nachtrag vom 19.10.: Ein weiterer Missbrauchs- bzw. Lügenfall: "Eine Anwältin erklärte gegenüber dem BVerfG, dass ihr Mandant mit Böllern und nicht mit Steinen geworfen habe. Im Beweisvideo war das Gegenteil zu sehen." Missbrauchsgebühr: 600 Euro.


29.9.2017

Recht wird komplizierter

 

Phoenix bringt heute ab 12.45 Uhr das Cicero-Foyergespräch „Die Legitimationskrise unseres politischen Systems“. Bei der Veranstaltung am Mittwoch in Karlsruhe beurteilte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts den Einzug der AfD in den Bundestag und die Forderung nach einer Obergrenze für Asylbewerber. Voßkuhle wird auch bei der „Staatsrechtslehrertagung“ Anfang Oktober in Saarbrücken teilnehmen. Das Generalthema: Fragmentierungen. Das Juraforum konkretisiert: „Eine Vielzahl kleinteiliger Spezialregelungen machen das Verfassungs- und Verwaltungsrecht zunehmend unüberschaubar – erst recht auf internationaler Ebene. Normen kollidieren, Zuständigkeiten überschneiden sich. Wie können Gesetzgebung, Justiz, Verwaltung und Wissenschaft zu einem einheitlichen Recht beitragen?“ Zergliederung ziehe sich quer durch die Gesellschaft: etwa bei der Entstehung von Parallelgesellschaften im Zuge der Migration oder aufgrund einer Zersplitterung der Parteienlandschaft. Bei der Tagung werden die Veränderungen und ihre Auswirkungen auf nationales wie internationales Recht beleuchtet. Die „Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer“ wurde 1921 mit dem Ziel eines regelmäßigen Austausches von Professoren aus Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz gegründet und umfasst heute rund 800 Lehrende aus Staats- und Verwaltungsrecht. „Seit Jahrzehnten sind die Resultate der Staatsrechtslehrertagung wegweisend für die Entwicklung des Öffentlichen Rechts in der Europäischen Union“, heißt es im Grußwort.


18.8.2017

„Ein Richter schlägt Alarm“

 

Jens Gnisa, der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes und Direktor des Amtsgerichts Bielefeld, hat „absichtlich kurz vor der Bundestagswahl“ sein Buch „Das Ende der Gerechtigkeit – Ein Richter schlägt Alarm“ veröffentlicht. Relevant ist zu ergänzen: im Herder-Verlag. Denn es habe Verlage gegeben, die – vorgeblich – aus ökonomischen Gründen dem Buchprojekt eine Absage erteilten. „Dabei ist es, soweit ich sehe, die erste umfassende Darstellung des Themas von einem Justiz-Insider“, wundert sich Gnisa im Gespräch mit LTO. Das Interview ist mit seinen fetzigen Fragen und glasklaren Antworten äußerst lesenswert. Es erinnert direkt an Journalismus. Das bedeutet nicht gleich wieder, dass man jedem Punkt inhaltlich zustimmen muss. Das Buch über die „schleichende Erosion des Justizsystems“ gibt es zum Beispiel hier.

 

Nachtrag vom 23.12.: Die Zahl der Terrorverfahren beim Generalbundesanwalt hat sich 2017 mit rund 1.200 Verfahren gegenüber dem Vorjahr fast verfünffacht. "Angesichts der hohen Zahl gab die Bundesanwaltschaft zuletzt mehr als jedes dritte Verfahren an die Strafverfolgungsbehörden der Länder ab: Insgesamt gingen 2017 rund 450 Verfahren an die Länder weiter, davon knapp 98 Prozent mit islamistischem Hintergrund." 


4.8.2017

Täterschutz im Menschenrechtsdiskurs

 

Die Süddeutsche Zeitung sorgt sich um den „jungen Mann aus Bremen“: der IS-Sympathisant, der sich im Chat bereit erklärte einen Anschlag auf Zivilisten zu verüben und via „Feuerwehr-Regel“ des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte am Mittwoch in letzter Minute vor seiner Abschiebung bewahrt wurde. „Die Botschaft des Straßburger Eilbeschlusses lautet: Die Menschenrechte gelten auch für Gefährder“, folgert das Medium. 

