1.2.2016

Macht durch negative Bindung

 

Hitler als Comic-Figur: gepostet von der rheinland-pfälzischen Grünenministerin Eveline Lemke. Der Unsinn sollte eine Kritik an Julia Klöckner darstellen. Es ist Wahlkampf. 

 

Hitler als Teddybär: „Teddybären können gefährlich sein“, so die Überschrift im Rahmen der norwegischen Plakatkampagne. Soll heißen: Staub im Kinderzimmer kann zu Asthma und Allergien führen. „Waschen Sie Kuscheltiere vier Mal im Jahr.“ 

 

Der Zeitzeuge Sebastian Haffner schrieb 1940: „Wenn wir Hitler loswerden wollen, muss er dreifach ausgetilgt werden – als Institution, als Mensch, als Legende.“ Wer die damalige Zeit jenseits von aktionistischer Meinungsmache tatsächlich verstehen und aufarbeiten will, dem sei Haffners Charakterstudie „Germany: Jekyll & Hyde“ wärmstens empfohlen.


29.1.2013

Psyche der Nazis: Aufklärung ohne Konsequenzen

 

„Die Psyche der Nazis“ ist der Titel einer Sendung auf n-tv, die endlich einmal versucht die damalige Situation zu verstehen, anstatt sie immer nur zu reproduzieren. „Ideen haben immer Konsequenzen“, hieß es. Was konsequenterweise folgen müsste, wollte man aus der Geschichte konstruktiv lernen, soll einmal anhand einiger Punkte gezeigt werden:

 

▪ Die NS-Ideologie war ein Kult, der auf dem Mythos einer arischen Herrenrasse fußte. Die SS-Aktivisten waren die Priester, dazu angehalten, dem Volk diesen Aberglauben als neue Staatsreligion mittels Gehirnwäsche einzutrichtern. Heidnisch-okkultische Bräuche wurden praktiziert, um diesem Kult Leben einzuhauchen. Die Kirche stand dabei im Weg. Also wurde versucht, die 2000-jährige christliche Geschichte rückgängig zu machen. 

 

Was man daraus lernen könnte: Das Christentum als Bestandteil unserer Kultur wertzuschätzen, um okkultischem Aberglauben keinen Raum zu geben, sich zu verbreiten. Medialen Hetzkampagnen gegen die Kirche zu widersprechen. Die – mittlerweile betont antichristlich und heidnisch-okkultisch gefeierten – Halloweenpartys zu hinterfragen, anstatt sie mit Millionen von Euros zu unterfüttern.

 

▪ Die Mittel der Nazis waren: Denunziation, Manipulation, Propaganda und Gewalt. Friedlich zu leben war nicht Teil ihres Programms.

 

Was man daraus lernen könnte: Nicht Opfer von Denunziation und Manipulation gesell-schaftlich zu ächten, sondern Täter. Gezielte Täuschungsabsichten öffentlichkeitswirksam zu entlarven. Politische Aussagen letztlich immer dahingehend zu prüfen, ob ihre Durchsetzung langfristig gesehen auch das friedliche Zusammenleben fördert.

 

▪ Gehorsamkeit setzten die Nazis durch, indem sie die Menschen penetrant und unter Androhung von Strafe gezwungen haben, gegen ihre Moralvorstellungen zu handeln – bis sie diese vergessen und die Vorstellungen der Nazis angenommen haben.

 

Was man daraus lernen könnte: Den Menschen bewährte Moralvorstellungen zu Familie, Sexualität etcetera zu lassen, anstatt sie ihnen unter Androhung von Strafe abzuerziehen.

 

▪ Nazis verdrehten wissenschaftliche Erkenntnisse, damit sie ins Weltbild passen.

 

Was man daraus lernen könnte: Bei Beurteilung eines Sachverhalts immer auch den eigenen gesunden Menschenverstand einzubeziehen, denn Wissenschaft im Auftrag ist nie so objektiv, wie sie es sein könnte.

 

▪ Die Nazis betrieben Umerziehung im kollektivistischen Sinne: Alleine ist das Individuum nicht mehr als ein kleiner Wurm, nur in der Masse hat es eine Bedeutung. Unter Missbrauch von Darwins Evolutionstheorie wurde propagiert: Die Stärkeren, und das sind jene, die sich anpassen, gewinnen.

