"Als dritter Sektor in der Gesellschaft werden häufig die sozialen Organisationen neben dem Staat (= erster Sektor) und der freier Wirtschaft (= zweiter Sektor) bezeichnet. Die Aufgaben, die der sog. Dritte Sektor übernimmt wachsen, da der Staat immer mehr Verantwortung abgibt." Quelle


22.12.2017

Treuhänderische Übergabe 

 

Maßlosigkeit allerorten: Weil es trotz gefühlter 99.000 Forschungsinstitute im gesellschaftspoli-tischen Feld immer noch nicht genug ist, eröffnete Ende November das neue Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung am Wissenschaftszentrum Berlin. Ziel: „Zivilgesellschaftliche Protest- und Bewegungsforschung systematisch mit Analyse politischer Konfliktstrukturierung und Sozialkapitalforschung verbinden“, um zur Beantwortung demokratischer Zukunftsfragen und des gesellschaftlichen Zusammenhalts beizutragen. Dazu gehöre etwa die Erforschung der Mobilisierung politischer Konfliktstrukturen durch soziale Bewegungen und politische Parteien sowie der Veränderungen der zivilgesellschaftlichen Organisationslandschaft. „Geplant ist außerdem die Institutionalisierung einer Dateninfrastruktur zu politischem Protest in Europa.“  

 

Welcher Richtung sich das Ganze schon wieder andient, ist angesichts der Rhetorik, der Kooperation mit der Freien Universität Berlin, der Förderung durch die Stiftung Mercator und der Einladung eines Zeit-Journalisten sowie des Bundestagspräsidenten a.D. Wolfgang Thierse zur Eröffnungsfeier ausreichend klar; spätestens nach Durchsicht des Interviews der Stiftung Mercator mit dem Gründungsdirektor: „Bislang war mit dem Begriff ‚Zivilgesellschaft‘ stets ein demokratiestützendes Motiv verbunden. Muss das angesichts der Wutbürger und Pegida-Proteste anders gesehen werden? Grande: …Zivilgesellschaftliche Vereinigungen können auch Gegner der Demokratie sein…“ Die Konfliktlinie „Einwanderung und Europa“ gehe „mit Ausnahme der Grünen mitten durch alle Parteien“. Wenn sich der Gründungsdirektor da mal nicht vertut. 

 

Neben dem grünen Kritiker der Zuwanderungspolitik Boris Palmer beklagt inzwischen auch der Balinger Stadtrat Peter Seifert (Grüne): „Wir erleben hier am Bahnhof Tag für Tag, wie unser Rechtsstaat vorgeführt wird. Wie am helllichten Tag Drogengeschäfte abgewickelt werden, die keiner ahndet.“ Und wenn die Polizei seinen Mitarbeiter auffordere, Bilder von einer Situation zu löschen, weil das gegen Persönlichkeitsrechte des Randalierers verstoße, habe er „so langsam den Eindruck, dass wir in einer falschen Welt leben…dass wir uns eine heile Welt zusammengebastelt haben, in der derjenige zum Bösen gestempelt wird, der versucht, seinen Mitmenschen die Scheuklappen von den Augen zu reißen.“ Zu weiteren unfassbaren Vorfällen siehe auch in Homburg, in Krozingen, in Saarbrücken, in St. Ingbert, in Bielefeld, in Köln, in Milbertshofen, in der Hessischen Landesbahn, im Regionalexpress 4, in Neuwiedenthal oder in Bremen.  

 

Was die Akademiker, etwa beim Zentrum für Demokratie- und Friedensforschung, angesichts der Lage umtreibt, sind nicht die schlimmen Folgen für die Opfer, sondern „Politisierungsprozesse in den Bereichen Terrorismusbekämpfung und Grenzsicherheit“ auf europäischer und nationaler Ebene: „Im Angesicht transnationaler Risiken (Migration und Terrorismus) nutzen EU-Institutionen ihre Sicherheitsfunktion zunehmend als Quelle der Legitimation, etwa im Kontext der ausgerufenen ‚Sicherheitsunion‘. Dies stellt im Gegenzug die Legitimität europäischer Sicherheitsinstitutionen zur Diskussion.“ Das Projekt verbinde Debatten zur Politisierung europäischen und globalen Regierens mit der Forschung zu Versicherheitlichung. Beim Sonderforschungsbereich Teilprojekt B05 geht es ebenfalls um „Ver- und Entsicherheitlichung“; im Rahmen externer Staatsbildung durch „treuhänderische Übergangsverwaltungen in politischen Transitionsprozessen“. Bisher darauf angelegt, in von Bürgerkriegen zerstörten Ländern wie dem Kosovo Sicherheit und demokratische Staatlichkeit wieder herzustellen, könnte die Angelegenheit bei fortschreitender Ignoranz regierender Politiker auch hierzulande mal relevant werden: „Dadurch soll eine Bevölkerung in die Lage versetzt werden, das Recht auf Selbstbestimmung ausüben und wirksam vor inneren und äußeren Bedrohungen geschützt werden zu können.“ Die Legitimität treuhänderischer Übergangs-verwaltungen basiere auf „existenziellen Bedrohungen – wie die Rückkehr von Unterdrückung und Gewalt, mögliche Interventionen durch Nachbarstaaten oder der Aufstieg krimineller Gruppen – die eine temporäre Fremdherrschaft rechtfertigen“. Man sollte jedenfalls auf alles Mögliche gefasst sein. 

