21.12.2015

Menschenrechte: Entgrenzung war nicht gewollt

 

Ein vernünftiger Artikel über die "Utopie der vollkommenen Entgrenzung" ist gerade in der FAZ zu lesen. Leider nur erfolgt auch hier die irrige Interpretation, der "menschenrechtliche Moralismus" führe zu dieser Entgrenzung. Hätte der Autor stattdessen von "linksgrünem Moralismus" geschrieben, wäre es richtig gewesen. Die Verfasser der Menschenrechts- erklärung aber hatten eine Auflösung der Staatsgrenzen nicht im Sinn - jedenfalls nicht im konsensfähigen Ergebnis. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) von 1948 hatte nach dem Schock des Holocaust zuvörderst das Ziel, Barbarei zukünftig zu verhindern und ein von allen Nationen "gemeinsames Ideal" zu erreichen: Eine "Welt, in der die Menschen Rede- und Glaubensfreiheit und Freiheit von Furcht und Not genießen.". "Volkssouveränität in den Grenzen des Nationalstaats ist die angemessenere Voraussetzung für eine offene Gesellschaft als der moralische Universalismus der Grenzenlosigkeit", schreibt der Autor Rainer Hank an späterer Stelle. Völlig richtig und ebenso ist es in der ursprünglichen Fassung der AEMR gemeint. Siehe etwa in der Präambel: "...da es notwendig ist, die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Nationen zu fördern..." Noch unmissverständlicher wird die Volkssouveränität auf völkerrechtlicher Basis im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge betont: "...im Bewusstsein der in der Charta der Vereinten Nationen enthaltenen völkerrechtlichen Grundsätze, darunter...der souveränen Gleichheit und Unabhängigkeit aller Staaten, der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten..." Übrigens ist es sicher kein Zufall, dass sich das eben erstellte Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, das juristische Zweifel an Obergrenzen für die Flüchtlingsaufnahme aufwirft, auf das Asyl- und Flüchtlingsrecht der EU konzentriert. Die AEMR stützt diese vorbehaltlose Grenzenlosigkeit in Bezug auf die Aufnahmepflicht ebenfalls nicht: Jeder hat das Recht, "in den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen", allerdings "unter Berücksichtigung der Organisation und der Mittel jedes Staates" (Artikel 22). Über Europa hinausgehendes, internationales Völkerrecht scheint der Clique im Bundestag wohl nicht recht zu schmecken - könnte es doch manche Frauschaftsideologie kräftig versalzen.   


29.11.2015

Menschenrechtsgewänder

 

Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam“, nennt sich das widersinnige Dokument, das  die 1969 gegründete Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) 1990 verabschiedete. Kostproben: 

 

Artikel 1: „Alle Menschen sind gleich an Würde…Der wahrhafte Glaube ist die Garantie für das Erlangen solcher Würde.“ 

 

Artikel 2: „…es ist verboten, einem anderen das Leben zu nehmen, außer wenn die Scharia es verlangt.“ 

 

Artikel 22: „Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung, soweit er damit nicht die Grundsätze der Scharia verletzt.“ 

 

Die Kairoer Erklärung ist ein typisches Beispiel für die – auch hierzulande inzwischen übliche – wesensfremde Besetzung von Begriffen. Wesensfremd aus zwei Gründen: 

 

Erstens: Bei der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) 1948 war der referenzielle Konsens: die auch vom Glauben unabhängige Unantastbarkeit der angeborenen Menschenwürde.

 

Zweitens: Der Gedanke der freien, selbstbestimmten Entfaltung jedes Individuums, soweit nicht Andere zu Schaden kommen, durchzieht den Menschenrechtsgedanken; also gerade nicht eine kollektive Deutungshoheit, die in den einen oder anderen Glaubensgemeinschaften respektive politmedialen Zirkeln vorrangig sein mag. 