 

Was man daraus lernen könnte: Der Preis, den Anpasser und Mitläufer früher oder später zu bezahlen haben, kann unabsehbar hoch ausfallen. Schwarmintelligenz kann den größten Schmarrn produzieren. Wer die Besonderheit eines jeden Individuums leugnet, diskriminiert im Sinne mensch-enrechtlich verstandener Menschenwürde. Das ist der Türöffner für menschenverachtende Praktiken.


7.7.2014

Fußballpolitik

 

„Die Naziführer beabsichtigen, aus Deutschland einen gigantischen Sportclub zu machen“, schrieb Sebastian Haffner 1939. So weit, so erstaunlich, sieht man sich die gängigen Sprüche an: Politik ist ein Mannschaftsspiel, die Bundesregierung solle sich doch ein Beispiel an der Nationalmannschaft nehmen, Angriff, Sturm, Tor. Heute stehen die Macher der Fußballpolitik zwar nicht mehr vor der Entscheidung, Naziführer zu sportlichen Großereignissen einzuladen – wie 1978, als der DFB-Präsident dafür sorgte, dass der frühere Nazigeneral Hans-Ulrich Rudel Ehrengast bei der Fußball-WM in Argentinien war. Wie aber ist es tatsächlich bestellt um die Distanz zur damaligen Mentalität? Jenseits der Mauer übrigens hatte die SED erst mal allerhand mit den Anhängern des unpolitischen Sports zu tun.  In einem Protokoll des SED-Politbüros stellte man 1949 entsetzt fest: „Das Niveau der politischen Aufklärungsarbeit unter den Sportlern ist äußerst niedrig, ja, es gibt nicht wenige Beispiele, in denen verantwortliche Funktionäre der Partei nicht nur vor der reaktio-nären Argumentation vom unpolitischen Sport oder Sport ohne Politik zurückweichen, sondern sich selbst als Verfechter dieser reaktionären Thesen aufwerfen." Na, auch dort hat es dann ja später doch noch geklappt mit den politischen Eingriffen ins Sportgeschehen. Und das nicht zu knapp.


17.6.2013

Aufarbeitungsindustrie: Es fehlt das innere Feuer

 

Ein Interview mit dem Bürgerrechtler Carl-Wolfgang Holzapfel

 

Vor 23 Jahren musste er als offizieller Nationalfeiertag weichen: der Gedenktag an den Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953. Das hält allerdings den Bürgerrechtler Carl-Wolfgang Holzapfel nicht davon ab, die Bedeutung dieses Tages zu würdigen. 

 

SB: Herr Holzapfel, wo waren Sie am 17. Juni 1953 und was haben Sie an diesem Tag getan? 

 

Holzapfel: Da gibt es nur eine Erinnerung: Ich war neun Jahre alt, wohnte in West-Berlin und unsere Großmutter verbot uns, auf die Straße zu gehen: „Kinder, die Panzer kommen.“ Die verbindende Erinnerung entstand erst drei Jahre später mit der aktiven Verfolgung des Aufstands in Ungarn. Das war die Initialzündung, dieser verzweifelte Ruf nach Hilfe über Radio Budapest. Von da an gehörte mein Herz dem Freiheitskampf.

 

SB: Nun steht der 60. Gedenktag des 17. Juni 1953 vor der Tür. Wie werden Sie sich an diesem Tag einbringen?

 

Holzapfel: Wir werden, wie seit sechs Jahrzehnten, die Toten dieses für Deutschland und Europa so wichtigen Aufstandes ehren. Das beginnt traditionsgemäß am Vorabend mit der Ehrung am einzigen originären Mahnmal, am Holzkreuz in Berlin-Zehlendorf, und setzt sich am nächsten Tag mit diversen Erinnerungen fort. Dem Staatsakt auf dem Friedhof Seestraße wird die größte Aufmerksamkeit gewidmet. Immerhin nehmen alle zehn Jahre die Spitzen des Staates daran teil. In diesem Jahr wird die Bundeskanzlerin sogar die Ansprache halten. Unser Verein ist als einziger Verband traditionsgemäß an der feierlichen Kranzniederlegung direkt beteiligt.

