31.12.2016

2016 am Ende

 

Angesichts der fahrlässig produzierten Lage im Land bleibt mir am Jahresende nicht wirklich viel Positives zu sagen. Möge jeder den Jahreswechsel so begehen, wie es ihm richtig erscheint. Wer „mürrisch indifferent“ auf eine Silvesterparty geht, dem wünsche ich viel Spaß. Und wer sich lieber einer persönlichen Reflexion stellen will, dem wünsche ich interessante Erkenntnisse. Keinesfalls sollte man sich von irgendjemandem einreden lassen, Ängstlichkeit zu pflegen, wo es sich vielmehr um gesunde Vorsicht oder auch um rationale Einsicht handelt. In Zeiten fehlender respektive falscher Vorbilder ist Selbstvertrauen in das eigene Urteilsvermögen unverzichtbar. Für Vorsätze aller Art gilt: „Auf der großen Zeituhr steht ein einziges Wort: Jetzt.“ Miguel d.Cervantes-Saavedra (1547 – 1616) 


19.11.2016

Heute: Welttoilettentag

 

Während die kostspieligste Toilette der Welt für 15 Millionen Euro auf der Raumstation ISS zu finden ist, befindet sich Europas höchstes Klo in 4.260 Metern Höhe auf dem Mont Blanc, weiß Galileo. Und was den ehemals klofreien Hollywoodfilm betrifft: Das Toilettentabu hat Alfred Hitchcock in seinem „Psycho“ gebrochen. Die Historie der Toilette ist spannend und kurzweilig. Wo keine ist – etwa in Teilen Indiens, obwohl dort Sitzklosetts schon für das dritte Jahrtausend vor Christus nachgewiesen werden konnten –, kann das allerdings tödlich enden und besonders für Frauen gefährlich sein. Eine kurze Reportage (2014) zu den dramatischen Folgen fehlender hygienischer Minimalstandards gibt es hier


29.10.2016

Zur Abwechslung ins Erdinnere 

 

Praktisch wäre es schon: in Spanien in eine Beförderungskapsel steigen, schnurstracks darin mitten durch die Erde fahren und in Neuseeland wieder aussteigen. Es fehlt allerdings noch an Materialien, die widerstandsfähig genug sind. Im Erdzentrum herrscht eine Hitze von fast 5.000 Grad Celsius und ein gewaltiger Druck. Bisher konnte der Mensch nur rund zwölf Kilometer weit in die Erdkruste vordringen. „Ein Kratzen an der Oberfläche“, denn bis zum Erdmittelpunkt ist es über 6.000 Kilome-ter weit. Die spannende Doku „Auf den Spuren von Jules Verne“, die auch von Kleinstlebewesen von einem Millionstel Meter Größe mit Appetit auf Gestein handelt, kann hier angeschaut werden


15.10.2016

One-Way-Ticket zum Mars

 

Es ist wohl keine echte Auswanderungsperspektive, aber mal eine geistige Erholung von hiesigen Zuständen: Die Schader-Stiftung sucht gerade Gesellschafts-, Kultur- und Geistes-wissenschaftler für einen Science Slam in Darmstadt, die aus Sicht ihrer Disziplinen das Konzept „Moon Village“ der European Space Agency (ESA) anreichern. Der Workshop findet in Kooperation mit der Gesellschaft für Kommunikationswissenschaft, dem Kulturfonds Rhein-Main, der ESA und der Evangelischen Akademie Frankfurt statt. Hintergrund: Führende Raum-fahrtnationen sind dabei, einen ständigen, auch von Menschen besetzten Außenposten auf dem Mond aufzubauen. Das Vorhaben soll in etwa zehn Jahren Realität werden und ein Sprungbrett sein, um eine Besiedlung des Mars auszutesten. Im Gegensatz zum Plan „Journey to Mars“ der NASA setzt die Mission „Mars One“ des Niederländers Bas Lansdorp auf eine Raumfahrt ohne Rückkehr: Nach erster Schätzung sollten im Jahr 2023 (inzwischen 2027) – nach Auslese aus über 78.000 Bewerbungen – vier Astronauten auf dem Mars landen und dort eine Kolonie gründen. Nach erfolgreicher Durchführung sollen mindestens 40 Menschen dort leben; ohne jemals zurückzukehren, da dies technisch nicht realisierbar sei. Eine Doku dazu gibt es hierNachtrag: Auch Tesla-Gründer E. Musk stellt Pläne zur Marsbesiedlung vor 

 

Nachtrag vom 19.10.: Zur Landung der Exomars-Sonde siehe hier und dort. Aktuell: hier

 

Nachtrag vom 15.12.: Mars One: Der "Umzug zum Mars" ist auf das Jahr 2031 verschoben.