 

Nachtrag vom 23.12.: Weitere schlimme Vorfälle kurz vor Heiligabend: Wolfsburg: "Ein Notarzt konnte nur noch den Tod der 39-Jährigen feststellen. Ersten Ermittlungen zufolge starb die Frau gewaltsamen Todes." Lebensgefährte des Opfers wurde notoperiert. Berlin: "Eine Passantin hat ... ein Bündel gefunden, in dem die Leiche einer Frau eingewickelt war." Verdacht auf Tötungs-delikt. Essen: "Mann (34) nachts in Essen brutal abgestochen - Nachbarn hörten verzweifelte Schreie." Hamburg: "Perfider Angriff" in Wilhelmsburg: Als eine Frau gerade auf dem Weg durch ihr Treppenhaus ist, trifft sie plötzlich eine Ladung Säure – mit schlimmen Folgen." Mainz: Junge Mädchen werden belästigt und Helfer niedergeschlagen. Bietigheim: "Während der...Busfahrer... unterwegs war, flog urplötzlich eine Wodka-Flasche auf seine Windschutzscheibe." Titisee: "Einer der 17-Jährigen war zuvor von mehreren Personen zunächst mit Faustschlägen niedergestreckt und dann am Boden liegend getreten worden." Auch die helfenden Begleiter wurden geschlagen.


1.12.2017

Poststrukturalistische Revolte

 

Bekanntlich reichen nicht nur in Manching „kleine Anlässe um Essenszubereitung“ aus, um die Lage kurzfristig eskalieren zu lassen, wie der Focus zur Randale vor der dortigen Asylunterkunft zitiert: „Flüchtlinge hatten Sperrgitter herausgehoben und versucht, damit die Tür der Auszahlungsstelle einzurammen, die kurz nach Ausbruch der Tumulte von den Mitarbeitern versperrt worden war. Sie verbarrikadierten sich mit dem Sicherheitspersonal in der Auszahlungsstelle.“ Obwohl sich die Straftaten rund ums Zentrum „auf hohem Niveau“ stabilisierten, leiert der Bayerische Flüchtlingsrat – es muss sich um einen Sprung in der Platte handeln – die Phrase von einer Kriminalisierung der Flüchtlinge herunter, die so mangelhaft untergebracht und betreut seien und auf wenig Raum leben müssten. Man darf sich gut und gerne davor scheuen nachzufragen, was der Flüchtlingsrat sonst noch alles mit seiner rechtfertigenden Schützenhilfe entschuldigen würde. Das Argument der vielen Menschen auf engem Raum zieht jedenfalls spätestens nicht mehr seit Erscheinen des Artikels in der Süddeutschen Zeitung zur Notunterkunft für Studenten in München. Dort, wo 32 Menschen verteilt auf Mehrbettzimmer bei vier Quadratmetern pro Person ohne zentrale Beleuchtung derzeit leben, heißt es: „Beschweren will sich niemand. Alle sind dankbar, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben. Und ja, es sei auch schön, so viele Leute um sich herum zu haben.“  

 

Natürlich nicht als Werbung für einen Dauerzustand dieser Wohnart gedacht, zeigt das Beispiel auf, wie Bewältigung einer Notlage konstruktiv funktionieren kann. Pädagogischer Unsinn ist hingegen die entschuldigende Rechtfertigung jeglicher Ausschreitungen von Personen, noch dazu stets rassistisch motiviert. Der Lerneffekt liegt auf der Hand: Wir müssen nie und nichts verantworten; schuld sind immer nur die Deutschen, die uns so schlecht behandeln. Dass sich Regierungsverant-wortliche mit solchen nie weitsichtig agierenden und offenbar lebensfremden Flüchtlingslobbyisten vernetzen und sie mit Steuergeldern sattsam versorgen, liegt auch in den breit gefächerten Verbindungen mit universitären Auswüchsen und deren Schlagkraft begründet. 

 

Theoretisches Futter bekommen die Aktivisten zum Beispiel vom 2016 formierten Berliner Institut für Protest- und Bewegungsforschung: „ein Arbeitszusammenhang, in dem dauerhaft zu einer ‚Politik von unten‘ geforscht wird“. Ein Arbeitskreis realisiert gerade das Handbuch „Poststrukturalistische Perspektiven auf soziale Bewegungen“. Die chaotische Unordnung ist bewusst geplant: „Ein wesentliches Grundmotiv poststrukturalistischer Ansätze ist die Skepsis gegenüber stabil und wohl geordnet erscheinenden sozialen Phänomenen. Poststrukturalistische Perspektiven…betonen demgegenüber, dass Phänomene des Bruchs, der Abweichung und der Vielfalt, sowie unerwartete Dynamiken konstitutiv für Gesellschaft sind.“ Dieser Blickwinkel sei auch bezüglich daraus resultierender „Negierung der Annahme von feststehenden und objektiv erfassbaren Identitäten“ zentral. Es gehe zudem um die „Bedeutung von Macht für Formierung von sozialen Bewegungen und ihren Subjekten“. Die Revolte wird also ganz unverschämt in aller Öffentlichkeit vorbereitet – versteckt vor der arbeitenden Bevölkerung nur insofern, als sich jene am Feierabend ganz sicher nicht mit solchen theoretischen Abgehobenheiten befassen.   