 

SB: Sie sind in West-Berlin aufgewachsen und wohnten auch später nie auf DDR-Gebiet… 

 

Holzapfel: Na ja, bis auf Hohenschönhausen und Bautzen II von 1965 bis 1966. 

 

SB: Welche Bedeutung hat für Sie der Volksaufstand und weshalb interessieren Sie sich dafür?

 

Holzapfel: Die Bedeutung des Aufstands in Mitteldeutschland begriff ich erst durch die intensive Aufnahme der Ungarischen Revolution von 1956. Ich war zwölf Jahre alt und begann, mich mit dem Widerstand gegen totalitäre Strukturen auseinanderzusetzen. Mit 13 Jahren schrieb ich ein interaktives Theaterskript über den Ungarn­aufstand. Es beschreibt den dramatischen Kampf zwischen Budlap (Budapest) und Kremlowski (Kreml). Im Alter von 14 schrieb ich dann ein 60 Artikel umfassendes „Deutschlandpapier“, in dem ich eine mir möglich erscheinende Lösung der Teilung Deutschlands entwarf. Die Veröffentlichung im Berliner „Telegraf“ scheiterte an einem erneuten Heimaufenthalt, diesmal in Westdeutschland. Ich stamme aus einer Scheidungsfamilie, das war alles sehr kompliziert.

 

SB: „Volksaufstand“ und „Arbeiteraufstand“ sind ja die gängigen Bezeichnungen für den 17. Juni. Ausgelöst wurde er durch Verkündung der Normenerhöhung durch das SED-Regime: Bürger sollten mehr arbeiten, allerdings ohne Lohnerhöhung. Welche Bezeichnung ziehen Sie vor und warum?

 

Holzapfel: Gehen wir davon aus, das Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli 1944 war ein Aufstand der Intelligenz mit Planung von oben, aber ohne Beteiligung des Volkes, so war der 17. Juni 1953 in der Tat ein Arbeiteraufstand von unten, ohne Führung. Beide hätten Aussicht auf Erfolg gehabt, wenn ihnen nicht jeweils ein wesentlicher Faktor gefehlt hätte. Diese Tragödien, die den Ausgang beider, wenn auch sehr unterschiedlichen Aufstände bestimmten, werden viel zu wenig beachtet. Der 17. Juni war von seinem Ursprung her ein Arbeiteraufstand und wuchs sich in seiner kurzen, aber heftigen Entwicklung zum Volksaufstand aus, wobei der größere Teil des Volkes (im Westen) nicht einmal „Gewehr bei Fuß“ stand. Das hatte auf der Westseite mehr den Status des interessierten Beobachters, den das Ganze im Grunde aber nichts anging. Erst danach erwuchs das Gedenken, das wir Ernst Reuter, Ernst Scharnowski, Konrad Adenauer und Herbert Wehner verdanken.

 

SB: Für Ihr Freiheitsverständnis investierten Sie bereits einiges an Zeit und Energie, nicht nur zu DDR-Zeiten. Im Juni 2005 protestierten Sie mittels Hungerstreik vor dem Bundesfinanzministerium gegen die Abnahme der dortigen Erinnerungstafeln an den 17. Juni, allerdings erfolglos. Welche Po-litiker waren für die Abnahme verantwortlich? Und welche Antwort erhielten Sie auf Ihren Protest?

 

Holzapfel: Na ja, ich bin ja Bankkaufmann und als Investment würde ich mein Engagement nicht bezeichnen wollen. Ich brach nach dem Bau der Mauer eine Lehre in Hamburg ab und kehrte nach Berlin zurück. Als ich die Mauer das erste Mal sah, brach ich in Tränen aus. Ich war fassungslos, dass so etwas nach all den Geschehnissen im Dritten Reich im Herzen Europas möglich war: quer durch eine Millionenstadt eine tödliche Mauer zu ziehen. Und ich schwor mir vor der zugemauerten Versöhnungskirche, nicht eher zu ruhen, bis entweder diese Mauer fallen oder ich nicht mehr leben würde. Daran habe ich mich gehalten.