4.10.2016

Intellektuelle: Igittigitt

 

Der Grabenkampf zwischen Nutznießern der Flüchtlingsindustrie und Befürwortern einer geordneten wie rechtskonformen Einwanderungspolitik erweitert sich um ein neues Spektakel. Die seit kurzem wegen Morddrohungen beurlaubte Lehrerin für Islamkunde Lamya Kaddor veröffentlicht ein Buch, in dem sie, bezogen auf die Einwanderung, von einer „Bringschuld der Deutschen“ schreibt und damit Öl ins Feuer der ohnehin schon aufgeheizten gesellschaftlichen Stimmung gießt. Unabhängige und daher überwiegend im Netz agierende Journalisten kritisieren sie – unter anderem auf Achgut – und hinterfragen Qualifikation wie Legitimation ihres Auftretens. Die Gescholtene wiederum, die sich auf eine gedrillte Lobby in Politik und Medien verlassen darf, schießt zurück: unter anderem in der „Zeit“ und bei einer offenkundig parteiischen Anne Will letzten Sonntag; Moderation als neutrale Vermittlung ist ausrangiert. 

 

In der „Zeit“ titelt Kaddor in ihrem Beitrag: „Der Hass der Deutschomanen – Konservative Intellektuelle wie Henryk M. Broder verstecken sich hinter einer bürgerlichen Fassade. Doch sie tragen eine Mitschuld an Morddrohungen im Netz.“ Und: „Rassismus, Rechtsradikalismus, Deutschomanie – es wird Zeit, über Verantwortung von Intellektuellen in diesem Land zu reden, die sich seit Jahren hinter bürgerlichen Fassaden verstecken und auf Meinungsfreiheit verweisen.“ Die Autorin warnt davor, dass auf eine Veröffentlichung von Worten auch Taten folgen. Im selben Schriftzug provoziert sie eine Hatz auf eine weitere Personengruppe: die Intellektuellen. Geschichtsbewussten Leuten wird der Hass auf Intellektuelle bei Lenin bis Hitler in Erinnerung sein. „August Bebel empfahl 1903 auf dem Dresdner SPD-Parteitag, sich jeden Beitrittswilligen genau anzuschauen, ‚aber wenn es ein Akademiker ist oder ein Intellektueller, dann seht ihn Euch doppelt und dreifach an‘ (Stürmischer Beifall)“, dokumentierte Dietz Bering für die Bundeszentrale für politische Bildung. 

 

Lenin meinte: „Die [!] Intellektuellen müssen immer mit eiserner Faust angepackt werden“ und linksradikale Blätter stießen ins selbe Horn: „Der Intellektuellen gewaltig großer Zahl / erwehrt euch täglich, stündlich: An den Laternenpfahl! / Laß baumeln sie und hängen lang, / Laß tönen laut und froh den Sang: / Hinweg, ihr Bourgeoisknechte, ihr Intellektuelln!!“ Dazu Milan Kundera 1979: „Sämtliche Kommunisten, die seinerzeit von anderen Kommunisten aufgehängt worden waren, hatte man mit diesem Schimpfwort belegt.“ Bei den 68ern dann sah Wolfgang Kraushaar „eine tiefsitzende Intellektuellenfeindschaft“: „Behält man aber dieses antiintellektuelle (Sprach-)Bewusstsein der Akteure im Gedächtnis und dazu die vorgeführte Formungsgeschichte des Schimpfworts, so erklärt sich plötzlich scheinbar Widersinniges: die erschreckende Neigung von 68ern zum Antisemitismus.“

 

Und zu Hitlers Auffassung erklärte Bering: „Sämtliche Gegner, die ihm je gefährlich geworden sind, hat er als ‚Intellektuelle‘ anprangern lassen“ – als Instrument, um jede Art von Gegnerschaft nieder zu halten. „Die Marxisten hatten ähnlich wie die Nazis ein Arsenal von Kennwörtern geformt, das jederzeit in Stellung gebracht werden konnte.“ Hans Paeschke formulierte deshalb 1947: „Wir brauchen heute vorerst nicht wiederum eine neue Weltanschauung, eine neue Literatur oder Malerei, wir brauchen ein neues Vokabular. Es geht um die Richtigstellung der Bezeichnungen.“ 

 