 

Die berechtigte Sorge um die Relativierung der individuellen Menschenrechte im Rahmen der Sicherheitspolitik zieht allerdings eine Relativierung des grundsätzlichen Anspruchs der Erklärung der Menschenrechte nach sich. Nämlich jenen, dass aufgrund der Erfahrung barbarischer Akte die Menschenrechte durch die „Herrschaft des Rechts zu schützen“ sind, wie es in der Präambel heißt. Sie dient dazu, dass „alle Organe der Gesellschaft“ durch „nationale und internationale Maßnahmen“ die Einhaltung der Menschenrechte gewährleisten; auch als Voraussetzung für Artikel 3: „Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“ Das Ausmaß der investierten Energie bei der Verteidigung dieses oder jenen Aspekts bestimmt dabei die Prioritätensetzung als logische Konsequenz, auch wenn solche im Menschenrechtsdiskurs hoch problematisch ist. 

 

Prioritäten setzt auch die EU mit ihrer auffallend täterfreundlichen Politik. Man siehe hierzu den 2009 vom Europäischen Rat angenommenen „Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen und Beschuldigten in Strafverfahren“ und die weitergehende Empfehlung der EU-Kommission aus 2013 zu den besonderen Verfahrensrechten schutzbedürftiger Personen. „Die Schaffung von Mindeststandards in Strafverfahren innerhalb der EU hat für Deutschland hohe Priorität“, heißt es auch auf Seite 8 des Zwölften Berichts der Bundesregierung über Menschen-rechtspolitik. Zu den 22 vordringlichen Punkten gehören konsequenterweise an vorderer Stelle: „Verfahrensrechte von Verdächtigen und Beschuldigten im Strafverfahren stärken“ sowie „Auf die Achtung der Menschenrechte bei der Terrorismusbekämpfung drängen“ (Seite 184).

 

Schwer vorstellbar, dass die Verfasser der Menschenrechtserklärung Ende der 1950er Jahre den Täterschutz vordringlich im Sinn hatten. Jedenfalls darf und muss es auch darum gehen, die schockierte Betroffenheit über Gräueltaten wachzuhalten und den friedensstiftenden Geist zu verteidigen, der damals geatmet hat. Eine einseitig argumentative Fokussierung auf Täterschutz verlangt hingegen eine vollständige Distanzierung von emotional begründetem Gerechtigkeitsempfinden. Wer aber die Menschenrechtsidee auf eine reine Kopfsache reduziert, der entkoppelt diese auch vom Gewissen und verändert letztlich deren Intention.

 

Nachtrag vom 30.11.: Der 18-jährige Gefährder dürfe nun doch abgeschoben werden. Der EGMR hob seinen vorläufigen Stopp der Abschiebung auf. Eine endgültige Entscheidung über die Vereinbarkeit der Abschiebung mit der Menschenrechtskonvention stehe weiter aus.


26.7.2017

Allgegenwärtige Grenzenlosigkeit

 

Gerade wurde die dramatische Überlastung der Gerichte beklagt, nun berichtet „Kostenlose Urteile“ über einen Gerichtsbescheid des Finanzgerichts Hamburg: Demnach sind fremdsprachige Schriftsätze mit ausreichenden Anhaltspunkten für Vorliegen eines Klage- oder Rechtsschutzbegehrens rechtswirksam und von Amtswegen zu übersetzen. „Er weicht damit von der ganz herrschenden Meinung in Judikatur und Literatur ab, die nicht in deutscher, sondern in einer fremden Sprache abgefasste Klageschriften für nicht rechtserheblich und damit auch nicht fristwahrend hält.“ Im Hinblick auf die auch für Ausländer geltenden Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens nach Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG), des in Art. 3 Abs. 3 GG verankerten Benachteiligungsverbots wegen der Sprache und der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG sei dies geboten. Die allgegenwärtige Grenzenlosigkeit wird bald alles auflösen.   