 

In der Tat hungerte ich 2005 vor dem Bundesfinanzministerium neun Tage lang aus Protest gegen die Entfernung der großen Erinnerungstafeln am Gebäude. Daraus wurde dann die „Ersatzforderung“, das Areal vor dem Ministerium in „Platz des 17. Juni“ zu benennen. Seither demonstrieren wir jedes Jahr zum 17. Juni dafür. Leider ist außer der Errichtung von Bildtafeln, die wir auch anregten, noch nichts geschehen. In diesem Jahr soll es endlich soweit sein. Wir rechnen damit, dass am 16. Juni das Gedenkareal in „Platz des Volksaufstandes von 1953“ benannt wird. Der jetzige Finanzminister ist da offensichtlich geschichtsbewusster als sein Vorvorgänger Hans Eichel, der seinerzeit unter Zuhilfenahme eines in diesem Fall zweifelhaften Denkmalschutzes die Tafeln entfernen ließ.

 

SB: Sehen Sie dies als Zeichen, dass dem Gedenktag zukünftig wieder mehr Ehre zuteil wird?

 

Holzapfel: Bei allem Respekt vor dieser 23 Jahre nach der Einheit überfälligen Rückkehr des Gedenkens an den Ort des Geschehens, müssen wir realistisch bleiben: Der Volksaufstand hat nicht mehr den Stellenwert im Bewusstsein unseres Volkes, der ihm als erster Aufstand gegen den Kommunismus nach 1945 in Europa zukommt.

 

SB: Menschen, die sich für mehr Aufmerksamkeit für den 17. Juni 1953 einsetzen, wollen offenbar der Bevölkerung etwas vermitteln. Was genau ist das?

 

Holzapfel: Die Deutschen waren international und aus ihrem Selbstverständnis heraus diskreditiert als Bücklinge, als kritiklose Jasager „nach oben“. Der 17. Juni bewies in der neueren Zeit das Gegenteil. Nur acht Jahre nach dem Ende des braunen Desasters standen deutsche Arbeiter wider ihre diktatorische Obrigkeit auf. Ein Fanal! Und dieses Fanal war Beispiel und Ausgangspunkt für die Erhebungen in Posen (Polen) und Ungarn 1956, für den Widerstand in der damaligen CSSR 1967 und wieder in Polen 1980 mit der Gewerkschaftsbewegung. Es sollte uns nachdenklich stimmen, dass der 17. Juni in Polen, der Tschechei und Ungarn einen weit höheren Stellenwert hat als bei uns in Deutschland. Es wäre Zeit, sich aus dem historischen Trauma zu lösen und Geschichte wieder lebendig, als immerwährenden Auftrag und Wegbegleiter wahrzunehmen.

 

SB: Wie könnte diese Geschichte wieder lebendig werden?

 

Holzapfel: Zunächst einmal war und ist die Politik gefordert. Sie prägt das öffentliche Bewusstsein. Versagt sie in diesem Punkt, versagt auch die Erinnerung. Der Bundespräsident, der Bundeskanzler oder die Kanzlerin sollten es als Pflicht sehen, jedes Jahr öffentlichkeitswirksam dieses Tages zu erinnern – nicht nur im Rhythmus von zehn Jahren. Die Schulbücher, das Lehrprogramm sollte Geschichte eher von vorne als von hinten thematisieren. So interessant die Eis- und Steinzeit ist, unser Leben wird durch die Geschehnisse der letzten 100 Jahre geprägt und diese wiederum durch die davor liegenden Epochen. Ein Mensch, der die Gegenwart nicht begreifen kann, weil er über deren Entstehung durch die Ereignisse der letzten 100 bis 150 Jahre nicht informiert ist, geht für die Gegenwart als mitagierender Zeitgenosse verloren. Er wird zum Spielball für Demagogen, die sehr wohl geschichtsbewusst sind und ihr Wissen zur Manipulation Unwissender einsetzen.

 

SB: Neben dem 17. Juni – welche Forderungen liegen Ihnen sonst noch am Herzen?

 

Holzapfel: Die Aufarbeitungsindustrie muss sich auf ihre Grundidee besinnen und in erster Linie denen eine Stimme geben, die durch Zivilcourage und ihre Leiden in den Zucht­häusern der Diktatur die Grundlagen für unser heutiges Deutschland geschaffen haben.

 

SB: Sie sprechen von Aufarbeitungsindustrie: Was meinen Sie damit?