Was als inhaltliche Aufarbeitung der Nazizeit umgesetzt werden wollte, blockierten sogenannte Sprachkritiker: „Auslöschung der Nazi-verseuchten Begriffe stand auf dem Programm, keineswegs ihre Neudeutung und Rückeroberung. Also kam auch ‚intellektuell‘ auf den Index.“ Nach dieser „untauglichen ‚Bewältigung‘ der Nazi-Zeit“ griff erst mal kaum noch jemand zum altbewährten Schimpfwort. „Das wäre sicher inopportun gewesen, wenn man ja gerade den Vorwurf abwehren will, die alten Nazi-Zeiten feierten Urständ.“ Ihren kurzen Machthöhepunkt hatten die Intellektuellen laut Bering im Deutschen Herbst. Sie hatten großen Anteil daran, „dass die inzwischen gekräftigte Demokratie in ihrer gefährlichsten Krise nicht nach rechts abrutschte“. Soweit zum Hintergrund dieses Wortes. Berings favorisierte Eingangsfrage ist übrigens folgende: „Wer soll bei uns aus welchen Gründen zu welchen Zwecken ‚Intellektueller‘ genannt werden?“


1.10.2016

Beeindruckende Lebensformen

 

Zur Abwechslung kann man sich am langen Wochenende auch mal mit einem völlig anderen Lebensraum befassen. Die beeindruckende Doku „In ewiger Dunkelheit - Geschöpfe der Tiefsee“ zeigt kuriose Tiere wie etwa den bis zu 14 Meter langen Koloss-Kalmar, die ohne Sonnenlicht in eisiger Kälte und unter einem enormen Wasserdruck leben. An der tiefsten Stelle im Südpazifik – knapp 11.000 Meter – herrscht ein Wasserdruck von 1.100 bar. Zum Vergleich: Ab drei Metern Tiefe bei 0,3 bar kann einem Menschen schon das Trommelfell platzen. Die Tiefsee ist deshalb der am schwersten zu erreichende Ort, selbst das Weltall sei leichter zu erforschen. Sehenswert.


23.8.2016

Vorrat anlegen ein sinnvoller Hinweis

 

Man kann sich ja sowieso fortlaufend über die Bundesregierung aufregen, aber warum dies gerade in Bezug auf ihren Hinweis, die Bürger sollten sich Vorräte für eventuelle Notsituationen anlegen, lautstark und überall getan wird, erschließt sich mir ehrlich gesagt nicht. Ich halte diesen öffentlichen Hinweis im Rahmen des aktualisierten Zivilschutzkonzeptes sogar für die erste vernünftige Verlautbarung seit langem. Beim heutigen Einkauf habe ich jedenfalls auch ein paar Konserven gekauft. Eine Dose Thunfisch in Öl ist sogar bis 2021 haltbar, Getränkedosen sind es teils bis Herbst 2017. Einen Stromspenderstick habe ich ohnehin schon. Beim nächsten Einkauf sehe ich mich nochmal in Ruhe um, was sonst noch wichtig werden könnte. Die Sachen verstaue ich dann in meinem türkisgrünen Rucksack, der mir sowieso nicht mehr gefällt, und stelle ihn in eine dunkle Ecke auf dem Dachboden. Die ganze Aktion hat mich dann maximal drei Stunden Lebenszeit gekostet, in denen ich gleichzeitig wieder Neues dazu gelernt habe.

 

Nachtrag vom 31.8.: Siehe hierzu auch: "Umsetzung der Zivilverteidigungskonzeption"  


26.7.2016

Der gespenstische Europäer

 

Die Idee des verachtungswürdigen Europäers und der Überlegenheit aller anderen „vielfarbigen“ Völker ist schon seit mindestens 99 Jahren in der Welt. Hermann Hesse – sein „Narziss und Goldmund“ ist trotzdem ein Kunstwerk – verfasste 1917 die Kurzgeschichte „Der Europäer“, die sich wie eine inoffizielle Vorlage aus dem heutigen Brüssel liest: Der Mann aus Europa „bleibt uns aufbehalten als eine Mahnung und ein Antrieb, als ein Gespenst vielleicht. Fortpflanzen aber kann er sich nicht, es sei denn, er taucht wieder in den Strom der vielfarbigen Menschheit unter.“ Das Leben auf der „neuen Erde“ werde er nicht mehr verderben dürfen: „Seid getrost!“ Die Geschichte zeigt deutlich auf, wie solch gestaltete Abwertung mit grundständigem Rassismus einhergeht. Hier steht sie im Netz (Hinweis 2018: inzwischen aus dem Internet entfernt)


9.7.2016

Das Schnarchen braver Bürger

 

„…Ideen liegen mir vollständig fern, und den Kopf will ich mir unter keinen Umständen zerbrechen, ich überlasse das leitenden Staatsmännern. Dafür bin ich ja ein guter Bürger, damit ich Ruhe habe, damit ich den Kopf nicht anzustrengen brauche, damit mir Ideen völlig fern liegen und damit ich mich vor zu vielem Denken ängstlich fürchten darf…“, Basta: Eine kurze und aussagekräftige Wochenendlektüre von Robert Walser.