 

Insofern könnte sich ein Diskurs über diese islamische Erklärung darin erschöpfen, dass es sich um eine Instrumentalisierung des Menschenrechtsbegriffs handelt. Allerdings gab es eine Weiterentwicklung. Diese wird weithin unabhängig dargestellt von der Kairoer Erklärung, von einigen gar als deren Gegenstück angepriesen. Es geht um die Arabische Charta der Menschenrechte, 1994 verabschiedet von der 1945 gegründeten Arabischen Liga (AL). Entgegen der Aussage in etlichen Artikeln, unter anderem bei Wikipedia, wird die islamische Scharia dort ebenfalls direkt erwähnt; wenn auch nicht als durchgehender Vorbehalt der aufgeführten Rechte. Ansonsten kommt die in ihrer Zweitversion 2004 verabschiedete Charta als verbal modernisierte Kairoer Erklärung daher: etwa mit einem Zugeständnis an Rechten für Menschen mit Behinderung. Die Gleichstellung von Frau und Mann wird zwar aufgeführt, im gleichen Schriftzug jedoch eingeschränkt: „Men and women are equal in human dignity, in rights and in duties, within the framework of the positive discrimination established in favor of women by Islamic Shari’a and other divine laws…” (Art. 3).

 

Das Hochkommissariat für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen unterstützte die Arabische Liga bei ihren Beratungen und offenbar auch bei deren Bemühen, Israel weiter auszugrenzen. „Rejecting racism and zionism which constitute a violation of human rights…“ liest man in der Präambel und in Artikel 2: „All forms of racism, zionism…There is a need to condemn and endeavour to eliminate all such practices.” Es scheint demzufolge ein gemeinsames Interesse arabischer und westlicher Eliten zu geben. Auch auf der Homepage des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit findet sich keinerlei Distanzierung vom Antizionismus in der arabischen Charta. Eher im Gegenteil: „Ergänzend zum internationalen Menschenrechtsregelwerk der Vereinten Nationen gibt es regionale Menschenrechtsabkommen.“ Dazu zähle auch die Arabische Charta der Menschenrechte von 2004. „Alle regionalen Abkommen beziehen sich ausdrücklich auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948.“ Die Verfasser der AEMR, damals noch unter dem Schock des Holocaust, drehen sich derweil mehrfach im Grabe herum.

 

Da über die Arabische Charta der Menschenrechte kaum gesprochen wird, arbeiten die islamischen Staaten in aller Ruhe weiter an ihrem Ziel, das mit der individualbezogenen AEMR rein gar nichts zu tun hat: „Conscious of the fact that the entire Arab World has always worked together to preserve its faith…“ (Präambel). Es ist auch ein Versagen der liberal eingestellten Intellektuellen, die Menschenrechtsthematik linken Agitatoren überlassen zu haben, die mittels Überfrachtung dafür sorgten, dass das Potenzial der AEMR nicht zur Geltung kommt: Das Verständnis von der unverlierbaren Menschenwürde als Minimalkompromiss, an dem ein interkultureller Diskurs ansetzen könnte. Undogmatisch aufgefasste religiöse und kulturelle Besonderheiten der Länder müssen und sollen dabei nicht untergehen. Der Minimalkompromiss beinhaltet grob gesehen erst mal nur: Menschen dürfen nicht gefoltert und getötet werden. Davon die internationale Ebene in aller Breite zu überzeugen, muss vorrangiges Ziel sein.

 

Erst wenn dazu genug getan wurde, kann man weiterdenken.

 

Erläuterungen:  

 

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen (VN) am 10. Dezember 1948. Die VN hatten damals 56 Mitgliedstaaten. Es gab 48 Ja-Stimmen (inklusive der meisten islamischen Staaten) und acht Enthaltungen: Jugoslawien, Polen, Saudi-Arabien, Sowjetunion, Südafrika, Tschechoslowakei, Ukraine und Weißrussland. Heute sind bei den VN 193 Mitgliedstaaten. Die völkerrechtlich unbedeutende Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam nahmen 45 islamische Außenminister der inzwischen 57 Mitglieder starken Organisation der Islamischen Konferenz an. Die Arabische Charta der Menschenrechte verabschiedete  der Rat der Arabischen Liga mit ihren 22 Mitglieds-staaten (inklusive Palästina) 1994. Aufgrund ungenügender Ratifikationen trat sie erst nicht in Kraft. Die überarbeitete Version wurde 2004 angenommen; Rechtswirksamkeit: seit 2008. Sie ist mit Stand 2010 in zehn Mitgliedstaaten der Arabischen Liga ratifiziert: Jordanien, Bahrain, Algerien, Syrien, Palästina, Libyen, Katar, Saudi Arabien, Jemen, Vereinigte Arabische Emirate.