 

Holzapfel: Die DDR-Diktatur und ihre Folgen können nicht wirklich ernst genommen werden, solange an deren Aufarbeitung nahezu ausschließlich Menschen arbeiten, für die vor allem zählt: die Sicherung des Arbeitsplatzes oder die Auflagensteigerung historischer Bücher, die oft auch noch während der Arbeitszeit geschrieben, also bezahlt und in Vertragsverlagen ga­ran­tiert aufgelegt werden. Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahmen im Rahmen der Aufarbeitungsindustrie sehen zum Beispiel so aus: Ehemalige DDR-Zwangsarbeiter bei Ikea werden nicht entschädigt, stattdessen gibt es jetzt wissenschaftliche Mitarbeiter, die zu diesem Komplex forschen. Es hat sich eine satte Schicht herangebildet, die von der Aufarbeitung lebt. Jenen aber fehlt das innere Feuer, die Begeisterung für eine Sache, die unsereins unabhängig von Lohn- und Brotaussichten ein Leben lang motiviert und angetrieben hat und immer noch bewegt.

 

SB: Vielen Dank für das Interview!


21.9.2013

Das rhetorische Spiel mit dem Linksextremismus

 

Die politische Meinungsbildung in Deutschland gleicht heute dem täglichen Absolvieren eines Trimm-Dich-Pfades: Kopf abschalten, Muskeln spielen lassen, bei immer denselben Übungen, bis sie dem Einen in Fleisch und Blut übergehen und dem Anderen zum Halse heraushängen. Ähnlich zumindest funktioniert die Tabuisierung in Bezug auf linke Gewalt und die DDR-Diktatur. Übergeordnetes Trainingsmodul: Man bewaffne sich mit dem Wort „Gleichsetzung“, ziehe durch die politischen Lande und überziehe in vorwurfsvoller Manier all jene damit, die über Linksextremismus oder den diktatorischen Sozialismus sprechen wollen. Am Ende der Pflichtübung soll dann jeder verstanden haben, dass die DDR das bessere Deutschland war und es den Linksextremismus gar nicht gibt. Der ist nämlich nur eine Erfindung von Eckhard Jesse und Uwe Backes.

 

Die eben genannten Extremismusforscher beziehen sich auf das Hufeisenmodell. Das eine Ende symbolisiert den Rechtsextremismus, das andere den Linksextremismus, dazwischen ist die bürgerliche Mitte. Die Pole sind nicht starr voneinander getrennt. Es ist ein Modell, das – wie in der Wissenschaft üblich – auf Annahmen beruht, die dazu dienen, Vorgänge zu verorten. Jesse beschrieb es wie folgt: „Die Extremismustheorie geht davon aus, dass die Rechts- und die Linksextremisten einerseits weit voneinander entfernt, und andererseits dicht benachbart sind, wie die Enden eines Hufeisens. Es gibt Feindbilder, die sich decken, etwa gegen Amerika, gegen die Globalisierung, gegen den Kapitalismus. Es gibt aber auch Feindbilder, die völlig unterschiedlich sind, auf der einen Seite die Fremden, und auf der anderen Seite etwa der Staat, der bekämpft wird.“ Eine differenzierte Beschreibung, prinzipiell kritisierbar natürlich, aber nichts sonderlich Neues, mag man denken.

 

Alles nur Quatsch 

 

Auf linkspolitischer Seite aber ist das Geschrei groß wegen der angeblichen „Gleichsetzung von Rechts-und Linksextremismus“. Inzwischen mobilisieren etliche Zusammenschlüsse „gegen den Extremismusquatsch“. Zum Beispiel die Kampagne der Linksjugend Solid und der Grünen Jugend „Ich bin linksextrem“ oder der 2010 eingerichtete „Arbeitskreis Extremismusbegriff“, in dem Doktoranden und Studierende mitarbeiten. Die Argumentation ist immer dieselbe: Gleichsetzung von links und rechts, linkspolitisches Engagement werde kriminalisiert, Rassismus in der „sogenannten Mitte der Gesellschaft“ würden vertuscht, Staat und Medien seien auf dem rechten Auge blind. Da kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendwo eine Meldung zur rechtsextremen Durchsetzung der deutschen Bevölkerung erscheint, fragt sich: Lesen diese Leute nur Jahrzehnte alte Zeitungen?