4.7.2016

Über das „Geschoss der Globalisierung“

 

Manchen mag es vielleicht spielverderberisch erscheinen, aber die teils herrliche Wortakrobatik über den „entbrasilianisierten“ Ronaldinho und das trotzdem „immer stärker in nationale Geiselhaft“ genommene, aus Kunststoff bestehende runde Leder, über Büstenhalter mit Ballkörbchen und über von Politikern beschmatzte Spieler darf nicht unerwähnt bleiben:

Eine herrliche Fußballkritik von Dr. Malte Olschewski in der Spreezeitung


23.6.2016

Politisierung der Gefühle

 

Sachlichkeit ist out. Was in ist, erklärt zum Beispiel „trendquest“, ein führendes „Strategie-Think Tank für Zukunftsforschung und Behavioral Economics in Deutschland“. Das Unternehmen für „Sozio-ökonomische Trendforschung“ bietet strategische Beratung für Zukunftsfragen und Wirt-schaftsentwicklung. Das Motto: „Emotion Sells!“ und das am besten über die soziale Schiene: „Social Emotion im Trend!“ Der Leitspruch: „Wie man mit Emotionen besser ankommt als mit rationalen Argumenten.“ Ganz unverblümt stellt trendquest fest: Auch Politiker und Aktivisten argumentieren zunehmend weniger sachlich. Sie erreichten zunehmend „mehr Politik-Punkte unter Nutzung starker Gefühls-und Drama-Taktiken“. Ob das stimmt, darf man angesichts des Klärungsbedarfs in der Bevölkerung im Rahmen der aktuellen Herausforderungen bezweifeln. 

 

Interessant an der Sache ist, der dahinter stehenden Absicht auf die Spur zu kommen. Behavioral Economics bedeutet Verhaltensökonomik und wird in einem FAZ-Artikel wohlwollend als „menschlich gewordene“ Volkswirtschaft erklärt. Kritisch hingegen widmet sich Heise der „hochgepushten Verhaltensökonomie“ und zieht direkten Vergleich zum Behaviorismus aus der Psychologie, der sich in seiner Theorie nicht auf kognitive und emotionale Prozesse (Black Box), sondern vornehmlich auf die Reiz-Reaktionskette konzentriert und die Konditionierbarkeit menschlichen Verhaltens zu begründen versucht. Den Zusammenhang von Behavioral Economics und dem psychologischen Behaviorismus stellen allerdings andere Autoren empört in Abrede: die Verhaltensökonomie widme sich gerade der Black Box. Das ist verwirrend. Nicht weniger verwirrend wäre ein Trend, der Emotionen ihrem Wesensgehalt enthebt und die übrig gebliebenen Worthülsen für die Reiz-Reaktionskette funktionalisiert. Die Menschen könnten dann glauben, sie seien voller Social Emotion, obwohl sie keinerlei Gefühl erleben, sondern nur konditionierte Reiz-Reaktionsmuster abspielen.  

 

Es wäre in diesem Fall schon ratsam sich darum zu bemühen, wieder auf den Boden der eigenen Gefühle zu kommen. Es lohnte sich nicht nur der Lebensintensität wegen. Innere Achtsamkeit ist notwendig, um eigenständig – also ohne Zuhilfenahme banaler Erläuterungen von hergelaufenen Medienleuten – feststellen zu können, wem man vertrauen will und wem nicht; warum Angst auch schon mal ein guter Ratgeber ist; wo der viel beschworene „Hass“ in der Gesellschaft tatsächlich auftritt und dass die Politisierung der Gefühle letztendlich ein inhumaner Trend, jedenfalls aber kein lukratives Geschäft ist – weil die durch „Emotion Sells“ erkaufte Zuneigung nicht auf Überzeugung, sondern auf Gedankenlosigkeit beruht und deshalb nichts wert ist. 


9.5.2016

Einsamkeitsphobie: Emanzipation ade? 

