In den folgenden Texten geht es nicht um die Wulff’sche Aussage, der Islam gehöre zu Deutschland.

Die Autorin beteiligt sich ohnehin nicht an der Reduktion einer Person auf nur einen einzigen Satz.

Es geht auch nicht um eine Bewertung seines Charakters. Hier geht es ausschließlich um das Vorgehen der Medien und des sogenannten Presserates. Die Chronologie auf dieser Unterseite ist zum besseren Verständnis so: Der älteste Text steht am Anfang, der aktuellste am Schluss.


21.12.2011

Leserbrief zur Verantwortung

 

Da verschafft sich einer von vielen geldwerte Vorteile. Wenn es der Bundespräsident ist, darf maßlos auf ihm herum getrampelt werden, Nachtreten inklusive. Von allen Seiten darf geschossen werden. Die Schießwütigen sind die Moralapostel. Sie tragen keine Verantwortung für ihr eigenes Verhalten, der Angeschossene soll sie übernehmen: er kommt ja nicht aus der Schusslinie. 


22.12.2011

ZDF-Anfrage

 

Sehr geehrtes ZDF-Redaktionsteam,  

ich vermisse in der Berichterstattung über den Bundespräsidenten, dass er noch vor Weihnachten die Novelle des Stasi-Unterlagengesetzes unterzeichnen muss, damit es gültig werden kann. Es ist schon verwunderlich, dass sich selbst die großen Tageszeitungen dieses Themas nicht annehmen. Werden Sie dazu recherchieren und berichten?                                                    Die Frage blieb ohne Antwort.


5.1.2012

Keine Ethik. Nirgends?

 

Offener Brief an den Deutschen Presserat

 

Sehr geehrter Herr Tillmanns, Boris Becker empfiehlt also dem Bundespräsidenten: „MAN legt sich niemals mit BILD an, oder MAN gewinnt WIMBLEDON.“ Zuerst dachte ich, wir befinden uns nun im Wilden Westen. Aber dann fiel mir ein, dass ich noch nie einen Cowboy Tennis spielen sah. Es muss also eine andere Zeit sein, in die wir gefallen sind. Ist es vielleicht die Zeit der Kreuzzüge, der Medienmonarchie oder sind wir gar in Orwell’s Big Brother – also Kai Diekmann – is watching you geraten? Wie auch immer, es will mir nicht gelingen, die Medienerzeugnisse der letzten Zeit mit dem Kodex des Presserats in Einklang zu bringen. Dabei erneuerten Sie diesen unlängst und fügten in der Präambel das Wort „fair“ ein. Der Text lautet jetzt: „…Sie nehmen ihre publizistische Aufgabe fair, nach bestem Wissen und Gewissen, unbeeinflusst von persönlichen Interessen und sachfremden Beweggründen wahr…“. Verleger und Journalisten sollen sich ihrer Verantwortung vor der Öffent-lichkeit und dem Ansehen der Presse bewusst sein. Auch Ziffer 9 des Pressekodex – Schutz der Ehre – und Ziffer 13 – Unschuldsvermutung – klingen fair, Regeln des Zusammenlebens entsprechend.

 

Spätestens seit Becker’s Ehrfurchtsbekundung einer Boulevardzeitung gegenüber stellen sich mir einige Fragen: Wer bestimmt die Regeln des Zusammenlebens? Sind es Medienleute, die am häufigsten vom Presserat gerügt werden? Aufgrund welcher Legitimation schwingen sich Journalisten in Richterstühle und betreiben eine Hegemonie, die offensichtlich auf den Abbau von Maßhaltung und ethischen Grenzen abzielt? Und aus welchem Motiv heraus? Wesentliche Aufgaben der Medien beschreibt nicht nur der Pressekodex, sondern auch das Bundesverfassungsgericht: „Soll der Bürger politische Entscheidungen treffen, muss er umfassend informiert sein, aber auch die Meinungen kennen und gegeneinander abwägen können, die andere sich gebildet haben.“ Nicht nur in Bezug auf die „Affäre Wulff“ fühle ich mich alles andere als umfassend informiert. Es erstaunt mich, dass die Medien aus einer Kreditaffäre einen Skandalcharakter formen, während sie anderen Aspekten bzw. Hintergründen nicht nachgehen. Ich habe zum Beispiel bis heute nicht von den Medien erfahren, ob der Hitler-Stalin-Vergleich des Linkspolitikers Dieter Dehm im Rahmen der Bundespräsidentschaftswahl nun im Ältestenrat thematisiert wurde und was dabei herauskam.

