24.10.2017

Anti-EU-Politik: Eine deutsche Provokation 

 

Die Hetze deutscher Medien gegen Ergebnisse demokratischer Wahlen in merkelkritischen Ländern ist tölpelhaft und vorhersehbar. Nach dem Wahlsieg von Andrej  Babis in Tschechien berauscht man sich wieder an den üblichen Hohlphrasen „Populismus“ oder „Nationalismus“; Erkenntniswert: gleich null. Für die neu ausgemachte Boshaftigkeit der Länder, in denen partout nicht nach dem Diktat deutscher Redakteure gewählt wird, müssen allerdings noch gefährlichere Bezeichnungen her: Die „neue Anti-EU-Achse“ (n-tv) etwa oder die „rechte Front im Osten Europas“ (RP Online).  Bei der Welt ängstigt man sich vor der „Achse gegen den Westen“ und postuliert „Anti-Europa-Politik“ mit „europafeindlichen Parolen“. Warum das Bedürfnis, europäische Grenzen zum Schutz der EU-Länder abzuriegeln, europafeindlich sein soll, erschließt sich nicht. Ebenso wenig ist die Kritik an einer „überbordenden Dominanz von Brüssel über die Länder Mittel- und Osteuropas“ in Europafeindlichkeit übersetzbar. Beachtenswert: In keinem der Artikel wird in Abrede gestellt, dass sich Babis als „pro-europäisch“ bezeichnet und Tschechien „integraler Bestandteil der EU und der Nato“ bleiben werde. Die schimpfwütigen Redakteure sprechen den „machtgierigen Populisten in Budapest, Warschau oder Prag“ trotzdem ab, pro-europäisch zu sein, und stellen damit deren Integrität gänzlich unverschämt in Frage. Nach solch erheblich provozierendem Angriff den tiefen „Graben zwischen Ost und West“ zu beklagen ist reichlich idiotisch. Die Vermutung liegt nahe, dass die deutsche Presse im östlichen Ausland ohnehin nicht mehr ernst genommen wird.

 

Leserkommentare zur Sache: „Ich bezweifle stark, dass Tschechiens Grundhaltung antieuropäisch ist. Anderer Meinung zu sein und diese für das zu verantwortende Land zu realisieren heißt nicht, Europa abzulehnen.“ – „Kein Kohl, kein Schmidt, kein Brandt und auch keiner der früheren französischen Regierungschefs hätte das je so weit kommen lassen, dass die EU zum Schrecken ihrer neuen Mitglieder in Mittel- und Osteuropa wird. Sie waren alle auf Ausgleich und nicht auf Ausgrenzung durch Überheblichkeit und Bevormundung bedacht. Ich denke, der Schaden, der hier durch Politiker wie Merkel und Juncker angerichtet wurde, ist größer, als wir uns jetzt alle vorstellen können. Und ich bedaure das, denn ein demokratisches, auf Mitglieder Rücksicht nehmendes Europa ist eine erstrebenswerte Sache.“ – „Die Respektlosigkeit vor anderer Meinung und anderen nationalen Interessen gegenüber EU-Ländern durch Merkel und der von ihr dominierten EU-Entourage hat mit dem Versuch, eine irrwitzige Flüchtlingssystematik ohne Zukunftsperspektive in Europa zu installieren, ein politisches Unterwasserbeben ausgelöst, dessen Tsunamie-Welle verspätet auf die Politik von Merkel und EU-Leitungsfiguren trifft…Je mehr Flüchtlinge abgenommen und auf EU-Länder verteilt würden, umso mehr strömen nach, animiert und geleitet durch Schlepperbanden über immer weiter entstehende Routen. Für viele EU-Länder und ihre Bürger ist das Unsinn.“ 

 

Siehe auch das Video beim ORF: Deutschsprachiges Interview mit Babis zur Absage einer Koalition mit radikalen Parteien und zum - laut Babis organisierten - Betrugsvorwurf. Außerdem: Václav Klaus bei der Weltwoche: "Mit Sicherheit stimmen die Schlagzeilen in den deutschen Medien nicht, die behaupten, es habe eine Art 'tschechischer Trump' und ­Euro-Skeptiker gewonnen. Andrej Babis ist kein Trump, und seine Kritik an der EU zielt auf bestimmte politische Maßnahmen, aber nicht auf die EU an sich." 