29.9.2015

Amnesty: Täuschung der Öffentlichkeit?

 

Grenzenlose Dreistigkeit oder eiliger Schreibfehler? Amnesty International veröffentlicht Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) abweichend vom Urtext und transportiert auf diese Weise eine Falschinformation großflächig, auf poppig gelbem Hintergrund, in die Öffentlichkeit; in Form von riesigen Plakaten an verschiedenen Bahnhöfen. Der Text auf dem Plakat im Wortlaut: „Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu erhalten. Amnesty International“. Tatsächlich ist die Formulierung „Asyl zu suchen und zu erhalten“ lediglich ein Vorschlag der UN-Menschenrechtskommission in der AEMR-Entwurfsfassung gewesen. Der daraus abzuleit-ende individuelle Rechtsanspruch auf Gewährung von Asyl konnte sich aber international gerade nicht durchsetzen. Durchgesetzt – und in bisherigen Schriften von Amnesty auch korrekt übernommen – hat sich der Wortlaut: „Asyl zu suchen und zu genießen“. Völkerrechtlich herrschte immer weit gehender Konsens, dass es gemäß AEMR keine Pflicht, sondern ein Recht des Staates ist, Asyl zu gewähren. Klar formuliert wurde dies auch in einem Referat, das Amnesty auf seinen Internetseiten einstellte: „Da die weitergehende Formulierung des Art. 12 des Entwurfs im Endtext nicht übernommen worden ist, ist eine weitergehende Interpretation von Art. 14 AEMR in dem Sinne, dass ein Asylrecht garantiert werde, nicht statthaft.“ 

 

Politische Handlungsfähigkeit erhalten

 

Vor dreißig Jahren, als es noch überwiegend indoktrinationsfreie Literatur zum Thema gab, konnte man sich darüber informieren, warum ein völkerrechtlich verankertes Individualrecht auf Asyl als wesentlich zu weitgehend kritisiert wurde. Zum Beispiel im „Recht auf Asyl“ des Rechtswissenschaftlers Helmut Quaritsch, 1985: Die Weigerung, ein Asylrecht „absolut“ bei jeder politischen Verfolgung zu gewähren, soll dem „Zufluchtstaat die Kompetenz erhalten, eigene Wertvorstellungen mit dem Begriff der Verfolgung zu verbinden oder bei Flüchtlingen zwischen Freund und Feind unterscheiden zu können“. Die politische Führung sei dadurch fähig, auf „wechselnde Lagen zu reagieren“. Interessant auch Quaritschs Aussage bereits 1985: „Im Blickfeld von Rechtsprechung und Schrifttum in der Bundesrepublik erscheint so gut wie ausschließlich der humanitäre Aspekt des Asyls; der Verlust der politischen Handlungsfähigkeit wird gar nicht mehr wahrgenommen, der durch die Gewährung des subjektiven Grundrechts auf Asyl eintritt. Die möglichen Beeinträchtigungen der zwischenstaatlichen Beziehungen bis hin zu inneren Unruhen im Zufluchtstaat selbst werden ignoriert oder mit dem formalistischen Argument der juristischen Unzulässigkeit völkerrechtlicher Sanktionen beantwortet.“

 

Weltweite Verabsolutierung?