Zu einer umfassenden Information in der „Affäre Wulff“ gehören meines Erachtens Hintergründe über diejenigen Personen, denen mediale Gelegenheiten eingeräumt werden, moralische Urteile über das Verhalten des Bundespräsidenten zu fällen. Für die Bildung einer Gesamtbeurteilung halte ich zum Beispiel für bedeutsam: Renate Künast ist Beiratsmitglied in der Humanistischen Union, die mit der Giordano Bruno Stiftung (Leitspruch: „Wir sind nicht die Krone der Schöpfung, sondern die Neandertaler von morgen“) kooperiert, Gesine Lötzsch diskutierte mit der RAF-Terroristin Inge Viett über Wege zum Kommunismus. Erstaunlich finde ich außerdem die Art der Berichterstattung, wenn ich etwa lese und höre: Es sei nur schwer vorstellbar, wie der Bundespräsident noch eine Weihnachtsansprache halten oder einen Neujahrsempfang gestalten will. Der hier einzig zu entdeckende Informationsgehalt liegt darin, dass die berichterstattende Person über ein geringes Vorstellungsvermögen verfügt – nicht gerade ein journalistisches Qualitätsmerkmal. Es kann auch nicht bestem Wissen und Gewissen entsprechen, nebulöse Unterstellungen zu lancieren. Welt online schrieb nach der ersten Erklärung des Bundespräsidenten „seine Worte wirken kalt“, ein Kommentator auf n-tv meint „niemand mehr nimmt ihn ernst“ und Spiegel Online weist die offenbar aus seiner Sicht naive Bevölkerung darauf hin, sie habe den Medien dafür dankbar zu sein, dass der schöne Vorhang nun zerrissen ist. „Puppentheater“ sei das gestrige Interview mit Wulff gewesen und alle, die das anders sehen und die Entschuldigung des Bundespräsidenten für seinen Beeinflussungsversuch der Presse annehmen, seien traurige Gestalten – Respekt vor der Meinungsfreiheit also nur für Gleichgesinnte? Widerspruch als logische Folge der Meinungsfreiheit wird also mit persönlicher Herabwürdigung bzw. Diskriminierung bestraft?

 

Meiner Beobachtung nach ist es in erster Linie das Gros der Medien, das in der „Affäre Wulff“ Salamitaktik betreibt und nicht in der Lage ist, Kritik und Verantwortung anzunehmen. Mit intrans-parenten Sprüchen wie „Wulff geriet in die Schlagzeilen“, „Kredit-Affäre lässt Wulff nicht los“ oder „der Druck ist zu groß geworden“ wird verschleiert: Politik und Medien tragen die Verantwortung dafür, dass Wulff in den Schlagzeilen ist und unter Druck steht. „Noch nie hat sich ein Bundespräsident so nackt dem Publikum präsentiert“, schrieb Spiegel Online und verschweigt, dass es die Medien sind, die ihn ausgezogen haben. Die Verwendung rhetorischer Tricks gepaart mit der Erziehung zu unbegrenzter Lust an Spott und Häme auf niedrigstem Niveau erinnern mich weniger an Aufklärung in einer zivilisierten Welt, sondern vielmehr an Indoktrination, an Manipulation durch verzerrt kommentierte Halbwahrheiten, an Agitation. Mittlerweile habe ich ein gestörtes Verhältnis zur Presse und das ist auch gut so; es bedeutet, dass mein ethisches Empfinden intakt ist.