22.11.2017

Zwangsverordnete Freiheitsrechte

 

Es mehren sich Organisationen, die mit strategischer Prozessführung die Gesetzgebung nach ihrem persönlichen Geschmack verändern wollen und dabei stets unterstellen, sie vertreten damit die „Zivilgesellschaft“ – ohne den gemeinen Bürger jemals zu fragen oder sich für dessen tatsächlichen Belange zu interessieren. Aktuell hat die zwei Jahre alte Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) dem Onlineportal LTO ein Interview gegeben. Deren Vorsitzender, Ulf Buermeyer, will eine „sehr realistische Drohkulisse“ gegen Grundrechtsverletzungen aufbauen. Konkret sieht das so aus, dass „die GFF vor kurzem zusammen mit bayerischen Antifaschisten“ eine Verfassungsbeschwerde gegen „exzessive Überwachungsbefugnisse“ im neuen bayerischen Verfassungsschutzgesetz eingereicht hat. Laut Auskunft des bayerischen Innenministers ging es bei der Neuformulierung vor allem darum, auf das veränderte Kommunikationsverhalten von Extremisten und Terroristen reagieren zu können. Die Meinungen hierzu in der Zivilgesellschaft dürften keineswegs einhellig sein. Buermeyer, auch Richter am Landgericht Berlin, hat „den Anspruch, dem Verfassungsgericht mit gut vorbereiteten Fällen Gelegenheit zu geben, seine verfassungsrechtlichen Maßstäbe zu ergänzen und zu präzisieren“. Auf die Gesetzgebung wolle man jedenfalls Einfluss nehmen. „Wir können uns auch gut vorstellen, im Bereich Religionsfreiheit tätig zu werden, etwa wenn es auf Grund des gesellschaftlichen Klimas zu islamfeindlichen Entwicklungen kommen sollte.“ Das Indizieren von Islamfeindlichkeit obliegt selbstredend dem Geschmack der GFF, die sich für christenfeindliche Entwicklungen (ab Minute 21:00) keinen Deut sorgt, diese gegebenenfalls sogar noch forciert. 

 

Nachtrag: Die Gesellschaft für Freiheitsrechte erhält 50.000 Euro von der Bewegungsstiftung. 


10.11.2017

Intersexuelle: Die stille Mehrheit ist nicht maßlos

 

Im Grunde ist es schon richtig, dass sich das Bundesverfassungsgericht der Individualrechte von intersexuellen Menschen angenommen hat. Was nun folgt ist kritisch zu beobachten: Erstens haben Kritiker des aktuellen Urteils nicht unrecht mit ihrer Sorge, dass an diese Stelle auch Fanatiker aufspringen, die nur Lebensformen von Minderheiten respektieren und sich daran berauschen, eine ganze Gesellschaft umzukrempeln. So wirbt etwa das „crossdresser-, transgender-, intersexuelle-menschenforum“ für einen Vortrag in Berlin. Es geht dort um die zwei neuen Berichte „The State of Intersex Organizing“ und „The State of Trans Organizing“ der „American Jewish World Service, Astraea Lesbian Foundation for Justice, Global Action for Trans Equality und des Global Philanthropy Projects“ sowie um einen „International Trans Fund/Credit“. Eine Weiterleitung unter der Ankündigung führt zum „Gate - Working on Gender Identity, Gender Expression and Bodily Diversity“. International ist man hervorragend vernetzt. Zweitens kennt die politisch agierende Minderheitenlobby erfahrungsgemäß kein Maß und versteigt sich im Zuge von Etappensiegen in arrogante Forderungen. Moritz Schmidt von der „Kampagne dritte Option“ bedauert bei der Welt: „Nur lassen sich die Geschlechterkategorien per se juristisch nicht anfechten.“  Dabei wäre es so einfach, wenn es die Einträge „Mann“ oder „Frau“ gar nicht mehr geben würde. Die Entwertung der üblichen – die Mehrheit betreffenden – Geschlechterkategorien provoziert die Bildung negativer Vorurteile in der Gesellschaft, was wiederum Antidiskriminierer und Juristen auf den Plan ruft, die dabei kräftig absahnen. Es steht an zu hoffen, dass sich im Rahmen zu erwartender Instrumentalisie-rung intersexueller Menschen durch Genderfanatiker jene Betroffene zu Wort melden, die weit davon entfernt sind zu fordern, dass sich wegen ihnen sämtliche gesellschaftliche Zuordnungen auflösen. Sie sind sicher innerhalb der intersexuellen Gruppe ihrerseits in der Mehrheit und sollten nicht zögern, sich von dominant auftretenden Lobbyisten zu distanzieren, die sie gar nicht vertreten.

 

Nachtrag vom August 2018: "Nach der Sitzung des Bundeskabinettes am 15. August stand es fest: Künftig wird es mit den Eintrag 'divers' eine dritte Geschlechtsoption im Geburtenregister geben." Neben "weiblich" und "männlich" bleibt Option "ohne Geschlechtsangabe" bestehen.  

 

Nachtrag vom Juni 2020: "Die vor eineinhalb Jahren eingeführte dritte Geschlechtsbezeichnung für intersexuelle Menschen wird erneut zum Fall für das Bundesverfassungsgericht. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) geht in Karlsruhe gegen einen Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vor, den sie als diskriminierend empfindet. Der gemeinnützige Verein will durchsetzen, dass Menschen einen unzutreffenden Geschlechtseintrag auch ohne ärztliche oder psychologische Begutachtung ändern lassen können. Das ist bisher nicht möglich...Seit Ende 2018 können Menschen, die weder eindeutig männlich noch weiblich sind, sich im Geburtenregister als 'divers' eintragen lassen. Vorher war es nur möglich, das Geschlecht offenzulassen. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2017 entschieden, dass es neben 'männlich' und 'weiblich' eine dritte Option geben muss." 