 

Nachtrag vom 30.10.: "Freiheit des Ostens - In der EU dreht sich die politische Achse."

 

Nachtrag vom 9.12.: Nach Ankündigung der EU-Kommission Tschechien, Ungarn und Polen wegen mangelnder Solidarität in der Flüchtlingskrise zu verklagen und Polen die Mittel zu kürzen, falls das Land keine Flüchtlinge aufnehme, sagt der dortige neue Ministerpräsident Mateusz Morawiecki: "Wir lassen uns nicht von der EU erpressen."


21.10.2017

Wahrhaftigkeit als politische Revolution

 

Das Wahlergebnis in Österreich vom vergangenen Sonntag ist ja wesentlich nur deshalb eine Provokation für hiesige Medien und Politiker, weil dort nun ein Politiker mit Anspruch auf Wahrhaftigkeit im Vordergrund steht; der sich leistet Tatsachenpolitik – „wir werden“ – zu betreiben, anstatt in Ankündigungspolitik – „wir müssen“ – zu verharren.  Bei carta.info findet sich zur bisherigen Unwahrhaftigkeit eine schöne historische Schleife zu Odysseus, „einer der größten Lügner der menschlichen Kulturgeschichte“. Die homerischen Epen wimmelten ja geradezu vor Lügen und Täuschungsmanövern: „Antike Götter belogen und betrogen einander ohne Unterlass…Und der listige Odysseus wurde für seine lügen- und täuschungsdurchsetzten Aktivitäten von Göttern gelobt und von Menschen aller Epochen bewundert. Er hätte gewiss auch im 21. Jahrhundert – naturgemäß erst nach dem Erwerb von Social Media-Kenntnissen – veritable Chancen auf eine politische Spitzenposition.“ Odysseus als listiger Winner und Vorbild brachte es „rhetorisch fertig, sich zumeist in einen moralisch-ethischen Rechtfertigungskontext der Notwehr zu stellen“. Das könnte bekannt vorkommen. „Die rhetorische Überhöhung und das Erzielen wirkungspsychologischer Effekte zum Zweck der Beeinflussung der Massen ließen die letzten Reste redlicher Staatsgesinnung dahin schmelzen.“ Dabei degeneriert das Werben um das Vertrauen der Bürger ohne Wahrheitsbezug zur arroganten Erwartungshaltung politischer Akteure. Der Effekt: „Das, was heute noch immer durch politische Lügen systematisch beschädigt wird, ist die Integrität des politischen Systems selbst.“ Es kommt also einer politischen Revolution gleich, was man sich in Österreich nun vornimmt. Zur Unterhaltung am Wochenende: Hier gibt es „Odysseus für Eilige“ und an dieser Stelle eine längere Doku dazu.

 

Nachtrag vom 16.12.: Die türkis-blaue Regierung in Österreich steht - hier gibt es ein Statement der Koalitionäre dazu. Die Ziele der neuen Regierung: Entlastung der Steuerzahler, Stärkung des Standorts und mehr Sicherheit, auch mittels Kampf gegen die illegale Migration. Außerdem bemühe man sich um einen anderen politischen Stil. Man wolle "ein Land, in dem es nicht mehr Regulierungen und Regeln gibt, sondern weniger Regeln, die aber von allen eingehalten werden. Österreich soll ein Land der Vielfalt sein, aber mit Grundwerten, die für alle gelten", heißt es dort. Die designierte österreichische Außenministerin Karin Kneissl ist "scharfe Kritikerin von Merkel und Juncker", wie es die DWN im Bericht über Kneissls interessante Biografie formulieren. Das Regierungsprogramm von Österreich für 2017- 2022 ist hier zu finden.