 

Ich schätze einen Bundespräsidenten, der sich nicht den Launen hochmütiger Medienleute und Politiker unterordnet, die meiner Einschätzung nach eine Kultur der Verantwortungslosigkeit fördern und für die ethische Erosion in der Gesellschaft wesentlich verantwortlich sind. Als Rechtfertigung für die fortlaufende Verunglimpfung des Bundespräsidentenamts schrieb Spiegel Online: „Das ist der Preis, den Prominente zu zahlen haben.“ Sehr geehrter Herr Tillmanns, ist das auch die Meinung des Deutschen Presserats? Oder verhält es sich eher so, dass die Beschränkung der Pressefreiheit durch den Pressekodex einen guten Grund hat? Über eine öffentliche Stellungnahme des Presserats bezüglich dieser Entwicklung würde ich mich freuen. 

Mit freundlichen Grüßen...                                                                       Der Brief blieb ohne Antwort.


8.1.2012

Kommentar zur Jauch-Talkshow

 

Die Medien übernehmen offenbar die Rolle der Schmähkritiker. Die unverhohlene Verachtung in vielen Artikeln zeigt, dass die Diffamierung des Bundespräsidenten im Vordergrund steht. Dies könnte auch juristische Konsequenzen nach sich ziehen, denn das Grundrecht der freien Meinungsäußerung tritt hinter dem Rechtsgut der Menschenwürde zurück.


13.1.2012

Mitteilung an MdB Peter Hintze

 

Sehr geehrter Herr Hintze, vielen Dank für Ihre klaren Worte gestern bei Maybrit Illner. Aufgrund der herrschenden kommunikativen Verwirrung möchte ich gerne noch auf folgende Aspekte hinweisen: Führende Medienvertreter uminterpretieren die Kritik an ihnen dahingehend, dass sie keine Fragen mehr stellen und ihre Arbeit nicht mehr machen dürften. Fakt ist: Das hat kein Mensch gesagt oder geschrieben. Die Kritik bezieht sich auf die ehrverletzende und unfaire Art und Weise der Berichterstattung. Unfair ist zum Beispiel in Bezug auf die fallengelassene Klage von Christian Wulff gegen den Facebooknutzer wegen Verunglimpfung des Bundespräsidenten, wenn Zeitungen sofort die Interpretation liefern: er habe Negativschlagzeilen gefürchtet. Fakt ist: Wulff hat erklärt, er nimmt die Entschuldigung des Facebooknutzers an und lässt die Klage deswegen fallen. Warum lassen Medien diese Erklärung nicht gelten? Die Konnotation geht deutlich dahin, dass keine Handlung des Bundespräsidenten mehr positiv geschätzt werden darf.

 

Häufig wird jetzt behauptet: Es hätte keine Affäre gegeben, wenn Wulff von Anfang an alles offen gelegt hätte. Fakt ist: Das ist eine Spekulation, die nicht bewiesen werden kann, da die Zeit nicht zurückgedreht werden kann. Es kann genauso gut sein, dass Medien dann trotzdem etwas skandalisiert hätten – vielleicht hätte es dann die Garderobe von Bettina Wulff wochenlang in die Schlagzeilen geschafft. Vielleicht auch nicht – man kann es nicht wissen.