20.9.2017

Entschieden für Straftäter

 

Man kann es in der Menschenrechtsdebatte wenden und zerfieseln wie man will, letztlich wird eine Entscheidung gefällt: tendenziell eher zu Gunsten des Täterschutzes oder zu Gunsten des potenziellen Opferschutzes. Anders formuliert: Es dominiert entweder das Individualinteresse des Täters, oder es dominiert das Interesse der Allgemeinheit an Schutz und Sicherheit. Laut Einspielern bei Plasberg (Minute 23:00) am 18. September fällt die Entscheidung pro vorrangigen Täterschutz nicht nur bei den üblichen Demonstranten gegen jedwede Abschiebung, sondern auch bei den beiden einflussreichsten deutschen Wohlfahrtsorganisationen. Das wird einfach so hingenommen. Warum? 

 

„Immense Macht“ von Caritas und Diakonie 

 

In Bezug auf die Abschiebung von acht Straftätern nach Afghanistan, die sich unter anderem der Vergewaltigung und des schweren sexuellen Kindesmissbrauchs schuldig machten, sagte Caritas-Präsident Peter Neher: „Wir halten daher auch weiterhin an einem Abschiebestopp fest, um zu verhindern, dass die Menschen in das voraussehbare Unglück geführt werden.“ Und Diakonie-Präsident Ulrich Lilie: „Auch wenn es sich bei den Abgeschobenen um Straftäter (…) handelte, dürfen diese Menschen nicht aus wahltaktischen Gründen einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt werden. Das ist auch mit unserem Verständnis eines Rechtsstaats, in dem auch Täter einen Anspruch auf Schutz haben, nicht vereinbar.“ Das Perfide an letzterer Aussage ist die Unterstellung der „wahltaktischen Gründe“. Damit auch ja keiner auf die Idee kommt, dass es um den Schutz potenzieller Gewaltopfer gehen könnte? Oder dient dieser Einschub der Verschleierung der Tatsache, dass dem Täterschutz hier mehr Relevanz beigemessen wird, als dem Schutz der Bevölkerung? Wie anders jedenfalls käme folgender Satz an: „Auch wenn es sich bei den Abgeschobenen um Straftäter (…) handelte, dürfen diese Menschen nicht aus Gründen von Schutz- und Sicherheitsinteressen der Bevölkerung einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt werden.“ Die wahltaktischen Gründe könnten indessen bei Diakonie und Caritas selbst eine Rolle spielen. Spätestens seit einem sehr ausführlichen Beitrag in der Wirtschaftswoche vom November 2012 „über die Untiefen des deutschen Sozialsystems“ ist bekannt: „In den Wachstumsfeldern des Sozialstaats spielen die kirchlichen Wohlfahrtsträger Caritas und Diakonie die entscheidenden Rollen. Unter dem Deckmantel der Gemeinnützigkeit haben sie ein expansives Perpetuum mobile konstruiert: Sie erfinden sich selbst immer neue Aufgaben, der Staat gibt das Geld.“ Die Verbände an allen Schalthebeln, ausgestattet mit einer „immensen Macht“ und dem Willen, keinesfalls „auf ihre Privilegien“ zu verzichten. „Doch von der politischen Seite müssen die Wohlfahrer trotz dieser Doppelzüngigkeit nichts fürchten.“ Bis dato, kurz vor der Bundestagswahl, ist das sicherlich der Fall.

 

Lavierende Straftäterlobby

 

Die „Wohlfahrer“ treffen mit ihrer Entscheidung pro vorrangigen Täterschutz nicht nur bei den ganz Linken und der grünen Jugend auf Gegenliebe. Wie Teile der SPD diesbezüglich ticken, verdeutlicht ein aktuelles, von weiteren Medien verbreitetes Interview des Deutschlandfunks (DF) mit dem SPD-Innenpolitiker Rüdiger Veit. Er hält es „angesichts der Sicherheitslage für unvertretbar, abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan abzuschieben. Das gelte auch für Straftäter.“ Diese sollten in Deutschland ihre Strafe verbüßen. In den schon jetzt überfüllten Gefängnissen? Weitere Fragen des DF: „Aber geht denn nicht der Schutz der eigenen Bevölkerung vor dem Schutz dieser Schutzsuchenden, die ja auch abgelehnt sind?“ Veit: „Es geht hier nicht darum, dass die Betreffenden bei uns Schutz finden müssten. Es geht um die Frage, ob man sie in Lebensgefahr bringen kann, dadurch, dass man sie in ihren Heimatstaat abschiebt, und auch Straftäter können Träger, beziehungsweise sind Träger von Menschenrechten…“ DF: „Haben Sie nicht das Gefühl, dass das vielen...Wählern gar nicht unbedingt so vermittelbar ist, dass jemand, der hier wirklich schwere Straftaten begeht, dann auch weiterhin unter unserem Schutz steht?“ Veit: „Das ist ja das, was ich versuchte, eben zum Ausdruck zu bringen. Es geht hier nicht um die Frage des Schutzes, den der Betreffende natürlich dann eben nicht dauerhaft bekommen kann.“ Dieses Lavieren geht bis zum Schluss des Interviews weiter. Auch hier wird partout nicht unmissverständlich zugegeben, dass eine Entscheidung zu Ungunsten des Schutzinteresses der Bevölkerung gefallen ist.  