 

Der deutsche Wunsch nach weltweiter Verabsolutierung eigener Rechtsvorstellungen scheint von jeher ungebrochen zu sein: 1977 beantragte die Bundesregierung unter Helmut Schmidt bei der UNO-Konferenz in Genf erneut die Schaffung eines Individualanspruchs auf Asyl. Ergebnis der Abstimmung: Vier Ja-Stimmen (vorbehaltlose Zustimmung nur vom Vatikan), 21 Enthaltungen, 53 Nein-Stimmen. Die Respektlosigkeit gegenüber dem menschenrechtlichen Völkerrecht wird indessen weiter forciert. Das falsche Zitat des Artikels 14 AEMR findet sich zum Beispiel auch im Flyer „freundeskreis asyl göppingen“ sowie in diversen Unterrichtsmaterialien. Der vollständige Wortlaut des Artikels 14 AEMR - Recht auf Asyl: 

 

(1) Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen. (2) Dieses Recht kann nicht in Anspruch genommen werden im Falle einer Strafverfolgung, die tatsächlich auf Grund von Verbrechen nichtpolitischer Art oder auf Grund von Handlungen erfolgt, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen. 

 

Nachtrag: Das Amnesty-Plakat war kurz nach Erscheinung und Verbreitung dieses Artikels weg.


5.3.2015

Frage auf Abgeordnetenwatch an den Bundesaußenminister

 

Sehr geehrter Herr Dr. Steinmeier, bei der Eröffnung der 28. Sitzung des Menschenrechtsrats am 3. März sagten Sie in Bezug auf die schrecklichen Gewalttaten im internationalen Raum sehr richtig: Es stehe außer Frage, dass diese Gräueltaten unmissverständliche Antworten erfordern. Angesichts der grauenvollen Auspeitschung des saudischen Bloggers Raif Badawi und anderer eindeutiger Menschenrechtsverletzungen seitens des Staates Saudi-Arabien wäre es eine unmissverständliche Antwort, wenn Deutschland einen Antrag auf Suspendierung der Mitgliedschaft Saudi-Arabiens im Menschenrechtsrat stellen würde. Werden Sie sich dafür einsetzen? Falls nein: warum nicht? Zum anderen hätte ich gerne eine Erklärung dafür, warum unter den 140 Staaten, die Saudi-Arabien in den Menschenrechtsrat wiederwählten, auch Deutschland ist. Über eine Beantwortung würde ich mich freuen.

 

12.3.2015

Antwort von Dr. Frank-Walter Steinmeier

 

Sehr geehrte Frau Baumstark, vielen Dank für Ihre Frage vom 5. März 2015 an Herrn Steinmeier, auf die ich Ihnen gern antworten möchte. Die Gründungsakte des Menschenrechtsrats (Resolution 60/251 der Generalversammlung) sieht vor, dass die VN-Generalversammlung die Mitgliedschaftsrechte eines Mitglieds des Rates, das schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen ("gross and systematic violations of human rights") begeht, mit einer Zweidrittelmehrheit der anwesenden und abstimmenden Mitglieder aussetzen kann (op. 8). Dies ist ein außerordentlicher Schritt, der nur in außerordentlich gravierenden Fällen unternommen werden kann. In der bisherigen Geschichte des Menschenrechtsrats ist dies erst einmal, und zwar im März 2011 im Falle Libyens, geschehen. Der Menschenrechtsrat selbst hatte der Generalversammlung die Suspendierung der Mitgliedschaft Libyens in einer Sondersitzung des Rats im Februar 2011 empfohlen. Dies geschah im Lichte der brutalen Niederschlagung der libyschen Oppositionsbewegung durch das Gaddafi-Regime. Libyen wurde nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes im November 2011 durch eine weitere Resolution der VN-Generalversammlung wieder in den Menschenrechtsrat aufgenommen. Die Mitglieder des Menschenrechtsrats werden gemäß eines regionalen Verteilungsschlüssels gewählt, der eine ausgewogene Vertretung aller Regionalgruppen sicherstellen soll. Die Wahlen im VN-System sind geheim, weshalb sich die Bundesregierung nicht öffentlich zu ihrem Abstimmungsverhalten äußert. Mit freundlichem Gruß Team Steinmeier


5.3.2015

Anfrage an den Präsidenten des Menschenrechtsrats

 