 

Meiner Einschätzung nach steht die Debatte mittlerweile stellvertretend für einen Kampf dafür, welches Menschenbild wir in Deutschland grundsätzlich vertreten. Zeichnet eine moderne, plurale Gesellschaft aus, dass man Spott und Häme lustig findet oder ist Schadenfreude eher etwas für vormoderne Gesellschaften? Muss man sich Respekt wirklich erst verdienen, wie eine Zeitung titelte, oder steht er jedem Menschen als Vorschuss erst mal zu? Was sind Entschuldigungen wert? Es gibt eine ganze Reihe an Fragen, die hier angefügt werden könnten. In einer Zeit, in der Juristen und andere studierte Leute sogar dafür plädieren, den Begriff Menschenwürde auf dieselbe Stufe wie andere Rechtsnormen herunter zu holen und in wissenschaftlichen Diskussionen wegen seiner schweren Fassbarkeit gänzlich zu vermeiden, geht es m. E. tatsächlich um mehr als um eine Kreditaffäre. Wenn Ihnen das zu weit hergeholt erscheint, empfehle ich Ihnen das Buch „Auslaufmodell Menschenwürde?“ von Heiner Bielefeldt, dem ehem. Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Soweit meine Anmerkungen mit Bitte um Berücksichtigung.

13.1.2012

Antwort von MdB Peter Hinze

 

Sehr geehrte Frau Baumstark, 

haben Sie recht herzlichen Dank für Ihre Reaktion auf die gestrige Diskussion bei "Maybrit Illner". Über Ihre freundlichen Worte und Anmerkungen habe ich mich sehr gefreut.  

Mit freundlichen Grüßen Ihr Peter Hintze (Nachtrag: Der Politiker ist 2016 leider verstorben)


25.1.2012

Duden-Anfrage zu „wulffen“

 

Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe im Internet gelesen, dass das neu aufgekommene Wort "wulffen" in den Duden übernommen wird. Meines Erachtens reiht sich dies in den respekt- und würdelosen Umgang mit dem Bundespräsidenten ein - unabhängig davon, wie sein Verhalten zu bewerten sein mag. Meine Frage daher an Sie: Gibt es eine Möglichkeit für Bürgerinnen und Bürger, gegen diese Entscheidung Einspruch zu erheben? 

25.1.2012

Antwort der Dudenredaktionsleitung

 

Sehr geehrte Frau Baumstark, die Internetmeldung trifft nicht zu. Nach unserer Einschätzung handelt es sich bei dem Wort "wulffen" um eine Gelegenheitsbildung, die sich voraussichtlich nicht fest im Wortschatz etablieren und schon deshalb kaum Eingang in den Duden finden wird. 

Freundliche Grüße Dr. Werner Scholze-Stubenrecht Leiter Dudenredaktion


9.2.2012

Leserbrief zur Kritik einer Theologin

 

Schade, dass die Kulturbeauftragte der EKD nicht das Rückgrat hat, sich in dieser Situation klar zu positionieren. Meinem Verständnis nach lautet der christliche Auftrag: sich einmischen, Stellung be-ziehen trotz des Risikos, dann angreifbar zu sein und kämpfen für eine zwischenmenschliche Ethik, die im Fall des Bundespräsidenten mit Füßen getreten wird. Dazu gehört auch eine unfaire Medien-berichterstattung, die jede seiner Handlungen von vornherein negativ interpretiert und es gleichzeitig unterlässt, über positive Aspekte seiner derzeitigen Arbeit zu schreiben. Das Jüngste Gericht sollte meines Erachtens nicht unnötig strapaziert werden. Es hat sicherlich auch so schon genug zu tun. Wir haben einen Deutschen Presserat, der sich hoffentlich bald umfassend zu der Sache äußert.


28.2.2012

Der Teufel im Detail

 

Rückblick auf ein unwürdiges Medienspektakel

 