 

„Das Internetzeitalter hat die Allzeitverbundenheit zum Ideal erhoben“ und „ächtet zugleich den, der sich ihr entzieht. Ihr Credo:…wir sind nur glücklich, wenn wir uns als soziale Wesen spüren…Die Folge: Eine ungeheure Einsamkeitsphobie regiert unsere Zeit. Alles, nur nicht einsam sein. Wer sich zur Einsamkeit bekennt, wird als unvollkommen betrachtet, als Hinterwäldler, als Versager.“ Martin Hecht schrieb dies in einem Beitrag für Psychologie heute. Aus aktueller Feedbackerfahrung als allein reisende Frau heraus wird an dieser Stelle eine Bresche geschlagen für die Vorzüge des Alleinseins und gegen zunehmenden Kollektivismus, der sich im Übrigen in dem Maße von der Menschenrechtsidee entfernt, wie er die Entpersönlichung und den Mangel an Eigenständigkeit nach sich zieht. Erinnert sei an den langen Zeitraum, in dem die positiven Seiten der Einsamkeit thematisiert wurden. Denn: „Kulturgeschichtlich gerät die Einsamkeit erst mit dem Beginn der Moderne unter Generalverdacht“, meint Hecht. Bereits im 16. Jahrhundert befand Michel de Montaigne: Die Seele kann „sich selbst Gesellschaft leisten. Sie hat genug anzugreifen und zu verteidigen, genug von sich zu geben und von sich zu empfangen.“ Der Philosoph Henry Thoreau sprach im 19. Jahrhundert davon als „klare, kräuselnde Heiterkeit“, die einer inneren Freiheit folgt. Fast zeitgleich schrieb Arthur Schopenhauer: „…wer also nicht die Einsamkeit liebt, der liebt auch nicht die Freiheit: Denn nur, wann man allein ist, ist man frei. Zwang ist der unzertrennliche Gefährte jeder Gesellschaft.“ Und nach Hermann Hesse ist Einsamkeit etwas zutiefst Menschliches, eine „anthropologische Konstante“. Bedauerlich findet Martin Hecht, dass diese schönen Seiten des durchaus ambivalenten Alleinseins derzeit in Vergessenheit geraten. 

 

Auf die Dringlichkeit, die emanzipative Gesellschaft zu verteidigen, weist aktuell auch Bassam Tibi in einem Beitrag für die Welt hin: „Köln war nur der Anfang“, konstatiert der Syrer und staunt „über das Unwissen und die Naivität der Bundeskanzlerin“ gegenüber jungen Männern, die eine Kultur der Gewalt, auch gegenüber Frauen, mit sich aus Nahost nach Deutschland bringen. „Die Silvesternacht in Köln ist nur ein Beweis hierfür und kein Einzelfall, wie uns Politiker vormachen wollen, um die Bedeutung der Angelegenheit herunterzuspielen.“ Das Frauenbild in der arabischen Kultur sei patriarchalisch und menschenverachtend und dürfe "in Europa nicht unter dem Mantel des Respekts für andere Kulturen geduldet werden“. Deutsche Politiker verstünden die Dimension der Probleme nicht. Während sie „in einem deutschen Pathos des Absoluten“ (Adorno) „über Toleranz und das Elend der Flüchtlinge reden, lachen viele Islamisten verächtlich“.


3.5.2016

Applaudierend in den Weltuntergang?

 

Ganz so pessimistisch sollte man vielleicht nicht sein, dennoch verdienen es die Gedanken des dänischen Philosophen Søren Kierkegaard, der am 5. Mai 203 Jahre alt geworden wäre, hin und wieder wach gerufen zu werden. In Korrelation zu seinem Ausspruch „Je weniger Geist, desto weniger Angst“ stellte er sich folgende Situation vor: „In einem Theater brach hinter den Kulissen Feuer aus. Der Pierrot trat an die Rampe, um das Publikum davon zu unterrichten. Man glaubte, es sei ein Witz und applaudierte. Er wiederholte seine Mitteilung; man jubelte noch mehr.“ Und seine übertragene Schlussfolgerung: „So denk ich mir, dass die Welt untergehen wird: unter dem allgemeinen Jubel der witzigen Köpfe, die glauben, das sei ein Witz.“ Wesentlich geändert haben sich die Menschen ja nicht seit dazumal. Man wiegt sich halt vielfach immer noch in wohliger Sicherheit, aus der heraus einer einzig aus dem Grund applaudiert, weil es ein anderer tut. Wie lange man es sich hierzulande noch leisten kann, Gefahren einfach nicht ernst zu nehmen, wird sich zeigen.


29.4.2016

Politische Klarheit dazumal

 

Die Welt titelt im Februar 2002 zur Vorstellung der Islamischen Charta: „Kirchen und Politiker bleiben skeptisch.“ Die grüne Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Christa Nickels, gibt sich nicht mit der Beteuerung zufrieden, dass ein klerikaler Gottesstaat nicht angestrebt wird: „Ich möchte eine ganz klare Absage an die islamische Rechtsordnung, die Scharia.“ Zum Thema Zwangsverheiratung: „Ich möchte hören, dass man diese Praxis eindeutig zurückweist.“ Und noch eine klare Frage: „Ist die Charta mit ihrem Ja zum Grundgesetz eine moslemische Diaspora-Erklärung, oder ist dieses Bekenntnis das Produkt eigener, tiefer Überzeugung?“ Außerdem Wolfgang Schäuble noch im Sommer 2009*: „Aber das bedeutet nicht, dass wir den neu zu uns Hinzugekommenen zuliebe all das aufgeben sollten, was traditionell zu unserer eigenen Kultur gehört…Ich bezweifle auch ausdrücklich, dass uns eine solche Abstinenz irgendeinen Ansehensgewinn bei unseren islamischen Mitbürgern oder in islamischen Ländern bringen würde.“ Geändert hat sich nicht die Sachlage, sondern nur der Umgang damit. Warum?