16.10.2017

Zur Wahl in Österreich 

 

Ergebnisse der Nationalratswahlen in Österreich sind hier zu finden. Einen interessanten Bericht bietet der Merkur, unter anderem zu den Sanktionen gegen die österreichische Bundesregierung im Jahr 2000. Nachdem dort die erste schwarz-blaue Regierung aus ÖVP und FPÖ zusammengefunden hatte, beschlossen 14 EU-Staaten (unter deutscher Beteiligung von Joschka Fischer als Außenminister) bilaterale politische Kontakte quasi einzustellen (siehe auch hier). Nach einigen Monaten stellte man die Ineffektivität dieser Aktion fest. „Die Urheber der Sanktionen überlegten sich ein Ausstiegszenario und baten die drei ‚Weisen‘ einen Bericht zur Lage in Österreich zu verfassen. Heraus kam das, was eh jeder erwartet hatte: Die Weisen stellten fest, dass die österreichische Regierung für die europäischen Werte eintritt und die Rechtslage der der anderen EU-Staaten entspricht. Zudem, so wurde auch festgehalten, würden sich die FPÖ-Minister gar nicht so arg benehmen wie zunächst befürchtet.“ Heute werde es wohl EU-seitig kaum mehr als „Naserümpfen, Stirnrunzeln oder kritische Kommentare“ zu einer ÖVP-FPÖ-Koalition geben, heißt es bei nachrichten.at. Christian Kern von der SPÖ meinte allerdings noch im September, die Besorgnis vor einer Regierungsbeteiligung der FPÖ sei „besonders ausgeprägt“ bei EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Nichtsdestotrotz hieß es im Mai, ebenfalls dieses Jahres: „Die österreichischen Sozialdemokraten wollen mit einem Tabu brechen. Eine Abstimmung der Partei soll grünes Licht für ein Bündnis mit der rechtspopulistischen FPÖ geben…Die Angst, von der Regierungsbank verdrängt zu werden, ist wichtiger als das Festhalten an Grundsätzen.“ In punkto Glaubwürdigkeit wundert es nicht, dass die ÖVP mit Sebastian Kurz Wahlsieger wurde.

 

Weshalb die Zuwanderungspolitik des ÖVP-Chefs Sebastian Kurz heute (scheinbar) restriktiver ist als noch 2014/2015, begründet er übrigens in diesem Video ab Minute 50:00. Seine erste Rede nach Wahlergebnis-Bekanntgabe ist hier zu hören und zu sehen. (Anm.: Videos gelöscht)

 

Nachtrag: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker forderte Sebastian Kurz mittels Brief dazu auf, eine „stabile proeuropäische Regierung“ zu bilden; unter Verweis auf die großen Herausforderungen, „die auf Österreich und Kurz persönlich zukommen werden“ – Österreich wird im zweiten Halbjahr 2018 die EU-Ratspräsidentschaft inne haben. L’essentiell: „Inwiefern die Regierung in Österreich proeuropäisch ausgerichtet sein wird, hängt von den anstehenden Koalitionsverhandlungen ab. Als zweitstärkste Kraft aus den Nationalratswahlen ging die als europaskeptisch geltende FPÖ hervor.“ Im Programm der FPÖ zur EU: man kämpfe gegen ausufernde EU-Bürokratie: „Wir wollen keinen zentralistischen Bundesstaat nach dem Muster der USA, sondern eine europäische Konföderation souveräner Nationalstaaten mit einer starken direktdemokratischen Komponente.“ Kurz zu seiner EU-Politik beim heute journal: hier.

 

Nachtrag vom 19.10.: The European postuliert: „Kurz ist ein Problem für Europa.“ Fast 60 Prozent der österreichischen Wähler hätten sich „für eine Abschottung ihres Landes vor weiterer EU-Integration entschieden“. Man habe einen „dumpfen“ (?) nationalistischen Kurs eingeschlagen; Merkel, Macron & Co. seien hingegen „neustartwillige Europäer“. In diesem Video ab Minute 28:20 kann man sich einen realistischen Eindruck verschaffen. Außerdem: "Kurz könne gar als 'Brückenbauer' zwischen osteuropäischen Staaten auf der einen Seite und etwa Frankreich und Deutschland auf der anderen fungieren." (Standard)

 

Nachtrag vom 7.10.2018: "Österreichs Ex-Kanzler Christian Kern verabschiedet sich nun doch endgültig aus der Politik. Der 52-Jährige gab in Wien bekannt, dass er einen Schlussstrich unter seine Karriere als Berufspolitiker ziehen wolle."