Sehr geehrter Herr Rücker, angesichts der grauenvollen Auspeitschung des saudischen Bloggers Raif Badawi und anderer eindeutiger Menschenrechtsverletzungen seitens des Staates Saudi-Arabien möchte ich Sie fragen: Werden Sie sich dafür einsetzen, dass Deutschland einen Antrag auf Suspendierung der Mitgliedschaft Saudi-Arabiens im Menschenrechtsrat stellt? Auch wenn wenig Aussicht auf Erfolg besteht, so wäre es zumindest ein klares Zeichen der Nicht-Akzeptanz solcher Gräueltaten. Zum anderen würde mich Ihre Einschätzung interessieren, warum Saudi-Arabien überhaupt von 140 Staaten in den Menschenrechtsrat gewählt wurde. Über eine Rückmeldung würde ich mich freuen. Anm. 1: Keine Antwort erhalten

 

Anm. 2: Saudi-Arabiens Botschafter bei den VN in Genf ist inzwischen Vorsitzender der „Consultative Group“ im UN-Menschenrechtsrat. Dort werden Experten für Menschenrechtsfragen benannt, die sich nach dem UPR-Verfahren (Universal Periodic Review) mit der Menschenrechtssituation in den Ländern befassen. 


15.2.2015

Menschenrechtsorgane überschreiten Mandat  

 

Um eine zeitgemäße Interpretation der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte kommt man nicht ganz herum. Wie weit das allerdings ganz im Sinne gut organisierter Interessengruppen ausufert, ist in der Zeitschrift für die Vereinten Nationen* erwähnt. Einige Staaten übten demnach politische Kritik: UN-Ausschüsse, die mit der Überprüfung menschenrechtlicher Staatenberichte oder Auslegung der Menschenrechtsverträge befasst sind, überschreiten ihr Mandat, heißt es dort. Informationen von NGOs, etwa in Form von Schattenberichten, werden ungeprüft übernommen. Unabhängige Wissenschaftler sind nicht ausreichend einbezogen. In den Allgemeinen Bemerkungen**, die  als Auslegungsrichtlinie eine starke Bedeutung haben, findet sich nicht mehr nur eine Interpretation der Menschenrechtsartikel, es kommt quasi zur Schaffung neuer Rechte und Verpflichtungen. Zitiert wird der Völkerrechtler Bruno Simma: Unter dem Einfluss „monopolistischer und versierter NGOs“ werden Rechte und Verpflichtungen „so weit ausgedehnt, dass man sie kaum wiedererkennt“. In der Praxis wirken sich diese Vorgänge dann zum Beispiel aus wie folgt: Im April 2013 rügte der UN-Antirassismusausschuss (CERD) die Bundesrepublik Deutschland. Grund war die Einstellung des Strafverfahrens gegen Thilo Sarrazin wegen seiner umstrittenen, sicherlich auch grenzwertigen Äußerungen zu Türken und Arabern. Die Rüge kam allerdings zustande, indem CERD die Ausführungen des Beschwerdeführers, der Türkische Bund Berlin/Brandenburg, einfach nur wiedergegeben habe, ohne „ausführliche Darlegung seiner Begründung“, so die Zeitschrift. Zudem wurde kritisiert, „Sarrazins Äußerungen seien zum Teil nicht ganz korrekt übersetzt worden“. Spiegel Online schrieb damals: „Der Uno-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung besteht aus 18 unabhängigen Experten, die…sich durch anerkannte Unparteilichkeit auszeichnen müssen.“ Glaubwürdig ist dieser Satz nicht gerade. Apropos: Wie wird eigentlich die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit einer Person ermittelt?

 

*Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen, Ausgabe 5/14, S. 208ff

**in der Fachsprache: General Comments; mehr Infos hier


24.5.2013

EU-Werte: Strafandrohung statt Überzeugungsarbeit

 