„Käme er, man würde ihn zum zweiten Mal kreuzigen”, schrieb Goethe seinerzeit. In dieser Stimmung mögen sich manche befunden haben, die sich mit der „Causa Wulff“ intensiv auseinandersetzten. Der zurückgetretene Bundespräsident Christian Wulff wurde in aller Öffentlichkeit bloß gestellt, angeklagt und vorverurteilt, als Waschlappen dargestellt und mit richterlicher Genehmigung als Lügner stigmatisiert. Auch vor sexistischen Einlagen schreckten Werbemanager nicht zurück. Die Häme befeuerten seriös auftretende Moderatoren und Journalisten. Günther Jauch meinte vor einem Millionenpublikum in der ARD, Christian Wulff erschiene ihm „entrückt“ und fragte süffisant, ob dieser nicht restlos pleite sei, falls er den Ehrensold nicht bekommt. Gelächter und Beifall im Publikum ob dieser grenzüberschreitenden Frage. (ARD-Sondersendung 17.2.) Ebenfalls im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wurde das Publikum dazu angeregt, sich einen Wulff-Witz auszudenken. (Morgenmagazin 20.2.) Und selbst der stellvertretende Redaktionsleiter bei evangelisch.de konnte sich nicht zurückhalten zu schreiben, dass Wulff ins Mikrofon „blaffte“. Und weiter: „Die Medienberichterstattung habe ihn und seine Frau ‚verletzt‘, und weil die Welt so böse und gemein ist…“ – selbst er als Christ ist also nicht in der Lage, Gefühlsäußerungen zu respektieren und macht obendrein durch die Wortwahl deutlich, dass er diese auch nicht ernst nimmt. 

 

Aufklärung soll das sein, behaupten einige Vertreter von Leitmedien bis heute. Tatsächlich war es mehr als das. Die Gewichtung von Wulffs auch kleinster Verfehlungen, das Weglassen relevanter Informationen sowie eine niveaulose, diskriminierende Wortwahl geben dieser „Causa“ den Anschein einer Propaganda. Schnell vorwärts und vergessen, scheint nun das Motto zu sein. Wir sind doch jetzt einen Schritt weiter, so Jakob Augsteins Replik auf eine Medienkritik des Schweizer Journalisten Jürg Dedial in kulturzeit (in 3sat 22.2.). Wenn aber Vertrauen zwischen Bevölkerung, Medien und Politik noch eine Chance bekommen soll, dann ist das Gegenteil angesagt: stehen bleiben und Rückschau halten. Wenn der Teufel im Detail steckt, hier nämlich in der Wortwahl, ist eine Aufarbeitung aufwändig. Für eine Gesamtschau lohnt es sich dennoch, ein paar Beispiele aus vergangenen Pressetagen aufzulisten. Angefügt sind offene Fragen, die sich daraus ergeben.

 

Beispiele und Fragen 

 

Manfred Schweidler schrieb nach Wulffs Rücktritt in der Mainpost: „Wäre es weitergegangen, hätte manche(r) fürchten müssen, mit in den Abgrund gerissen zu werden. Um den penetranten Pfarrer Peter Hintze, der Wulff bis zuletzt eifernd verteidigte, wäre es allerdings nicht schade.“ Steht das im Einklang mit dem Pressekodex? Der Deutsche Journalisten-Verband hat sich „gegen den Vorwurf zur Wehr gesetzt, die Journalisten hätten den am heutigen Freitag zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff mit ihrer Berichterstattung verletzt.“ Außerdem habe der scheidende Bundespräsident bis zum Schluss den Vorwurf nicht entkräftet, er habe kritische Berichterstattung verhindern wollen. Meint der Journalisten-Verband, er könne anderen Menschen ihre Gefühle absprechen? Wie soll ein Vorwurf entkräftet werden, wenn das Gegenteil nicht beweisbar ist? Die Welt pauschalierte, Wulff respektiere „weder Presse- noch Meinungsfreiheit und missachtet Regeln der offenen Bürgergesellschaft.“ Und Spiegel Online sprach Wulff bereits am 6. Januar kurzerhand die Menschenwürde ab. Warum sich der Autor Helmut Däuble dabei der lateinischen Sprache bedient, bleibt der Spekulation der Leserschaft überlassen: „Seine Hülle kann noch geraume Zeit im Amt bleiben, die dignitas seiner Person ist unwiederbringlich verloren.“ 