13.10.2017

„Medienwissenschaftler“ hetzt gegen Kurz

 

Kurz vor der Nationalratswahl in Österreich wird mancherorts gegen das politische Ausnahmetalent Sebastian Kurz gehetzt, der die absurde deutsche Flüchtlingspolitik kritisiert und in Österreich als eventuell künftiger Kanzler sowohl für Augenmaß als auch für einen integeren Politikstil sorgen will. Für die hiesige Bundeskanzlerin und ihre Vasallen wäre Kurz als Kanzler im Nachbarland ein handfestes Problem. Bei der Huffington Post schießt jetzt ein „Medienwissenschaftler“ namens Johannes Schütz gegen ihn. 

 

Unter dem Titel „Warum der aktuelle österreichische Außenminister Merkel nicht kritisieren sollte“ meint dieser: „Deutsche Medien sollten seine Statements nicht hinnehmen. Die Entzauberung des Sebastian Kurz wird folgen“, droht der Autor in seiner Aufstachelung zur Medienhatz. Besonders abstrus: Während man sonst in linken Kreisen stets bewundert, wenn sich ein Politiker aus bescheidenen Verhältnissen hocharbeitet, wird genau das dem Kanzlerkandidaten vorgeworfen: Er wuchs im Wiener Arbeiterbezirk Meidling in „klein-bürgerlichen Verhältnissen“ auf, eine der „schlechtesten Wohngegenden der Stadt Wien“, der „über einen starken Anteil an ausländischer Bevölkerung“ verfügt. Kurz besuchte keine Eliteschule, weder das Lycée Français de Vienne noch die Vienna International School. „Präpotent" trete er auf; „seine Bemerkungen basieren nicht auf genauen Überlegungen, sondern bauen auf die Hoffnung, dass sich Erfolg durch ein forsches und freches Auftreten einstellt“. In einem der TV-Duelle (Anm.: Video gelöscht) kann man sich vom Gegenteil überzeugen. 

 

Weiter geht es in der Hatespeech des „Medienwissenschaftlers“: Präpotent sei auch Kurz‘ Kritik über die Flüchtlingspolitik der deutschen Bundeskanzlerin: „Solche Statements von Sebastian Kurz sollten in Deutschland aber nicht hingenommen werden. Das Land, in dem die Frankfurter Schule eines Theodor W. Adorno und Max Horkheimer wirkt, darf den Mut zeigen, kritische Analysen auch entsprechend öffentlich zu machen.“ Man werde noch konstatieren, dass sein öffentliches Image nicht dauerhaft ist. „Die Demaquillage des Sebastian Kurz wird folgen. Unabhängig vom Ausgang der aktuell bevorstehenden Nationalratswahlen in Österreich.“ Ähnlich diskreditierend darf der „Medienwissenschaftler“ durch weitere deutsche Medien die Leser belästigen, etwa beim Freitag. Folgende Forderung des Kanzlerkandidaten sei schlicht dreist: „Mehr Deutsch in Moscheen. Davon bin ich heute noch überzeugt. Wo Deutsch gesprochen wird, wird Deutsch schneller erlernt, das hilft bei der Integration.“ Auch damit würde Österreichs guter Ruf „durch die Politik des Außenministers Sebastian Kurz zertrümmert“. ???