 

*Die Quelle unter http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Reden/DE/2009/06/bm_lacdj.html wurde inzwischen vom Bundesinnenministerium gelöscht.


15.4.2016

Warnungen syrisch-orthodoxer Christen

 

Aufgrund ihrer Lebenserfahrung aus Krisenregionen wäre es angebracht, die Stimmen syrisch-orthodoxer Christen zur Flüchtlingskrise zu berücksichtigen. Ganz schnörkellos äußerte sich jetzt Dionysos Isa Gürbüz, syrisch-orthodoxer Bischof in der Schweiz, im schweizerischen Tagesanzeiger: „In 20, 30 Jahren wird es in Europa eine muslimische Mehrheit geben. Die Hälfte der europäischen Frauen wird dann einen Hijab tragen.“ Seine Begründung: „Die Anzahl kinderreicher Muslime würde schnell wachsen, die Macht übernehmen und mit der Verfolgung anfangen.“ Was im Nahen Osten geschieht, werde auch in Europa passieren, das habe ihn die Geschichte der Christenverfolgung gelehrt. Letztlich akzeptiere der Islam keine Demokratie. Es sei ihm „ein dringendes Anliegen“, gerade politisch korrekte Kirchen zur Wachsamkeit aufzurufen. „Es sei naiv zu glauben, dass sich die Millionen von Flüchtlingen, die jetzt über die Türkei nach Europa kämen, alle anpassen und mit den Christen in Europa in Frieden zusammenleben würden.“ Gürbüz betonte, nicht zum Hass aufzurufen. Auch andere christliche Bischöfe aus dem Nahen Osten seien diesbezüglich misstrauisch.

 

So auch Hatune Dogan, eine syrisch-orthodoxe Klosterschwester und Leiterin der Stiftung „Helfende Hände“: „Wir dürfen nicht die Wölfe ins Land lassen und die Schafe draußen lassen“, sagte sie dem Stadt-Kurier. Die Türen für Flüchtlinge sollten offen bleiben, insbesondere für traumatisierte Kinder und Frauen. Es würden aber nicht alle Syrer verfolgt und Politiker sollten darauf achten, wem sie Unterschlupf gewähren. „Im Zeichen des Koran passieren unglaubliche Gräueltaten.“ Daher fordert sie die Schließung der Koranschulen in Deutschland. Ihre Erfahrung mit einer befreundeten Familie: Seit deren Sohn die Koranschule besucht, spricht er nicht mehr mit den Nachbarn, da er jetzt „ein echter Moslem“ sei, die deutsche Familie aber „ungläubig und schmutzig“. Der Koran verbiete Freundschaft mit Ungläubigen; „schlimmer noch, man müsse sie töten“ und das Kind nehme ernst, was ihm gelehrt wird, so Schwester Hatune. Auch sie betonte, nicht alle Moslems angreifen zu wollen: „Ich rede hier von der Familie der Salafisten – vom Islamischen Staat bis zu Boko Haram und Al Kaida.“ Um der Bildung von Parallelgesellschaften entgegenzuwirken ist für sie klar: „Wer sich nicht an unseren demokratischen Gesetze hält, hat hier nichts zu suchen.“ Klartext sprach die Ordensschwester bereits 2011 beim Kongress „Christenverfolgung heute“: Die an Christen verübten unvorstellbaren Gräuel islamischer Extremisten würden von hiesigen Medien verschwiegen oder verharmlost. Redaktionen befürchteten wohl, ins Kreuzfeuer islamischer Extremisten zu geraten.