21.7.2017

Justiz am Anschlag

 

Ob man dem hiesigen Rechtsstaat noch mehr als ein Jahr geben kann? Es geht nicht nur um die dramatische Lage an den Verwaltungsgerichten. Die stoßen mit 250.000 anhängigen Gerichts-verfahren bezüglich Asylklagen gegen Bescheide „komplett an die Grenzen“, wie der Vorsitzende des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter sagte: „Eine derartige Zahl an Verfahren kann die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf Dauer nicht aushalten. Irgendwann bricht dann alles zusammen.“ Minder schwere Warnungen gab es bereits 2015. Ein neuer Boom betrifft nun noch eine andere, makabre Angelegenheit: Unter dem Titel „Ohnmächtige Staatsanwälte und Richter – Wenn sich Asylbewerber schlimmster Straftaten selbst bezichtigen“ brachte Report München am Dienstag folgendes Beispiel: Ein Asylbewerber aus Nigeria mit geringen Asylaussichten sagte den Behörden, er habe an Exekutionen mitgewirkt und unzählige Vergewaltigungen begangen. Ihm drohe in seinem Herkunftsland die Todesstrafe. Der Asylbewerber wird daher nicht nur nicht abgeschoben, er beschäftigt auch die hiesige Strafjustiz mit „jahrelangen Ermittlungen für nichts“: denn solche Fälle müssen anonymisiert behandelt werden und am Ende münden diese regelmäßig nicht in einer Anklage, „weil die Behörden nicht weiterkommen“. Man werde mit der Unsicherheit leben müssen, die darin besteht, ob es sich um Asylbetrug oder um frei herumlaufende Verbrecher handelt. Der Richterbund verzweifelt an den inzwischen massenhaften Selbstbezichtigungen: „Das System könnte überfordert werden.“ Bundesinnenministerium: Eine Änderung der Rechtslage ist nicht angezeigt. Was würde das auch nutzen?


18.7.2017

Scheinväter keine Einzelfälle

 

Die kriminell aufgeladene Absahner-Mentalität, auch in Teilen der deutschen Bevölkerung, ist abstoßend. Wie aus einem aktuellen Dokument der Bundesregierung hervorgeht sind es längst keine Einzelfälle, in denen Männer mit deutscher Staatsangehörigkeit „sowie Rechtsanwälte und Notare“ bis zu 500* Euro dafür erhielten, wenn sie zum Schein angaben, Vater des Kindes von ausländischen Frauen zu sein. „In so einem Fall erhalten die Kinder automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft und die Mütter ein Bleiberecht.“ In Berlin sei es zu 700 solcher Fälle gekommen, die Praxis finde bundesweit statt. Offenbar kommt es auch vor, dass ausländischen Frauen bereits in ihren Herkunftsländern – etwa durch Schleppernetzwerke – Scheinvaterschaftsanerkennungen zur Aufenthaltserlangung angeboten wurden. Die Bundesregierung legt nun in ihrer Antwort nahe, dass sie wenig bis gar keine Ahnung zu den konkreten Vorgängen hat: Weder um wie viele Fälle es sich handelt, noch welche ausländer- und aufenthaltsrechtlichen Folgen das Auffliegen von Scheinvaterschaften hatte oder ob Mütter bzw. deutsche Scheinväter strafrechtlich belangt wurden. Schuld für die Unkenntnis sei das Bundesverfassungsgericht, das ein behördliches Anfechtungsrecht aus dem Jahr 2008 im Jahr 2013 für verfassungswidrig und nichtig erklärte. Mit dem Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, beschlossen im Mai dieses Jahres, sei nun ein präventives Prüfverfahren zur Verhinderung missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen bereits im Vorfeld möglich. Wer hat denn für so was Zeit? 

 

*In den meisten Berichten ist von 5.000 Euro die Rede. Druckfehler im Dokument?  

 

Nachtrag vom 12.9.: Razzia: Schleuser arrangieren Scheinehen für nigerianische Männer.