Das ist bemerkenswert: Die EU-Kommission will auf Vorschlag der Sozialisten im Europa-parlament Parteien Strafzahlungen auferlegen, wenn sie die Werte der EU nicht respektieren. In der Europäischen Menschenrechtskonvention als ein Teil des Wertegerüsts liest man etwa: „Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.“ Die Werte der EU sind außerdem, wie bei der Bundeszentrale für politische Bildung nachzulesen: den „Bürgern Freiheit und Demokratie zu sichern. Ein wichtiger Wert ist auch die Rechtsstaatlichkeit“. Die EU-Grundrechtecharta proklamiert: „Jede angeklagte Person gilt bis zum rechtsförmlich erbrachten Beweis ihrer Schuld als unschuldig.“ Und: „Politische Parteien auf der Ebene der Union tragen dazu bei, den politischen Willen der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger zum Ausdruck zu bringen.“ Vorverurteilungen, Attacken gegen Andersdenkende und die vorzugsweise Verfolgung parteiinterner Eigeninteressen stehen also den Werten der EU entgegen. Ob nach Einführung vorgeschlagener Regelung überhaupt eine Partei von Strafzahlung verschont bliebe?


29.1.2011

Leserbrief zur Meinungsfreiheit

 

Die Meinungsfreiheit will der Journalist Flemming Rose vorgeblich verteidigen. Aber mit seiner Behauptung, man müsse durch Worte zugefügte Verletzungen – inklusive Hohn und Spott – ertragen, ruft er in erster Linie auf zur zwischenmenschlichen Barbarei. Seine Einstellung zeugt von einem erschreckend mechanistischen Menschenbild, das Sensibilität und Rücksichtnahme als zivilisatorische Errungenschaften leugnet. Im Übrigen ist dem Journalisten zu raten, erst mal die Menschenrechtserklärung zu lesen, bevor er sich auf sie beruft. Die enthält nämlich nicht nur Rechte, sondern in Artikel 29 auch Grundpflichten gegenüber der Gemeinschaft: Die Ausübung der Rechte muss den Anforderungen der Moral in einer demokratischen Gesellschaft genügen.


11.12.2010

Kommunismus: Fehlanzeige 

 

Chinas Opposition hofft auf Demokratisierung

 

In offiziellen Reden chinesischer Regierungsvertreter kommt sie hin und wieder noch vor, die kommunistische Ideologie. Tatsächlich aber handle es sich bei der Kommunistischen Partei Chinas eher um eine „Kapitalgruppierung“ eines Familienclans, meint Bei Ling. Der Schriftsteller, Dissident, nun wohnhaft in Boston (USA) sowie in Taipeh (Taiwan), schrieb eine Biografie über seinen Freund Liu Xiaobo: „Der Freiheit geopfert“. Den 9. Dezember 2010 verbrachte Bei Ling zusammen mit Wang Wanxing, ebenfalls ein Regimekritiker, in der Gedenkstätte Berlin-Hohen-schönhausen – mit vollem Programm: vormittags eine Führung durch das ehemalige Stasigefängnis, nachmittags eine Gesprächsrunde mit früheren DDR-Häftlingen sowie jede Menge Interviews mit Medienvertretern und abends eine Podiumsdiskussion zum Thema „Was will die chinesische Opposition?“ mit Fachleuten und Bürgerrechtlern. Für Dr. Hubertus Knabe, Leiter der Gedenkstätte, war es ein „besonderes Ereignis“, am Vortag der Verleihung des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo mit Vertretern der chinesischen Menschenrechtsbewegung versammelt zu sein. „Ich freue mich, wenn eines Tages auch in China eine Gedenkstätte für Opfer der kommunistischen Diktatur eröffnet wird“, zeigte sich Knabe zuversichtlich und blieb mit dieser Einschätzung nicht alleine.

 

Gegenwärtige Situation

 