 

Die PR gegen die Extremismustheorie unterstützt ein Großteil linker Vereine, so auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. In Bezug auf ein Aufklärungsmaterial des Verfassungsschutzes schrieb sie, dass „sogenannte Linksextremistinnen und -extremisten undifferenziert und verfälscht dargestellt werden (nämlich gewalttätig)“. Die Bundestagsfraktion Die Linke empörte sich unlängst in einer Kleinen Anfrage über zwei Forschungsprojekte zum „sogenannten Linksextremismus“. Von bildungspolitischer Seite befördert die PR Gero Neugebauer. Im Interview spricht der Politikwissenschaftler und Autor bei der Bundeszentrale für politische Bildung von „angeblich gewaltbereiten Linksextremisten“. Er meint: „Es gibt keine Anklagen wegen Linksextremismus, sondern wegen Brandstiftung, Körperverletzung oder Landfriedensbruch.“ Von wissenschaftlicher Seite trägt die Friedrich-Ebert-Stiftung mit ihren „Mitte-Studien“ zu rechtsextremen Einstellungen in Deutschland zur Relativierung des Linksextremismus bei. Von den Medien stets an die große Glocke gehängt, erfährt der Bürger regelmäßig, dass es in ihrer Mitte von rechtsextremen Einstellungen nur so wimmele und sich die Guten ausschließlich auf linkspolitischer Seite fänden. Verbreitet werden diese „wissenschaftlichen“ Erkenntnisse auch von der Roten Hochschulgruppe Chemnitz, die bei ihren Veranstaltungen „von ihrem Hausrecht Gebrauch“ macht und „Personen, die rechten Parteien oder Organisationen angehören“, den Zutritt verwehrt. Zählen dazu auch CDU-Mitglieder? 

 

Eine Gegenstimme  

 

So gut wie keine Medienpräsenz erhält eine 2012 erschienene Publikation der Konrad Adenauer Stiftung (KAS), welche die genannten Einwände entkräftet: „Stark moralisch aufgeladen ist die Behauptung, ein extremismustheoretischer Vergleich von Rechts- und Linksextremismus relativiere die Singularität des Holocaust(…)Dieses Argumentationsschema zielt indessen häufig darauf, die Erwähnung der kommunistischen Massenverbrechen zu tabuisieren beziehungsweise deren Kritiker als potenzielle Sympathisanten des Nationalsozialismus moralisch zu diskreditieren.“ Der bürgerlichen Mitte werden auch nicht ausschließlich demokratische Tugenden zugeschrieben: „Die Extremismustheorie behauptet hingegen keineswegs, dass extremistische Verhaltens- und Denkmuster ausschließlich an den äußersten Rändern des politischen Spektrums angesiedelt sind.“ Vielmehr gebe es keinen Grundkonsens mehr darüber, dass Extremismus jeglicher Couleur eine Gefährdung darstellt. „Was bei der Positionierung gegen Rechtsextremismus selbstverständlich ist, bereitet beim Thema Linksextremismus erhebliche Schwierigkeiten.“ Ursachen dafür seien Forschungsdefizite, mangelndes Interesse, politische Widerstände und weit geringere Zuwendungen aus öffentlichen Haushalten. Der Linksextremismus habe sich in seinem Kern „in der Alltagsgesellschaft stabil verankert und wird auch von manchen örtlichen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Institutionen zum Teil gestützt“. 

 

Krude linke Argumentationen  

 

Unter den faktenresistenten Streitern zur Abschaffung des Extremismusbegriffs scheint es keinen Konsens darüber zu geben, ob der Begriff Rechtsextremismus ebenfalls verzichtbar ist. Die Verkürzung auf den Slogan „Kampf gegen Rechts“ spricht dafür, kann man dort doch gleich die gesamte Mitte subsumieren. Andererseits trägt man diesen Begriff der Effekthascherei wegen doch allzu gerne täglich im Munde. Unklar sind außerdem die Konsequenzen, sollte der Begriff Linksextremismus einmal abgeschafft sein. Wo werden dann Brandstiftungen und Gewalt verortet? Sind solche Taten dann legitimes Mittel der linkspolitischen Auseinandersetzung? Und wo sind Massenmörder des linken Befreiungs-kampfes Stalin und Co. verortet? Wie unausgegoren die Auswürfe hierzu sind, zeigt ein Stimmungsbild im Internet: „Stalin war ein rechts platzierter Tyrann, damit das klargestellt ist.“ – „Du wirst nicht allen Ernstes behaupten wollen, daß Stalin ein ‚Rechter‘ war.“ – „Wie kommst Du nur auf den Gedanken, Stalin sei ein Linker gewesen?“ – „Zu deiner These ‚Stalin = rechter Diktator‘: Stalin war ein Gregorier. Er hat zwar tausende umgebracht, aber nur, weil sie politische Feinde waren.“ – „Eher war Stalin ein Rechter als Hitler ein Linker.“