7.7.2017

Abendessen künftig nicht mehr geheim

 

Das Bundeskanzleramt muss Auskunft über nicht-private Abendessen im Bundeskanzleramt erteilen, so das Verwaltungsgericht Berlin. Auch die „Vereinigung 17. Juni 1953“ berichtet vom Erfolg des klagenden Vereins Abgeordnetenwatch. Das Bundeskanzleramt muss wohl an die Worte seiner Chefin erinnert werden: „Angst ist nie ein guter Ratgeber.“ Das Gericht jedenfalls ließ die gefühlte, selbstverständlich trotzdem ernst zu nehmende Sorge der Geheimniskrämer nicht gelten, die Herausgabe der Informationen „könne in Zukunft negative Auswirkungen auf die Sicherheit der Bundeskanzlerin haben“.   


21.6.2017

Wanted: Whistleblower beim Richterbund

 

Bundesjustizminister Heiko Maas kann ganz entspannt beim Boccia-Turnier für Promis in Saarlouis „eine ruhige Kugel schieben“, denn er darf sich auf eine einflussreiche Lobby verlassen. Nachdem der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes (DRB) Sven Rebehn den Bundesjustizminister bereits nach seiner Pauschalkritik an den Ländern inklusive subtiler Drohung ihnen die Justizhoheit zu entziehen in Schutz nahm, springt ihm selbiger auch beim Durchdrücken seines vielfach als verfassungswidrig bewerteten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes noch in dieser Legislaturperiode zur Seite. 

 

Rebehn führt den DRB – „der mit Abstand größte Berufsverband der Richter und Staatsanwälte“ und „Spitzenorganisation des Öffentlichen Dienstes“ – seit Februar 2012. Zuvor war der Jurist mit „Erfahrung im Berliner Politik- und Medienbetrieb“ Leitender Redakteur im Politikressort der Neuen Osnabrücker Zeitung. Als Chefredakteur der Deutschen Richterzeitung verantwortete er gleich nach seinem Antritt als DRB-Bundesgeschäftsführer die Weiterentwicklung der Zeitschrift zu einem „rechtspolitischen Magazin“. Dass Rebehn in der gleichen Gesinnungsspur fährt wie der Bundesjustizminister ist evident. So griff er etwa den Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt nach dessen Kritik an der Justiz plump als „Donald Trump der deutschen Innenpolitik“ an. Sicher ließen sich weitere Gemeinsamkeiten finden.  

 

Man darf sich schon fragen, wie und warum ein Journalist ohne profunde Richtererfahrung auf den Posten des Bundesgeschäftsführers beim Deutschen Richterbund kommt und ob dessen öffentliche Verlautbarungen wirklich das widerspiegeln, was das Gros der DRB-Mitglieder denkt. Zumindest wäre ein Erfahrungsbericht eines kritisch-distanzierten Mitglieds über den Gang der Dinge beim DRB seit 2012 ganz sicher nicht langweilig. 


15.6.2017

Alarmsignal des Tages

 

Dem Bundesjustizminister liegt gerade mal die „innere Sicherheit“ am Herzen: „Wenn die Länder die Justizhoheit behalten wollten, müssten sie ihre Gerichte und Staatsanwalt-schaften personell, finanziell und technisch ordentlich ausstatten.“ Dieser Halbsatz noch einmal: „Wenn die Länder die Justizhoheit behalten wollten…“ Heiko Maas scheint sich in einem unverrückbaren Sattel zu wähnen. Wie kommt das? Interessant im Kontext: „Die traditionelle föderale Justizverwaltung wurde 1934 'verreichlicht'…Mit dem Gesetz über den Neuaufbau des Reichs...schufen die nationalsozialistischen Machthaber auch die staatsrechtliche Voraussetzung, weil damit das Reich alleiniger Träger der Justizhoheit wurde.“

 