 

Die Argumentation des Bayerischen Flüchtlingsrats: Erstens: Abschiebung von Straftätern sei in der Regel Doppelbestrafung. „Straftäter sitzen hier ihre Strafe ab wie jeder andere auch, nur erwartet sie dann nach der Verbüßung der Strafe noch eine Strafe obendrauf.“ Das sei nicht fair und verletze den Gleichheitsgrundsatz moderner Rechtsstaaten.“ Zweitens: Abgeschobene seien im Bürgerkriegsland Afghanistan großen Gefährdungen aussetzt. „Das gilt, da es sich nicht auf spezifische Individuen bezieht, für alle, auch Straftäter. Menschenrechte sind hier nicht unterschiedlich auszulegen.“ Drittens: „Schließlich brüsten sich hier Innenminister wie Joachim Herrmann damit, dass da zwei Vergewaltiger und einer, der schwere Körperverletzung begangen hat, aus Bayern abgeschoben wurden. Die afghanischen Behörden werden aber nicht darüber informiert, wer Straftäter ist und welche Delikte begangen wurden, angeblich aus Datenschutzgründen. Das heißt, auch Mörder, Vergewaltiger, Kinderschänder spazieren dort vom Flughafen in die Stadt und können unbehelligt ihr Unwesen treiben. Dies finden wir politisch höchst verantwortungslos. Abschiebung schafft Probleme nicht aus der Welt, sondern bürdet sie nur Staaten auf, die viel hilfloser sind als wir.“

 

Die Lage der Opfer ist dramatisch 

 

Die theoretische Abgehobenheit dokumentiert in all diesen Fällen, dass die Menschenrechte der Opfer und deren dramatische Lage nicht mal im Ansatz von Interesse sind. Eine seltene Ausnahme bot im Mai die Pforzheimer Zeitung, als sie den Vater des Vergewaltigungsopfers in der Bonner Siegaue zu Wort kommen ließ: „Die Familie stammt aus dem Enzkreis, sie lebte das, was man ein normales Leben nennt. Bis zur Tatnacht. Seither: Verzweiflung. Trauer. Wut.“ Der Vater beklagte in einem Brief an die Bundeskanzlerin und den Bundesinnenminister die unkontrollierte Aufnahme Hunderttausender Flüchtlinge, und dass abgelehnte Asylbewerber nicht bis zum Tag der Abschiebung in Abschiebehaft kommen. „Er sagt, mit anderen Gesetzen hätten seine Tochter und ihr Freund nicht so Schreckliches erleben müssen.“ Die beiden Opfer seien tief traumatisiert. „Dieses Ereignis“, so der Vater, „wird unsere Familien und alle, die uns nahe stehen, unser Leben lang verfolgen.“ Immerhin liegen hierzulande auch umsichtige Argumentationen vor, wenn es um die Abwägung von Menschenrechten geht. The European schrieb im Mai 2011 zum Thema Sicherungs-verwahrung: „Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention lautet: ‚Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit.‘ Während aber in der Rechtsprechung das Recht auf Freiheit von Angeklagten und auch von verurteilten Straftätern fein ziseliert ausgearbeitet worden ist, wird der zweite Teil der Vorschrift, das Recht auf Sicherheit von potenziellen Opfern von Straftaten meist nicht einmal erwähnt.“ In den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte finde sich kein Wort zur Abwägung zwischen Freiheitsanspruch des Verurteilten und Sicherheitsanspruch der Opfer und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts setzte kein deutliches Signal pro Opfer. „Keine deutliche Aussage der Karlsruher Richter zu berechtigten und nachvollziehbaren Belangen von Gewaltopfern – wieder einmal stehen die Täter und deren Interessen und Belange im Vordergrund. Der Blickwinkel der Opfer von schwersten Straftaten ist ebenso wie das für einen modernen Rechtsstaat klare Bekenntnis zu einem möglichst umfassenden Schutz vor hochgradig gefährlichen Verbrechern kaum erkennbar.“ Oberste Prämisse des Staates müsse aber immer der Schutz der Bevölkerung sein und ihr Recht auf Sicherheit und Frieden. Warum ist es das nicht?

 

Nachtrag vom 25.9.: Am heutigen ersten Prozesstag gegen den tatverdächtigen Vergewaltiger aus der Bonner Siegaue bestreitet der Angeklagte die Tat trotz erdrückender Beweise und wird im Gericht ausfällig. Bereits "in der Untersuchungshaft war er durch aggressives Verhalten aufgefallen, kam deshalb in eine besonders gesicherten Zelle"...

 

Nachtrag vom 12.10.2018: "Der Angeklagte im Siegauen-Prozess Eric X. hat nach der Neuverhandlung seiner Haftstrafe auch gegen das neue Urteil Revision eingelegt. Das Bonner Landgericht hatte ihn zuvor zu zehn Jahren Haft verurteilt."