 

Unzählbar viele mit unbewiesenen Behauptungen und Beleidigungen gespickte Artikel wurden veröffentlicht. Und trotz aller Leserbeschwerden meint Die Welt: „Schuld sind nicht die Medien, schuld ist nicht die Justiz und auch nicht die Politik. Der Umgang mit der Affäre Wulff ist vorbildlich für eine Demokratie.“ Dass einige Journalistenkollegen dies genau gegensätzlich sehen, erwähnt Die Welt nicht. Durchaus kritische Stimmen fanden sich – bis zu einem gewissen Zeitpunkt – in einigen Gastbeiträgen und Interviews. Gernot Fritz, stellvertretender Chef des Bundespräsidialamts unter Roman Herzog, schrieb für die Berliner Zeitung unter dem Titel „Pranger der Selbstgerechten“: „Meinungsstärke aus Nichtwissen zu gewinnen – ein Lehrstück des Pharisäertums, an dem gegenwärtig viele Statisten lustvoll mitwirken…Hier wird Inquisition als öffentlicher Showdown betrieben mit dem Kopf des Präsidenten als Hauptgewinn.“ Dazu passend ein Kommentar eines Users auf faz.de, der das Titelbild der Bildzeitung nach Wulffs Rücktritt dem einer Jagdtrophäe nicht unähnlich fand.  

 

Am 14. Januar erschien in der Frankfurter Neuen Presse ein Beitrag von Michael Kluger unter dem Titel „Wulffs Hinrichtung“: „Diese Demontage eines deutschen Staatsoberhaupts ist ohne Beispiel…Der Furor, mit dem an ihm und auch dem Amt gesägt wird, ist…von einer Gnadenlosigkeit, Verbissenheit und Brutalität, für die es hierzulande kein Vorbild gibt…Welchen Schaden diese Affäre für die Zukunft anrichtet, ist noch nicht abzusehen. Was an ihr bestürzt, ist das hysterische Vergnügen an der Demontage, die Gier, den, der fällt, auch noch zu stoßen…Die Hemmungslosigkeit als Debattenstil und Umgangsform ist für eine demokratische Gesellschaft, die auf Auskommen zielt, ein fataler, ja brandgefährlicher Irrtum.“  

 

Alexander Marinos traute sich, im Generalanzeiger vom 16. Januar zu schreiben: „Ein Kommentator, der in einer Zeitung zu einer Medienkritik ansetzt, betritt dünnes Eis…Diese Recherche im Klein-Klein wirkt vor allem: kleinkariert. Sie nährt den Verdacht, dass ganze Redaktionen regelrecht beleidigt sind, weil Wulff nicht zurücktritt. Vor lauter gekränkter Eitelkeit pusten und pusten sie heiße Luft in den Empörungsballon…“  Von „sehr viel Verdachtsberichterstattung“ sprach Hans Mathias Kepplinger, Professor für empirische Kommunikationsforschung, im Deutschlandradio. Die Dinge seien zum Teil „an den Haaren herbeigezogen”. Warum sind diese kritische Stimmen plötzlich allesamt verstummt?

 

Transparenz nur bei Bedarf 

 

Bemerkenswert ist, was Presse und Fernsehen nicht berichteten. Da ist zum Beispiel die „Schuh-Demonstration“ vor dem Schloss Bellevue – von Wulff-Gegnern und öffentlich-rechtlichen Medien mehrmals zur Unterstützung ihrer Thesen herangezogen. Diese Demonstration organisierte das aktive DKP-Mitglied Klaus Meinel, früher Ex-Major der Stasi. Ist das für die Gesamtbeurteilung der Situation wirklich unerheblich?

 

Hape Kerkelings Facebookseite, auf der er Wulff unterstützte, wurde von Facebook gelöscht* – nicht berichtenswert? Nachdem die Seite verschwunden war, konnte man in einigen Zeitungen lesen, Kerkeling habe sie gelöscht. Um den journalistischen Anforderungen zu genügen, hätte es hier mindestens einer Richtigstellung bedurft.