 

The European gibt Schütz ebenfalls entsprechenden Raum. Ein Leserkommentar dazu: „Dümmlicher und durchsichtiger kann man sich ein Pamphlet auf Sebastian Kurz kaum vorstellen und schon der Zeitpunkt verrät die Absicht. Das passt wohl so gar nicht in Ihre Welt, Herr Schütz. Da wird ein blutjunger Mensch zum politischen Heiland, der in einem ärmlichen Stadtviertel mit massivem Migrationshintergrund aufwächst, wo man Meidlinger Dialekt spricht und mit einem palatalen ‚L‘ die Sprache verhunzt, der keine Eliteschulen besucht hat und nicht von Hofschranzen hochgepäppelt wird, der frische, rote Backen hat und die ‚Ästhetik eines Fotomodells‘, der eine ‚freche‘ Sprache spricht statt des politischen Hinterzimmer-Genuschels. Eher müsste man fragen, was für ein Ausnahmetalent dieser Mann ist, der trotz dieser Widrigkeiten zur Hoffnung für Österreich und Europa wurde. Außerdem: Haben Sie sich bezüglich elitärer Schulbildung auch so echauffiert, als der Mann aus Würselen Präsident !!! des Europäischen Parlamentes und Heiland der SPD wurde.“ 

 

Es bliebe zu recherchieren, was den Autor zu dieser abfälligen Aktion antreibt – er war Lehrbeauftragter an der Universität Wien, Vorstand des Zentrums für Medienkompetenz und Projektleiter bei der Konzeption des Wiener Community-TV.


27.9.2017

Österreich wählt 

 

Am 15. Oktober findet die Neuwahl zum Nationalrat in Österreich statt, weil die dortige rot-schwarze Koalition von SPÖ und ÖVP unter dem Kanzler Christian Kern (SPÖ) zerbrochen ist. Sebastian Kurz, Außenminister und ÖVP-Parteichef, wirbt für seine Partei mit der „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“, unter anderem mittels einer aufwändig gestalteten Internetkampagne. Das Programm in drei Teilen steht dort. Nach einem Sieg wäre Kurz mit 31 Jahren Bundeskanzler. Welche Parteien noch antreten und mehr Infos bietet der Merkur.

 

Nachtrag vom 30.9.: „SPÖ-Manager muss wegen rassistischer Facebook-Seite zurücktreten … Eklat bei der österreichischen Sozialdemokratie: Ein PR-Unternehmen betrieb für die Partei Fake-Seiten auf Facebook“, um ÖVP-Chef Sebastian Kurz zu schaden und einen Keil zwischen ÖVP und FPÖ zu treiben. Die SPÖ bezahlte die PR-Leute dafür mit 500.000 Euro. 


11.9.2017

Nationalstaat als Friedensgarant

 

Endlich kommt verstärkte Gegenrede zur angeblich notwendigen Auflösung der Nationalstaaten auf, wie es gerade wieder beim ideologisierten Internationalen Literaturfestival Berlin tönte. „Um Europäer zu sein, müssen wir nicht aufhören, Deutsche oder Italiener zu sein“, sagt hingegen laut DWN der frühere Finanzminister Italiens, Giulio Tremonti. Lesenswert auch das Interview der NZZ mit dem Soziologen Wolfgang Streeck: „Dem Nationalstaat und nicht internationalen Organisationen gehöre die Zukunft“, denn nur dort gebe es demokratische Kontrollmacht. Und überhaupt: Was heiße, die Nationen überwinden? „Gegen den Willen ihrer Bürger? Und was soll an ihre Stelle treten?“ Eine einheitliche EU-Regierung führe zur Spaltung. „Europa von Hammerfest bis Palermo unter einer Regierung ginge nur als Technokratie, abge-löst von Vorstellungswelten seiner Bürger, regiert von moralisch sich überhebenden Besser-wissern. Es wäre eine politische Gemeinschaft ohne gemeinsame Sprache, ohne gemeinsame Traditionen, ohne ein gemeinsames Verständnis von Problemen und Lösungen – ein Kopf- und Kunstprodukt.“ Eine prägnante Zusammenfassung dessen, worauf vor allem die mediale und universitäre Elite gerade hinarbeitet. Ungewohnt direkt antwortet der Soziologe auch hier: „Sie als Linker vertreten die Idee des Nationalstaates? Wollen Sie zurück ins 19. Jahr-hundert?“ Streeck: „Was für eine Rhetorik! Der Nationalstaat ist kein Rückschritt, sondern ein Fortschritt. Die Zahl der Nationalstaaten wächst ständig.“ Also ein Erfolgsmodell. „Nationalstaat als politische Organisation ermöglicht es, regional fundierte Interessen ansässiger Bevölkerungen in der Welt zu vertreten.“ Gerade das habe in Westeuropa zu langfristigem Frieden geführt. Bleibt die Frage, wer am Erhalt dieses Friedens interessiert ist und wer es nicht ist. 