19.9.2017

Steile These des Tages

 

"Weil Populisten den Demokratiebegriff zum Teil erfolgreich besetzen und sie in der Mehrheits-kultur ihres jeweiligen Landes verwurzelt sind, sind Populisten gefährlicher für den freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaat, als es eine Minderheit religiös-fundamentalistischer Einwanderer je sein könnte", schreibt Mattias Kumm, Professor für Global Public Law beim Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Man sollte sich das merken und den Realitätsgehalt in ein bis zwei Jahren nachprüfen. Immerhin bietet das WZB zur Frage "Muss die Mehrheit ihre Kultur stärker gegenüber Minderheiten verteidigen?" eine ausgewogene Gegenüberstellung


2.8.2017

Offen für Willkür

 

Der Bundestagswahlkampf ist offenbar an den Dritten Sektor outgesourct. Allein die „Initiative Offene Gesellschaft“ ist mit Geldern etwa aus Bundesfamilienministerium und Bertelsmann Stiftung gesegnet genug, um aktuell sieben Stellen ausschreiben zu können. Die gesuchten Eventmanager, Campaigners, Mediengestalter, Social-Media-Redakteure und Regionalbotschafter sollen laut ihrer zehn Thesen dafür sorgen, dass es „keine rechtspopulistische Partei im Deutschen Bundestag geben“ wird – unter der irreführenden Behauptung, man sei eine „bürgerschaftliche Initiative ohne Parteienbindung“. Die finanzielle Segnung betrifft unzählige im selben Duktus agierende Vereine. In Bezug auf die Voraussetzungen für Gemeinnützigkeit sollte man nebenbei nicht so pingelig sein. Prüfende Finanzämter nämlich sind, das wird jedem braven Journalisten klar sein, dem System der Bösen entsprungen. Und sowieso kann man störende Gesetze in einer offenen Gesellschaft willkür-lich ändern, wie 2014: „Auf Wunsch aller fünf im Parlament vertretenen Parteien kippt Brandenburg das Schulverbot für Wahlkämpfer.“ Man ist ja offen für die Preisgabe von Verbindlichkeit. 

 

Leserhinweis von Jörg Plath (Rostock): „Die Initiative ‚Demokratie ist alles‘ gibt vor politisch neutral zu demokratischer Bildung beizutragen und politische Bildung zu befördern. Es werden Kampagnen im großen Stil im Rundfunk und an öffentlichen Plätzen über Plakatwerbung gefahren. Dass diese Kampagnen gerade zurzeit laufen, scheint mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl auch kein Zufall zu sein.“ Vorsitzende sind mal wieder – wie auch bei „Artikel 1 – Initiative für Menschenwürde e.V.“ – Jana Faus und Kajo Wasserhövel. Zu deren wahlkampfrelevanten Aktionen gehört etwa dieser Workshop


22.6.2017

Hunderte Millionen für Vereine

 

Der Bundestag scheint in seiner Funktion nach und nach auf die eines Geldverteilungs- und Arbeitsbeschaffungsinstituts zu schrumpfen. In einem aktuellen Bericht der Bundesregierung heißt es: „In dieser Legislaturperiode hat die Bundesregierung die Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements für Demokratie und zur Extremismusprävention durch die zentralen Bundesprogramme („Demokratie leben!“ und „Zusammenhalt durch Teilhabe“) von zusammen rund 35 Mio. Euro auf zusammen rund 115 Mio. Euro verdreifacht.“ In die Förderung einbezogen sind „Maßnahmen zur Stärkung der Willkommenskultur, zur Konfliktmoderation in Sozialräumen sowie zur Radikalisierungsprävention von gefährdeten Jugendlichen“. 


6.6.2017

Geschlossene „offene Gesellschaft“

 

Die Initiative „Offene Gesellschaft“ will zusammen mit der Diakonie am 17. Juni einen „Tag der offenen Gesellschaft“ veranstalten; gefördert vom spendierfreudigen Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und kreiert von der mit bundespolitischen Aufträgen verwöhnten Werbeagentur Scholz & Friends. Ab 17 Uhr „heißt es überall im Land: Tische und Stühle raus und schön eindecken!“, um Demokratie und Vielfalt zu feiern. „Parteipolitischen Hintergrund gibt es nicht“, liest man unter der Überschrift „Fragen & Antworten“. Die „10 Thesen“ hinterlassen den gegenteiligen Eindruck: „Es war die demokratische Mehrheit einer engagierten Bürgerschaft, die Pegida nirgendwo in Deutsch-land außer in Dresden hat hochkommen lassen, und es war die Mehrheit der offenen Gesellschaft, die seit dem Spätsommer 2015 aktiv für das Asylrecht und die Flüchtlingshilfe eingetreten ist. Es wird keine rechtspopulistische Partei im Deutschen Bundestag geben.“ Die Leute sind so verblendet, dass sie eigene Widersprüche gar nicht begreifen. Demokratie ist mit solchen sicher nicht umsetzbar. 

 

Nachtrag vom 9.6.: Siehe auch Kisslers Konter zum von „Demokratie leben!“ finanzierten „Doppeleinhorn“: Die Kennzeichen unserer Zeit – „Infantilisierung, Denkfaulheit, Vulgarität und Zwangskumpanei zu autoritären Zwecken“ – gipfeln grotesk in einer staatlichen Kampagne, "die sich vordergründig einmal mehr dem Kampf" gegen Hass und Intoleranz verschreibt… 


10.4.2017

„Verbände in Aufruhr“

 