11.4.2016

Gepflegte elitäre Widersprüche

 

Das gilt es festzuhalten, insbesondere auch deshalb, weil die inzwischen üblich gewordenen Diskriminierungen medien- und politikkritischer Bürger seitens des Bundespräsidenten (da herrsche „Freude an der Dummheit“) diese ungewohnt klaren Aussagen vernebeln könnten. Es geht um eine Podiumsdiskussion im Schloss Bellevue anlässlich des Forums „Flüchtlinge in Deutschland: Integration ermöglichen - Zusammenarbeit stärken“, die Phoenix gestern ausstrahlte. Interessant war die Diskussion einerseits aufgrund der unverblümten Selbstkritik von Giovanni di Lorenzo: Journalisten hätten sich im Rahmen der Flüchtlingspolitik auf nüchterne Berichterstattung beschränken sollen, anstatt diese mitgestalten zu wollen. Objektiv beschreiben was Sache ist, erinnerte der Zeit-Chefredakteur an das eigentliche Handwerk des Journalismus. Und sinngemäß: Man dürfe den Leuten schon zutrauen, dass sie mit Fakten umgehen können; die Mehrheit sei jedenfalls nicht ausländerfeindlich. 

 

Erfrischend offen und ehrlich beteiligte sich auch der Sozialphilosoph Hans Joas, (noch) Honorarprofessor an der Berlinere Humboldt-Universität. Ein paar Schmankerl: Wer sich für Menschenrechte einsetzt, muss nicht gegen nationale Grenzen sein. Zur Süddeutschen Zeitung: diese sei unter Heribert Prantl zum Kampagnenblatt verkommen, bei dem man schon im Vorhinein weiß, bei welchem Thema man wie indoktriniert werden soll. Sinngemäß zur Evangelischen Kirche in Deutschland: Es sei unseriös, direkt aus dem Evangelium Argumente für die Flüchtlingspolitik abzuleiten. Und überhaupt: Allein heute habe er schon dreimal die Frage gehört: Darf man hier offen sagen, was man denkt? Warum nur die Leute auf diese Idee kommen, stellte der kritische Professor in den Raum. Der Bundespräsident beschloss die Podiumsdiskussion – in völligem Widerspruch zu seinen nur kurz zuvor ausgeführten Attacken gegen politik- und medienverdrossene Bürger – mit dem Appell, sich gegenseitig zu achten und die Menschenwürde zu respektieren. Na dann: möge man im Schloss Bellevue damit beginnen.     


19.3.2016

Zerstörungswahnsinn

 

Kürzlich lief auf arte „Verlorene Welten – Zerstörtes Kulturerbe im Orient“. Die Vernichtung der Kulturgüter durch Islamisten schreitet „mit atemberaubender Geschwindigkeit“ voran, heißt es darin. Der Vordere Orient ist ein „Meilenstein der Weltgeschichte“ und die „Wiege der Kultur“. Die Erfindung der Schrift ist dort ebenso zu verorten wie die (über Abraham) gemeinsame Wurzel der Weltreligionen. Im „fruchtbaren Halbmond“ Anatoliens finden sich bis zu 12.000 Jahre alte Tempel. Die Zerstörung sei „beispiellos in der Radikalität“. Ein Archäologe: „Es ist das Schlimmste, was ich in meinem Beruf je erlebt habe.“ Es steht zu befürchten, dass weitere Teile dieses Weltkulturerbes für immer verloren gehen.


10.2.2016

Sensible Riesen

 

Aufgrund des Ärgers, der mich bezüglich der Lage und des öffentlichen Umgangs damit häufig ergreift, bin ich in der letzten Zeit selbst ab und an respektlos geworden –  entgegen meines eigenen Anspruchs. Zum Zweck der eigentherapeutischen Beruhigung habe ich dann gerade die Tierdoku „Terra Mater: Der Geist der Grauen Riesen“ angeschaut. Prädikat: wertvoll. Es ging um die „empfindsamen“ und „verständnisvollen“ Elefanten. Von ihnen könne man „noch viel lernen über Zusammenhalt, Mitgefühl und Anteilnahme“, so der Naturfilmer Dereck Joubert. Elefanten mögen kein Durcheinander und keinen Stress. Am liebsten haben sie es ganz entspannt. Der Rüssel ist ihr Allzweckorgan: 60.000 Muskeln darin sorgen für flexible Beweglichkeit. Nach der Geburt eines Elefantenbabys zieht damit die Mutter ihre Plazenta durch den Sand, damit der Geruch nicht falsche Gefährten anlockt. Besonders beeindruckend sind ihre schon zärtlich anmutenden Totenwachen. Eine wundervolle Welt ist das, in der wir leben. Hoffentlich geht sie nicht kaputt. 