Bei Ling sieht insbesondere den Nobelpreis für Liu Xiaobo als möglichen Wendepunkt in China. Der Gründer der unabhängigen chinesischen Schriftstellervereinigung P.E.N. hofft außerdem, dass sich in den kommenden Jahren die EU und die USA für eine konsequentere Menschenrechtspolitik öffnen, auch wenn „die westliche Welt festgestellt hat, dass sie wirtschaftlich von China abhängig ist“. Bereits jetzt befinde sich China in der posttotalitären Phase. Die Änderung gehe langsam und versteckt vor sich. Sichtbar werde dies sowohl im neueren Sprachgebrauch, der den Begriff des Sozialismus dem des Marxismus bevorzugt, als auch in dem Umstand, dass sich Marxismusunterricht in chinesischen Schulen nur noch als „Formalsache“ darstellt, die Noten aber nicht mehr beeinflusst. Beim Umgang mit Dissidenten lässt Chinas Regierung durchaus mit sich verhandeln, wie Bei Ling – im Jahr 2000 kurzzeitig inhaftiert - aus eigener Erfahrung zu berichten weiß. Alternativ zu einer mindestens zehnjährigen Gefängnisstrafe werde den verhafteten politischen Ruhestörern häufig die Freiheit angeboten, wenn sie im Gegenzug als Spitzel für die Regierung tätig werden. In der Regel kommen Dissidenten für zwei, drei Jahre ins Gefängnis und werden dann ins Exil geschickt. Problematisch sei, dass politische Gefangene vom Ausland selten akzeptiert werden. Auch hier kommen dann Verhandlungskriterien ins Spiel, die neben Geldzahlungen vor allem Prestigezwecken dienen. So wurden etwa Bei Ling und weitere Dissidenten kurz vor den Olympischen Spielen 2008 in China von der Regierung gebeten, zurückzukommen.

 

Meinungskontrolle

 

Die Einschränkung der Meinungsfreiheit im Internet forciert die chinesische Regierung mit einer hoch professionellen Netzpolizei: „Sie holen Informatiker direkt von der Universität, die für ihre Tätigkeit sehr gut bezahlt werden“, so Bei Ling. Es gebe zwar mehr Redefreiheit als früher, aber die „rote Linie“ dürfe nicht überschritten werden, erläuterte Dirk Pleiter, Chinaexperte bei Amnesty International. Dies sei spätestens dann der Fall, wenn sich Dissidenten organisieren. Selbst „religiöse Aktivitäten werden kontrolliert“, so Pleiter, der Chinas Reaktion für „beispiellos in der Geschichte der Friedensnobelpreisverleihung“ hält. Der Chinaexperte berichtete unter anderem von Umerziehungsmaßnahmen als systematische Form von Menschenrechtsverletzung und von Inhaftierungen ohne vorherige Anhörung vor Gericht. Dies effektiv zu kommunizieren scheint nicht einfach. Wang Wanxing kritisierte, dass bei Veranstaltungen zu dieser Thematik auch im Ausland häufig keine offizielle politische Vertretung erscheint: „Wir sind auf zivilen Bürgeraustausch angewiesen, brauchen aber auch die Regierungsebene.“ Hubertus Knabe ergänzte: „Wir haben für diese Veranstaltung den chinesischen Botschafter eingeladen, aber keine Antwort erhalten.“

 

Bedeutung der Charta 08

 

„Für den Prozess der Demokratisierung ist die Charta 08 die am besten durchdachte Erklärung in Dissidentenkreisen“, beschrieb Knabe das von über 5000 chinesischen Intellektuellen wie Bürgerrechtlern unterzeichnete Manifest, welches politische Reformen und Demokratisierung in China fordert. „Die Menschenrechte spielen darin eine zentrale Rolle“, erläuterte Pleiter und nannte konkrete Beispiele: Schutz vor willkürlicher Verfolgung, Rede-, Organisations- und Versammlungsfreiheit, soziale Rechte. Als Inspiration für die Charta 08 gilt die in der damaligen Tschechoslowakei am 1. Januar 1977 veröffentlichte Charta 77. Die Deklaration setzte auf Respektierung und Einhaltung der Menschen- und Bürgerrechte und wurde zum Markenkern der Opposition gegen das dortige kommunistische Regime. Seinerzeit war es schwierig und mit sehr viel Arbeit verbunden, die Charta ohne Computer und Internet zu verbreiten, erzählte Jiří Vančura, einer der  Erstunterzeichner, bei der Podiumsdiskussion. Tatsächlich habe man auch erst ab 1989 daran geglaubt, etwas konkret damit erreichen zu können. Immerhin aber hätte der Staat durch seine harten Repressionen gegen die Unterzeichner der Charta 77 „große Reklame“ für diese gemacht. In China hat sich die chinesische Übersetzung der Charta 77 erst nach dem Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens – etwa ab 1990 - unter den Oppositionellen zunehmend verbreitet, berichtete Bei Ling. Die Charta 08 mit ihren 19 konkreten Reformpunkten wurde zum 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte am 10. Dezember 2008 auf chinesischen Internetseiten veröffentlicht und wird heute – auch unter Regimekritikern – kontrovers diskutiert. 