1,2 Milliarden Euro: Das ist laut Bericht des EU-Abgeordneten Markus Pieper (CDU) die Summe, die NGOs von der EU 2015 erhielten. Es gebe eine starke Konzentration von Geldern an wenige Empfänger, wie Euractiv berichtet. Erhellend ist folgende, von NGO Monitor zitierte Aussage: „Häufig würde nur eine kleine Zahl von NGOs mit der Umsetzung von Regierungspolitik betraut, ohne dass man deren politische und ideologische Agenden berücksichtigen würde.“ Pieper fordert von der EU, jedwede Förderung von Organisationen abzulehnen, die „nachweislich Unwahrheiten verbreiten" oder deren Ziele den Menschenrechten oder den sicherheitspolitischen Zielen der EU widersprechen“. Industrievertreter: Etliche Behauptungen, die etwa Umwelt-NGOs aufstellten, seien „dreiste Lügen“. Die Direktorin von Friends of the Earth empört sich über den Verweis auf sicher-heitspolitische Ziele der EU: Damit schränke man die Debatte ein. Außerdem subventionierten die Regierungsbehörden die „Zivilgesellschaft“, um sich mit Politik zu befassen. Das unterscheide Demokratien von Autokratien. Fragt sich nur was ist, wenn NGOs selbst autokratisch handeln und ihnen das öffentliche Interesse sonst wo vorbei geht. Denn die vernünftige Zivilgesellschaft hat im Gegensatz zu jenen sicherlich begriffen, dass heute Sicherheitspolitik an erster Stelle stehen muss. 


7.4.2017

Zur Intersektionalität

 

Dieser Beitrag war auch einmal überfällig: Audiatur zur „Bildung von Allianzen unterschiedlicher Anliegen, die nichts miteinander zu tun haben oder deren postulierte Ziele einander sogar wider-sprechen“ sowie zur Einteilung der Gesellschaft in böse Privilegierte und gute Opfer, die dafür her hält, dass „Feministinnen und Aktivisten für Schwulenrechte sich weigern, den Sexismus und die Homophobie in der arabischen Welt zu verurteilen“ und warum das alles an 1933 erinnert.


22.2.2017

Politkorrekte Geburtshilfe

 

Ende Januar diskutierte man auf Initiative der WolfartKlinik, einer Privatklinik für Orthopädie, Chirurgie und Geburtshilfe in Gräfelfing, über „Globalisierung vs. Re-Nationalisierung – die Rückkehr des Populismus“; wie der Entwicklung Einhalt gebieten? Im Ausschreibungstext die üblichen Plattitüden über „spaltende Wirkung populistischer Parolen“. Politkorrekter Populismus setzt offenbar voraus, dass gedanklich gar nicht mehr nachvollzogen wird, was gesagt wird. Sonst hätte man nicht den unsinnigen Gegensatz von „Globalisierung vs. Re-Nationalisierung“ postuliert, der bar jeder Tatsache voraussetzt, Nationalstaaten hätten sich bereits aufgelöst und Globalisierung könne sich nicht unter Beibehaltung souverän agierender Länder entwickeln. Wer sich wundert, was eine medizinische Klinik antreibt zu sachfremden Politikdebatten einzuladen, findet womöglich hierin eine Erklärung: Die WolfartKlinik erfreute sich bereits sieben Mal über die Auszeichnung als „Bester Arbeitgeber im Gesundheitswesen“ sowie 2016 über die Verleihung "Bester Arbeitgeber Bayern". Die Politisierung sämtlicher Lebensbereiche war übrigens Kennzeichen des NS-Staates. 


8.2.2017

Intransparente Stiftungen mit unterschätztem Einfluss

 

Das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) informierte im Januar über ihre Studie zu mangelnder Transparenz und problematischen Verflechtungen von 61 unternehmensnahen Stiftungen. Die Mehrheit von ihnen arbeite intransparent. „Rund 40 Prozent der untersuchten Stiftungen betreiben Politikberatung und verfolgen zum Teil dezidiert politische Ziele.“ Dabei habe sich die Bundesregierung mit dem Beitritt zur Open Government Partnership zur Transparenz deutscher Verwaltungen verpflichtet: „Bei der lange diskutierten Transparenz unternehmensnaher gemein-nütziger Stiftungen steht sie nach wie vor in der Bringschuld.“ Einflüsse der Stiftungen würden unterschätzt, partikulare Interessen blieben im Dunkeln. „Besonders eklatant aber ist die Weigerung einer großen Zahl von steuerlich begünstigten Stiftungen, hinreichende Informationen über ihre Aktivitäten öffentlich bereit zu stellen.“ Dazu verpflichtet sind sie vom deutschen Gesetzgeber nicht. „Dennoch werden diesen Stiftungen steuerliche Vorteile eingeräumt.“ 

 

Aus politikwissenschaftlicher Sicht sei das problematisch, da als „gemeinnützig anerkannte Stiftungen aufgrund ihrer steuerlichen Begünstigung und ihrem Wirken in öffentlichen Bereichen belastbar gemeinwohlorientiert und in maximalem Maße unternehmensfern, demokratisch (i. S. von Kontrollmöglichkeiten) strukturiert und hinreichend transparent sein sollten“. Diesbezüglich hegt das WZB große Zweifel. Es gebe zahlreiche Personalunionen zwischen höchsten Stiftungs- und Unternehmensgremien. Bis zu dreistellige Millionenbeträge gäben etliche Stiftungen jährlich aus; teils verfügten sie über milliardenschwere Stiftungsvermögen. Das Steueraufkommen, welches Unternehmen als Stifter sparen, entgehe dem öffentlichen Haushalt – de facto verfügten Stiftungen privat über Steuergelder. Teil der WZB-Analyse ist die Freudenberg Stiftung (fördert den Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration), die Fritz Thyssen Stiftung als „Netzwerk der gemeinsamen Reflexion von Wissenschaft und Politik über europäische Heraus-forderungen“ oder die Hertie-Stiftung: sie fördert „gemeinsam“ mit der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung und anderen Partnern das Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM). Mit dem BIM werde „ein systematischer Forschungstransfer in den öffentlichen Raum angestrebt, der von der kritischen Begleitung politischer Debatten über öffentlichkeitsorientierte Veranstaltungen bis hin zu medialen Interventionen reicht.“ Bei den „SinclairHaus-Gesprächen“ zum Beispiel führt die Stiftung „internationale Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Religion zum Austausch über grundlegende Fragen der Gegenwart zusammen“. Solche Formate finden im geschlossenen Kreise statt. Hoch politisch aktiv sind darüber hinaus die Bertelsmann Stiftung und die Robert Bosch Stiftung sowie Mercator. Das WZB fragt sich: „Warum wird so viel Schatten oder Halbschatten gewährt bei dieser Arbeit?“