Reaktionen: Der Vorsitzende der Länderjustizministerkonferenz Herbert Mertin (FDP) "droht mit Entzug von Staatsanwälten beim Generalbundesanwalt". Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf (CDU): Die Landesregierung habe bereits reagiert; "und zwar schon lange bevor Heiko Maas das Thema für sich entdeckt hat". Er scheine von eigenen offenen Baustellen abzulenken. Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU): Maas beweise wieder einmal, dass er keinen Einblick in die Praxis der Justiz habe: „Man fragt sich ernsthaft, wann er das letzte Mal ein Gericht betreten hat.“ Seine Kritik sei „unverantwortlich und total daneben“. Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) warnte Maas, „aus politischem Kalkül das Vertrauen in den Rechtsstaat zu untergraben“: „Jeder sollte zunächst vor seiner eigenen Türe kehren.“ Der bayrische Justiz-minister Winfried Bausback spricht von Ablenkungsmanöver: Was der Bundesjustizminister auf Bundesebene tut, wirke wie ein Tropfen auf dem heißen Stein, „vor allem wenn man bedenkt, dass die strafrechtliche Bekämpfung von Terrorismus in großem Umfang die Zuständigkeit des Bundes ist“. Es sei außerdem „indiskutabel, wenn Maas meine, die Justizhoheit der Länder in Frage stellen zu müssen“. Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne): „Der Bundesjustizminister gibt ein schwaches Bild ab." Es wäre ratsamer gewesen, er hätte zunächst das Gespräch mit den Länder-kollegen gesucht, "als über die Presse zu zeigen, dass er nicht ausreichend informiert ist”. Maas solle sich „an die eigene Nase fassen und den Generalbundesanwalt unterstützen. Der hätte es Anfang des Jahres sonst nicht nötig gehabt, die Länder um personelle Unterstützung zu bitten…So viel Ahnungs-losigkeit hätte ich Herrn Maas nicht zugetraut.” Der Deutsche Richterbund unterstützt Maas.


9.6.2017

Domain-Registrar: eingeschränkte Prüfpflichten

 

Dieser Vorgang sollte insbesondere von Betreibern einer Homepage aufmerksam registriert werden: Ein Domain-Registrar wurde für persönlichkeitsverletzende Äußerungen auf einer von ihm registrierten Internetseite haftbar gemacht. Sowohl das Landgericht Frankfurt a. M. als auch das dortige Oberlandesgericht verneinte eine Haftung des Registrars. Begründung: „Einem Domain-Registrar kommen nur eingeschränkte Prüfpflichten zu, die eine Handlungspflicht nur dann auslösen, wenn die Persönlichkeitsverletzung offenkundig und für ihn unschwer feststellbar sei…Es sei ihm nicht möglich, einzelne Inhalte einer Internetseite selektiv zu sperren oder zu löschen. Er könne die Rechtsverletzung vielmehr nur durch vollständige Dekonnektierung der Domain deren Auflösung über das DNS unterbinden. Dies führe zu einer Unerreichbarkeit der Domain und alle unter ihr angelegten Subdomains. Davon seien automatisch auch alle recht-mäßigen Inhalte sowie Inhalte unbeteiligter Dritter betroffen.“ Eine Frage, die bleibt: Wenn ein Richter eine Persönlichkeitsverletzung als offenkundig und unschwer feststellbar interpretiert, muss der Domain-Registrar dann trotzdem die Domain vollständig dekonnektieren respektive ab wann ist ein Umfang erheblich, so dass eine Dekonnektierung als unzumutbar gilt?   


27.2.2017

Justiz in Personalnot

 