Zum Inhalt der Charta 08 geht es hier entlang.

 

Umgang mit Chinas Regierung

 

Knabe hält es für einen großen Fehler von Seiten der chinesischen Regierung, sich im Rahmen der Nobelpreisverleihung „dem Dialog zu entziehen und in den Schmollwinkel zurückzuziehen“. Auf den Umgang mit der Situation gebe es unterschiedliche Antworten, meint Pleiter: Möglich sei sowohl ein Kooperationsangebot zum Dialog als auch Konfrontation in Form öffentlicher Kritik. Am Ende stehe die Frage: was ist mit welcher Maßnahme konkret erreichbar? Auch die grüne Bundestagsabgeordnete Viola von Cramon macht es vom jeweiligen Einzelfall abhängig, ob offen oder verdeckt diskutiert werden sollte. Wichtig sei es, Missstände zu thematisieren und „klar zu zeigen, dass wir mit unseren Werten bei den universellen Menschenrechten stehen“. Zusammen mit ihrem Kollegen Volker Beck schrieb sie einen Brief an die Bundeskanzlerin mit dem Hinweis, dass der chinesische Druck inakzeptabel und entschlossenes Auftreten erforderlich sei. Insbesondere EU-Mitgliedstaaten sollten sich nicht auseinanderdividieren lassen. Sollte sich China – wenn auch aus purem Machterhalt – die Punkte aus der Charta 08 zu eigen machen, sei es angebracht, China auf dem Weg zur Rechtstaatlichkeit zu begleiten, bei konkreten Projekten zu helfen und durch glaubwürdige Politik zu unterstützen. Wang Wanxing setzt ebenfalls auf die Charta 08 und hofft auf eine friedliche Revolution: „Immerhin ist Liu Xiaobo durch das Verhalten der chinesischen Regierung ein glorreicher Mensch geworden. Das könnte der Durchbruch sein.“


16.10.2010

Leserbrief zur Verhaftung Liu Xiaobos

 

Ein Regime schlägt zurück und hat doch schon längst verloren. Was auch immer dem neuen Friedensnobel-preisträger Liu Xiaobo noch angetan wird, mindestens seine Liebeserklärung ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen: „Auch wenn man mich zu Pulver zermahlt, meine Asche wird dich umarmen“ ist ein Satz, der sich nicht bekämpfen lässt. Machthabende, die ihr Leben damit verbringen, gegen kreative Freigeister in der Luft zu fechten und nicht begreifen, dass sich Loyalität ausschließlich aus freier Reflexion heraus entwickeln kann, haben verloren gegen die Gedankenfreiheit, gegen das Gewissen, gegen die Poesie, gegen die Spiritualität. Niemals wollte ich diese Lebensqualitäten eintauschen gegen die Möglichkeit, Andersdenkende zu unterdrücken und Geld zu horten. Verlierer sind dort an der Macht. Die Gewinner sind anderswo.


12.12.2008

Leserbrief zum UN-Sozialpakt

 

Es ist kaum bekannt, dass die in der Menschenrechtserklärung formulierten Rechte ursprünglich in nur einem internationalen Pakt konkretisiert werden sollten. Herausgekommen sind aber 1966 zwei verschiedene Pakte: der Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) und der Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt) - weil eine Einigung zwischen den Staaten nicht möglich war. Da es seit 1966 ein Zusatzprotokoll zum Beschwerdeverfahren für Bürger nur zum Zivilpakt gab, zementierte das eine Rangfolge von politischen und sozialen Rechten. Die Einigung der UN-Generalversammlung vom 11. Dezember 2008, einem Zusatzprotokoll zum Sozialpakt zuzustimmen, ist Ergebnis eines langen Prozesses und hebt soziale und kulturelle Rechte auf die Ebene der Menschenrechtspolitik.