*Hape Kerkeling in der NDR-Sendung „Tietjen und Hirschhausen“ vom 20.1.2012: „Also das ist und war meine private Facebookseite und in der Tat, das habe ich auf meiner privaten Facebookseite geschrieben mit dem Ergebnis, dass sie jetzt von Facebook gesperrt wurde.“ 

 

Ebenfalls nicht berichtet wird über nicht lange zurückliegende Vorgänge bei der Staatsanwaltschaft Hannover, die letztendlich Wulffs Rücktritt auslöste. Erst 2010 schrieben Die Zeit und andere über die dortige „Justizaffäre“. Bis heute sind dort dieselben Personen tätig. Warum sollte das Vorleben dieser Institution, die solch eine weit reichende Entscheidung trifft, weniger wichtig sein, als jenes des Bundespräsidenten? 

 

Nicht ausreichend berichtet wurde außerdem über die Entkräftung eines Vorwurfs. Die sächsische Freie Presse schrieb am 6. Februar: „Bundespräsident Christian Wulff hatte nach Aussage des ehemaligen Leiters der Wirtschaftsabteilung in der Hannoveraner Staatskanzlei, Mathias Middelberg, keine Hinweise auf die VW-Übernahmepläne von Porsche. Die am Wochenende vom Nachrichtenmagazin ‚Der Spiegel‘ veröffentlichten Vorwürfe gegen ihn und Wulff seien ‚konstruiert‘, sagte Middelberg am Montag dem Radiosender NDR1 Niedersachsen.“ Warum bekam die Bekräftigung der Vorwürfe in der Presse deutlich mehr Gewicht als deren Entkräftung?

 

Wie bigott einige mit der Transparenzfahne umher eilende Journalisten agieren, zeigt ihr Verhalten während der Fragestellungen an Wulff. Während Die Welt proklamierte: „Größtmögliche Transparenz im Fall der Kreditaffäre des Bundespräsidenten: Die ‚Welt‘ dokumentiert sämtliche Anfragen zur Causa Christian Wulff“, war in dem von Wulffs Anwaltskanzlei ins Netz gestellte Dokument zu lesen: „Ein Redakteur einer Tageszeitung hat seine Zustimmung an die Bedingung geknüpft, dass seine Fragen nur anonymisiert und ohne Nennung der Zeitung veröffentlicht werden. Eine an bestimmte Beschränkungen geknüpfte Zustimmungserklärung liegt uns von einem Redakteur des Stern vor. Die Welt hat uns bestimmte Fragen ausdrücklich unter dem Vermerk „vertraulich“ gestellt. Wir haben deshalb bei der Veröffentlichung die Passagen geschwärzt und kenntlich gemacht, für die uns nur eingeschränkte Zustimmungen vorliegen.“ Aus dem Dokument ist auch ersichtlich, wie Journalisten mit der Fristsetzung zur Beantwortung ihrer Anfragen umgingen. So schrieb etwa Hans-Martin Tillack vom Stern in einer E-Mail mit sechs Fragestellungen am Sonntag, 18.12.2011, um 20 Uhr: „Ich darf Sie um eine Beantwortung am morgigen Montag, dem 19.12.2011, bis 12 Uhr bitten.“ 

 

Wer sich eine möglichst ausgewogene Einschätzung in der Causa Wulff aneignen will, sollte sich das Dokument ausführlich ansehen. Wer das Bild vom professionellen Journalismus in Deutschland bewahren will, lässt es besser sein. 