 

Nachtrag: Siehe auch: Kritik an Kooperation mit NRW-Regierung - Der Bertelsmann-Komplex.


26.1.2017

Treffen der Köln-Relativierer

 

Man kann sich vorstellen, wie der heutige Themenabend „Gesellschaftspolitische Einordnung der Vorfälle von Köln“ abläuft. Im Ausschreibungstext der Veranstalter (Afrika Stiftung, Humboldt Universität, Initiative Schwarze Menschen) heißt es: „Racial Profiling in Köln und das Konstrukt einer kollektiven Bedrohung durch überwiegend nordafrikanische Männer beschäftigt seit dem Jahreswechsel erneut die deutsche Öffentlichkeit. Dies wird lebhaft mit Integrations- und Rassismusfragen verknüpft. Auch der Anschlag des Tunesiers Anis Amri auf den Berliner Breitscheidplatz hat geflüchtete Menschen und die Frage nach einer von ihnen potentiell ausgehenden Bedrohung erneut in den Vordergrund gerückt. Wer aber diskutiert eigentlich? Wie zielführend ist die Debatte und welche neuen Maßstäbe werden gesetzt?“ Ein Impulsreferat gibt Susan Arndt von der Universität Bayreuth. Zu ihren Arbeitsgebieten gehört „Kritische Weißseinsforschung“. Eine Kostprobe: „Weißsein ist ein Symbol, das über den Master-Signifier Weißsein entworfen wird…Es geht nicht um ‚Hautfarbe‘, sondern um die ideologische Konstruktion von ‚Hautfarben‘…Zum konstitutiven Wissen über Weißsein zählt dabei sicherlich, dass Weißsein als Machtmatrix als Subjekt und Motor von Rassialisierungsprozessen zu lesen ist und zu den wichtigsten ‚soziopolitischen Währungen‘ zählt, die das Innehaben von Privilegien garantiert…Weißsein als interdependente Kategorie gestaltet sich damit dynamisch und komplex, ohne dabei aber einer Verhandelbarkeit zu unterliegen, die es erlaubt, einzelne Weiße off-white zu setzen.“ 

 

Die Moderation des Themenabends übernimmt Ines Kappert, Leiterin des Gunda-Werner-Instituts für Feminismus der Heinrich-Böll-Stiftung, wo man sich gerade im „PostKölnialismus“ überschriebenen Beitrag beruhigt sieht, dass es in Köln keinen einzigen Fall von erzwungenem Geschlechtsverkehr gab. Die Veranstaltung wird auch von der „Kampagne für Opfer rassisti-scher Polizeigewalt“ (KOP) beworben. KOP Bremen: „Zum Jahreswechsel 2015/16 kam es am Kölner Dom zu massenhafter sexueller Belästigung junger Frauen durch vermeintliche ‚Ausländer‘. Tatsächlich ist das passiert, was immer passiert, wenn eine große Gruppe Männer im alkoholisierten Zustand irgendwo auftritt. Frauen werden belästigt. Oktoberfeststyle. Schön und gut. Aber dieses Mal waren es eben (vermeintliche) nicht-Deutsche, deswegen kochte das deutsche Herz auch so über in der Sorge um die blonde Frau.“ Und inzwischen: „Die Debatte ist Wasser auf den Mühlen der rassistischen Mobilisierung, die sich seit geraumer Zeit ungehindert formiert und in guter deutscher Tradition allem vermeintlich Fremden gegenüber hetzt.“ Ob die Aktivisten zufrieden gestellt wären, wenn nur noch sexuelle Übergriffe von Deutschen thematisiert würden und gar niemand mehr über solche von Zugewanderten spräche, scheint angesichts der schon fanatisch anmutenden Einteilung in Verdammte und Heilige fraglich. Ebenso, ob das Interesse für die Situation der Opfer von inzwischen nahezu täglichen Sexattacken bei der Einordnung der Prioritäten überhaupt eine Rolle spielt.  

 

Siehe auch der aktuell vorgestellte Bericht des Bundeskriminalamts: Die "Erkenntnisse erlauben eine Einordnung der Silvesterstraftaten in den Zuwanderungskontext". 

 

Nachtrag vom 1.2.: Abschluss des Köln-Untersuchungsausschusses: "Junge Zuwanderer – weit überwiegend aus den Maghreb-Staaten – kesseln junge Frauen ein, begrapschen sie, dringen teilweise mit Fingern in die Frauen ein und rauben sie dabei auch noch aus. 'Das gab es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht', stellt (Kriminalpsychologe Rudolf) Egg fest. In der Dimension habe es das auch 'in keinem anderen europäischen Staat' gegeben."