Die Hätschelei scheint ein Ende zu haben: Volker Kauder kritisiert öffentlich Bundesjustizminister Heiko Maas bezüglich vernachlässigter Ausstattung der Justiz. „Aus Personalmangel könnten Staatsanwaltschaften und Gerichte viele Rechtsbrecher nicht mehr zur Rechenschaft ziehen“, zitiert die Morgenpost Kauder. „Immer mehr Verfahren müssten eingestellt werden. Der Bundesjustiz-minister, der sich ja schnell für dies und das engagiert, hat die Situation auch nie richtig zum Thema gemacht. Das ist ein schweres Versäumnis.“ In Verantwortung seien auch die Bundesländer. Bedenklich: selbst beim Generalbundesanwalt fehlten Stellen für Terrorismusverfolgung. Man könne aber den obersten, für schwerste Verbrechen zuständigen Ankläger nicht „im Regen stehen lassen“. Tatsächlich war es auch unfair, im Fall Al Bakr den öffentlichen Vorwurf allein an den General-bundesanwalt zu adressieren, er hätte das Verfahren früher an sich ziehen müssen. Denn er untersteht der Dienstaufsicht des Bundesjustizministers. „Dieser trägt innerhalb der Bundesregierung und gegenüber dem Parlament die politische Verantwortung für die Tätigkeit der Behörde des General-bundesanwalts.“ Von entsprechender Verantwortungsübernahme war bis dato nie was zu lesen. 


24.2.2017

Lügen haben kurze Beine

 

Regierungsseitig werden bekanntlich gerne Fake-News-Vorwürfe lanciert, sei es gegen Russland, Trump oder kritische Blogger. Jetzt kristallisiert sich heraus, dass man es im eigenen Bundesjustizministerium selbst nicht so genau mit der Wahrheit nimmt. Heiko Maas, der bis dato immer noch nicht „seinen Beitrag zur Aufklärung im Fall Al Bakr“ geleistet hat und auch bei anderen drängenden Problemen im Land wenig bis gar nicht hilfreich zu sein scheint, hat offenbar im Fall Netzpolitik.org glatt gelogen. Die Bundesanwaltschaft ermittelte 2015 gegen zwei Blogger des Portals Netzpolitik.org wegen Verdacht auf Landesverrat, nachdem diese vertrauliche Unterlagen des Verfassungsschutzes publik gemacht hatten. Harald Range, damals Generalbundesanwalt, beschuldigte den Bundesjustizminister der Behinderung von Ermittlungen: Er werde von ihm unter Druck gesetzt die Strafverfolgung einzustellen. Range verlor schließlich seinen Posten, kurz darauf waren die Ermittlungen eingestellt. Nun berichtet die Zeit: „Maas und Vertreter seines Ministeriums bestritten stets, dass es entsprechende Weisungen an den Generalbundesanwalt gegeben habe.“ Die Aussage wiederholte Maas auch im Rechtssauschuss des Bundestags. „Der Zeit liegen interne Akten der Bundesanwaltschaft vor, die Zweifel an dieser Darstellung wecken.“ Mehrere Staatsanwälte dokumentierten demnach, „wie Maas den Generalbundesanwalt über seine Staatssekretärin Stefanie Hubig mehrfach und unter Androhung der sofortigen Entlassung massiv bedrängt haben soll, die Ermittlungen gegen die beiden Blogger einzustellen“. Ein externes Rechtsgutachten, das den Vorwurf des Verrats von Staatsgeheimnissen bestätigte, habe Maas ebenfalls versucht zu verhindern. Dass die Wochenzeitung darüber aufklärt lässt hoffen, dass in der einen oder anderen Redaktion bald wieder der Informationsauftrag anstelle von politmedialer Kungelei an erster Stelle steht. 

 

Zur Stellungnahme von Netzpolitik.org zur Sache geht es hier entlang.


16.2.2017

Wehrdienstentziehung als Fluchtgrund?

 

"Das Verwaltungsgericht Aachen hat die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet", wehrpflichtigen syrischen Staatsangehörigen nicht nur den subsidiären, sondern den vollen Flüchtlingsschutz zu gewähren. "Der Status eines Flüchtlings unterscheidet sich vom subsidiären Schutzstatus vor allem durch erleichterte Bedingungen, sich unbefristet in Deutschland aufhalten zu dürfen und Familienangehörige nachzuholen." Dieses aktuelle Urteil steht, wenn es pauschal verstanden wird, entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts Köln. Dort wurde eine Klage auf volle Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft Ende Januar abgewiesen. Begründung: "Auch eine im Fall der Rückkehr nach Syrien möglicherweise drohende Einziehung zum Wehrdienst und eine Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung gäben grundsätzlich keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung." Das macht schon alles einen recht willkürlichen Eindruck. Zeitgleich zum Kölner Urteil wies auch das Düsseldorfer Verwaltungsgericht Klagen ab. Zum Entscheid des Thüringer Oberverwaltungsgerichts (OVG) Mitte Dezember zu Berufungsanträgen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge siehe hier.  