  

Im Übrigen trimmt inzwischen auch die schwarzgelbe Bundesregierung die Bürger auf den linken Neusprech. Die Begründung der Bundesjustizministerin und des Bundesinnenministers für ihre Ablehnung eines Verbots des öffentlichen Tragens von DDR-Symbolen: Die Unrechts-taten des SED-Regimes würden dann mit den Gräueltaten des Nationalsozialismus gleichgesetzt. Selbst Politikern aus dem bürgerlich-konservativen Lager in Fleisch und Blut übergangen – Honecker und Co. hätten ihre helle Freude an dieser vorbildlichen Internalisierung sozialisti-scher Kampfparolen –, mag Anderen bereits die hier vorgenommene konzentrierte Aufzählung der Beispiele zum Halse heraushängen. Tatsächlich gibt es noch etliche mehr davon. Linien-bewusste Personalauswahl in Organisationen mit Aufklärungsanspruch tut ihr Übriges dazu. 

 

Die auf breiter Front betriebene falsche „Aufklärung“ zeitigt aufgrund penetranter Wiederholung ihre Erfolge. Mittlerweile findet sich die Argumentation mit dem Gleichsetzungsvorwurf bezüglich der Extremismustheorie auch auf ganz alltagsorientierten Seiten wie „Sport mit Courage“. Der politische Trimm-Dich-Pfad verharmlost indessen auch den Rechtsextremismus: Weil nur eine vergleichende, auch historisch bezogene Analyse gesellschaftlicher Probleme zu einer umfassenden Lösung eben dieser führen kann und dadurch Demagogen jeder Art wenig Chancen haben. Aufgrund der Verordnung von Vergleichs- und Diskussionsverboten ist nicht davon auszugehen, dass die linken Protagonisten eine Problemlösung anstreben. Käme es zu einer Eskalation, weil unausgesprochene Probleme weiter wachsen, stünde das deren Machtübernahme nicht unbedingt im Wege. Es wäre eine typisch linksextreme Strategie.


25.4.2013

Leserbrief zur Aktion „Umbenennung Hindenburgstraße“

 

Anm.: In Garmisch-Partenkirchen stimmte die Mehrheit im Bürgerbegehren dagegen.

 

Ein Glück, dass diese Unfrieden stiftende Aktion nun beendet ist. Die Marktgemeinde kann sich freuen über dieses satte Ergebnis, zeugt es doch von einem hohen Grad an Eigenständigkeit bei den Bürgern. Ein wesentlicher Aspekt, der davor schützt, einer von rechts oder von links kommenden Ideologie anheim zu fallen. Indessen ist die ursprünglich von linksextremen Gruppen initiierte, bundesweite Aktion etlicher Straßenumbenennungen bereits in mehreren Städten gescheitert. Nach dem besonders aggressiven Vorgehen der Antifa, DKP und deren Sympathisanten etwa in Münster, deren Forderungen der Gemeinderat trotzdem aufnahm, kommentierte der Verantwortliche von KulTours: „Es ist schon ein ungeheuerlicher Vorgang, dass Vertreter der demokratischen Parteien in Deutschland dem Willen solcher Gruppen folgen, die ... ein völlig ungeklärtes Verhältnis zur Gewalt sowie zur freien Meinungsäußerung und Demokratie haben.“ Wenn das Motiv für die Umbenennung der Hindenburgstraße gewesen sein sollte, Geschichtsaufarbeitung zu befördern und Distanz zur NS-Zeit zu bekunden, dann kann dies auch auf anderen Wegen geschehen: Zum Beispiel über die Wertschätzung der Besonderheit eines jeden Individuums oder der christlichen Ethik. Beides hatten die Nazis erfolgreich bekämpft und sich damit den Weg an die Macht frei gemacht.