5.2.2016

Dichte Schotten statt bunter Vielfalt

 

Wenn ich nicht mehr weiter weiß, bild' ich einen Arbeitskreis: Offenbar gibt es an der Technischen Uni Dortmund schon so viele davon, dass selbst dieses Ablenkungsmanöver nicht mehr zur Befriedung der Angelegenheit angedacht wird: Nach monatelangem Streit um die Nutzung des "Raums der Stille" wird dieser nun einfach geschlossen und umfunktioniert; für die Forschung oder als Babyraum. Im Vorfeld versahen muslimische Studenten einen Großteil des Raums mit Gebetsteppichen und forderten Frauen auf, Kopftücher und kein Parfüm zu tragen. Was nun in der Rechtfertigung des Rektorats wie eine Distanzierung von überheblichen Forderungen seitens Muslimen wirkt - der Raum dürfe nicht von ihnen für eigene Zwecke umfunktioniert werden -, ist durch die Schließung des Raums de facto eine Preisgabe eigener Traditionen. Die Verbannung religiöser Rückzugsräume aus der Öffentlichkeit wegen fehlender Bereitschaft die Vielfalt zu managen mag manchen Atheisten entgegenkommen. Vielleicht aber denken sie eines Tages, wenn es um mehr geht als das, auch anders darüber.   

 

Siehe auch: Diskriminierung im Namen Allahs – Uni Essen schließt Gebetsraum 


1.2.2016

Streitbarkeit statt Allparteilichkeit

 

Claudia Roth beim Neujahrsempfang der Grünen in Schweinfurt: "Es kann mir nicht gut gehen, wenn es meinem Nachbarn schlecht geht." Fragt sich nur, wie viel empathische Parteilichkeit den einzelnen Nachbarn jeweils zuteil wird. Wie sich diese bei der grünen "Menschenrechtspartei" im Fall der Täter und Opfer der Kölner Sexattacken sowie der daran unbeteiligten einheimischen Männer verteilt, ist hinreichend klar geworden. Bleibt anzumerken: Sollte sich hier jemand des Prinzips der aus der kontextuellen Familientherapie geklauten und teils schon zur Ideologie avancierten Allparteilichkeit bedienen wollen, dem sei dieser Standpunkt zum Nutzen von Streitbarkeit zur Lektüre empfohlen, der gleichzeitig eine grundsätzliche Anleitung zur Diskursbefähigung sein könnte und sollte. 


6.1.2016

2016: Ein klarer Blick ist ein klarer Blick

 

„Weshalb heißen besorgte Bürger nicht einfach Mischpoke, Pack, Spinner, Rechtspopulisten oder Pöbel“, dachten die Leute im Scheinwerferlicht und lächelten stolz über ihren Einfall. Also sagten sie von da an zu den besorgten Bürgern wahlweise Mischpoke, Pack, Spinner, Rechtspopulisten oder Pöbel, machten ihre Hassbotschaften überall bekannt und hofften, dass die besorgten Bürger dann keine Sorgen mehr aussprechen. Und weil das recht gut funktionierte, benannten sie bald auch andere Wörter um. 

 

So beschloss man, unbequeme Sachinformationen künftig rassistische Hetze zu nennen. Zur Kulturpflege sagten sie Nationalismus und zur Empörung künftig Hass. Aufklärung nannten sie Verschwörungstheorie und aus dem Wort interessant wurde das Wort krude, während lustig nun anstelle von niveaulos stand. Die Vereinsvetterleswirtschaft hieß jetzt Kampf gegen Rechts. Aus konservativ wurde rechtsextrem, aus linksextrem wurde autonom, aus der Heuchelei der Anstand und aus der Autokratie die Demokratie. Zwangsmoral bezeichneten sie als Freiheit, das Diktat als Debatte, die Ausrede als Verantwortung und die Agitation als Journalismus. Wer etwas auf den Punkt brachte der spaltete jetzt, wer tatsächlich spaltete war mutig, während Mutige als verantwortungslos galten.  

 

Sie übten viele Tage sich die neuen Bezeichnungen einzuprägen und sie überall zu verbreiten. Ihre neue Sprache hegten und pflegten sie. Manch einer träumte gar schon in ihr. Jenen wurde sie wie eine zweite Haut, ohne die sie kaum noch atmen konnten.  

 

Die unbesorgten Bürger indessen wollten von den Leuten im Scheinwerferlicht alles annehmen, weil sie sich damit im Schein der Anständigen wähnten. Daher nahmen sie auch die neue Sprachregelung für die besorgten Bürger an und setzten sich eine rosafarbene Brille auf, damit ein klarer Blick die Harmonie nicht störe.  

 

Da trug es sich aber zu, dass die Realität gewaltig einschlug. Die rosafarbenen Brillen beschlu-gen sich dadurch hartnäckig. Manche ließen ihre Brille trotzdem weiterhin auf und waren fortan fast blind. Doch es gab auch welche, die sie absetzten und den klaren Blick riskierten. Jene werden erkennen und eines Tages vielleicht auch kämpfen, für eine möglichst gewaltfreie Welt…

 

Der Beitrag entstand nach Anregung von Peter Bichsel’s „Ein Tisch ist ein Tisch“.