 

Nachtrag vom 5.5.: OVG Münster: Flucht vor Kriegsdienst aus Syrien ist kein Asylgrund.

 

Nachtrag 2018: OVG Bautzen: "Syrischen Wehrdienstverweigerern ist aufgrund drohender politischer Verfolgung in ihrer Heimat der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen." 


14.1.2017

Frage auf Abgeordnetenwatch an den bayerischen Justizminister

 

Sehr geehrter Herr Dr. Bausback, die FAZ brachte am 12.6.2016 die Agenturmeldung: "Hundert-tausende Ermittlungsverfahren für den Papierkorb". Darin steht, dass Deutschlands Staatsanwälte wohl keinen übermäßigen Eifer bei der Strafverfolgung von Flüchtlingen bezüglich unerlaubter Einreise entwickeln und sich die Frage stelle, ob womöglich hunderttausende Flüchtlinge eingereist sind, ohne dass ermittelt wurde. Weiter heißt es: "Hinter den Kulissen gibt es in der Justizminister-konferenz ein Tauziehen. Niedersachsen und das Saarland schlugen im vergangenen Herbst vor, die unerlaubte Erst-Einreise und den ‚einfachen‘ unerlaubten Aufenthalt zu ‚entkriminalisieren‘." Begründung: "Um den hiermit verbundenen hohen Arbeitsaufwand, dem wegen der regelmäßig erfolgenden Einstellungen der Verfahren wenig praktischer Nutzen gegenüber steht, zu vermeiden." Bayern wolle da aber "auf keinen Fall mitmachen". Darf man erfahren, welchen Fortgang die Debatte hinter und vor den Kulissen der Justizministerkonferenz genommen hat? Wurde dem Begehren der Länder Niedersachsen und Saarland trotz Ihres Vetos stattgegeben? Falls nicht: Steht die Sache noch zur Diskussion oder ist sie vom Tisch? Mit bestem Dank für Ihre Antwort...

24.1.2017

Antwort von Prof. Dr. Bausback

 

Sehr geehrte Frau Baumstark, für Ihr Schreiben vom 14. Januar 2017, in dem Sie nach dem Sachstand der rechtspolitischen Debatte um eine Entkriminalisierung der unerlaubten Einreise und des unerlaubten Aufenthalts fragen, danke ich. Die Thematik wurde auf Initiative der Justizministerkonferenz ausführlich im Rahmen einer durch den Strafrechtsausschuss eingesetzten Länderarbeitsgruppe, an der auch Bayern beteiligt war, behandelt. Aus bayerischer Sicht haben wir im Rahmen dieser Arbeitsgruppe u.a. darauf hingewiesen, dass die maßgebliche Strafnorm des Aufenthaltsgesetzes (§ 95) der Durchsetzung des grundlegenden staatlichen Interesses dient, die Zuwanderung nach Deutschland zu steuern und zu begrenzen. Eine Aufweichung des Strafrechtsschutzes habe lediglich den Effekt, dass strafwürdiges Unrecht nicht hinreichend geahndet werden könne, das in der Beeinträchtigung des Interesses an einer Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung liegende Grundübel aber in keiner Weise beseitigt würde. Es würde durch den Staat selbst vielmehr der fatale Eindruck erweckt, als seien Verstöße gegen das staatliche Kontrollregime des geltenden Ausländerrechts tolerierbar. Ungeachtet des Umstands, dass eine abschließende Befassung der Justizministerkonferenz mit dem Bericht sowie Beschlussvorschlag der Länderarbeitsgruppe noch aussteht, sehe ich derzeit keine politische Mehrheit für Überlegungen, die auf eine Entkriminalisierung von Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz abzielen. Mit freundlichen Grüßen Prof. Dr. Winfried Bausback