29.6.2017

Qualifikation des Tages: „Standortpolitiker“ 

 

„EU fehlen 20 Milliarden Euro im Haushalt“, titeln die DWN, „wegen des Austritts Großbritanniens und neuer Aufgaben für die EU“ wie Migration oder Verteidigung. EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger, der „gelernte Standortpolitiker“ – was täte die Welt nur ohne solche –, folgert messer-scharf: Die EU braucht entweder „die finanziellen Ressourcen, um die neuen Aufgaben zu erfüllen“, oder müsse ihre „Ziele zurückschrauben“. Die bevorzugte Ausgangsposition des gelernten Standort-politikers „wird sein, das Niveau zu stabilisieren und das Geld gleichzeitig selektiver auszugeben“.   


19.5.2017

Exportschlager: „Demokratie leben“

 

Heute fand in Rimini eine Veranstaltung des European Forum for Urban Security statt. Tags zuvor konnte man sich im Teatro Galli mit diversen Broschüren zum Thema eindecken. Richtigerweise steht in einer darin, man muss die Lage schon gut erkennen, um ein effektives Konzept zur Steigerung der Sicherheit im städtischen Umfeld auszuarbeiten. Bei der Konferenz, zu der man aus ganz Europa anreiste, ging es dann mit keiner Silbe um die gestiegene Alltagskriminalität und die teils abartigen Verhaltensweisen, die sich vor allem in Laissez-faire-Deutschland seit September 2015 etablieren. Für die deutsche Vertretung wurde übrigens Anna Rau – anzunehmend auf Steuerzahlerkosten – eingeflogen, die den Leuten anhand einer Kurzpräsentation (inklusive Logo des Bundesfamilienministeriums) etwas über das Bundesprogramm „Demokratie leben“ sowie über den notwendigen deutschen Kampf gegen Islamophobie und Rechtsextremismus erzählte. Die Teilnehmer der Konferenz waren alle nett und freundlich, zur Sicherheit im städtischen Umfeld wird diese rein gar nichts beitragen. Es war ein Austausch unter Bewohnern des Paralleluniversums. 


12.1.2017

In europäischen Sphären

 

Soeben ist die Unterrichtung zur Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates im Juni 2016 erschienen. Es geht darin auch um Übersexualisierung von Kindern. Die Abgeordnete Mechthild Rawert (SPD) meinte dazu, „es müsse aber auch eine positive Auseinandersetzung mit Sexualität in den Medien und Schulen geben“. Außerdem findet sie, dass Homosexualität, Bisexualität, Transgeschlechtlichkeit, Intersex und andere sexuelle Identitäten tabuisiert würden, „obwohl davon auch Kinder betroffen seien“. Beim Thema „Gewalt gegenüber Migranten“ – Gewalt von Migranten blieb wie üblich unbehandelt – steht insbesondere Deutschland am Pranger: „Gründe für den Anstieg von Gewalt sei auch der Aufstieg von Parteien wie der ‚Alternative für Deutschland‘, der ‚Nationaldemokratischen Partei Deutschlands‘ oder der Bewegung ‚Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes‘ (Pegida).“ Der Berichterstatter begrüßte, „dass Deutschland kürzlich die Gesetzgebung mit dem Ziel eine umfangreichere Strafverfolgungen in Bezug auf rassistisch motivierte Gewalttaten und Hassverbrechen zu ermöglichen, angepasst habe.“ Außerdem forderte Alexis Tsipras (Griechenland) „ein neues Sozialmodell für Europa“, um dem „Monster des Populismus“ mit einem neuen Sozialvertrag zu begegnen.