 

Medien konterkarieren Meinungsfreiheit 

 

Das verwunderte Volk mag sich die Augen reiben ob dieser Vorgänge. Manch aufmerksame Person wird sich fragen, wer eigentlich jemals sagte, die Medien dürften nicht recherchieren und Fragen stellen. Fakt ist: Das hat kein Mensch gesagt oder geschrieben. Die Kritik bezieht sich auf die unfaire Art und Weise der Berichterstattung, auf die beleidigende, unsachliche Wortwahl und auf die unaus-gewogene Darstellung von Pro- und Contra-Argumenten. Der von den Medien erfundene Vorwurf dient jetzt der gegenseitigen, in Talkshows zelebrierten Beschwichtigung, wie gut und richtig die Medienarbeit doch gewesen sei. Das ist eine inszenierte Wirklichkeit. Manch eine Person mag auch erstaunt darüber sein, dass plötzlich die ARD einen Sozialneid schürt, wie er von der populistischen Linken nicht besser hätte transportiert werden können – siehe Frank Plasbergs Müllmänner (Hart aber fair 9.1.2012), die angeblich alle wütend sind auf den zurückgetretenen Bundespräsidenten. 

 

Die jüngste Entwicklung bietet Anlass zur Sorge. Grundlegende Regeln des solidarischen Zusammenlebens, inklusive der vom Deutschen Presserat formulierte Pressekodex, sind in Frage gestellt: Grenzüberschreitungen und Hemmungslosigkeit werden hoffähig, Begriffe wie Moral und Anstand entwertet und das Recht jedes Menschen auf Respekt vor seinen subjektiven Empfindungen wird hintergangen – es ist deplatziert, subjektive Gefühlsäußerungen zu kommentieren, wie das Journalisten bei Wulff praktizierten. Jeder Coach, Gruppensoziologe, Psychologe, weiß das. Wo sind diese Stimmen? Es gäbe viele interessante Dinge zu berichten und zu debattieren. Zum Beispiel, welches Menschenbild wir in Deutschland grundsätzlich vertreten. Zeichnet eine moderne, plurale Gesellschaft aus, dass man Spott und Häme lustig findet oder ist Schadenfreude eher etwas für vormoderne Gesellschaften? Es gibt eine ganze Reihe an Fragen, die sich hier anfügen ließen. 

 

Laut Pressekodex sollen Medien ausgewogen über Sachverhalte berichten, damit sich die Bürger eine eigenständige Meinung bilden können. Spätestens seit den medialen Vorgängen um Wulff drängt sich der Eindruck auf, dass genau das Gegenteil der Fall ist: Leitmedien oktroyieren ihre Meinung der Gesellschaft auf. Damit sind nicht journalistische Darstellungsformen wie Kommentar oder Glosse gemeint, die selbstverständlich auch die Funktion haben, die Richtung des jeweiligen Medienverlags respektive der Journalisten zu repräsentieren. Es ist damit gemeint: Penetranz durch ständige Wiederholung gleicher Sachverhalte sowie populistische Degradierung anderslautender Meinungen. Alles und jeder wird mit herabsetzenden Äußerungen bedacht, wenn es nicht die eigene transportierte Theorie stützt. Wer hat unter diesen Umständen noch Lust, von seinem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen? Diese Art der versuchten Gleichschaltung sowie die Methode der Zielerreichung mittels Diffamierung hatten wir schon zweimal in der jüngeren deutschen Geschichte. Karl Jaspers Beobachtung ist offenbar aktueller denn je: „Welche Journalisten ein Volk hervorbringt, das ist heute sein Schicksal.“


14.3.2012

Frage auf Abgeordnetenwatch zum Stasi-Unterlagen-Gesetz

 

Sehr geehrter Herr Vaatz, gerade habe ich gelesen, dass Sie die Arbeit des Leiters der Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) Roland Jahn gewürdigt haben. Gilt Ihre Würdigung auch für seine Forderung, die 44 ehemaligen Stasi-Mitarbeiter in der BStU zu versetzen? Meine zweite Frage: Sind Bedenken angebracht, dass die Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, das Christian Wulff im Dezember 2011 unterschrieben hat und die Versetzung dieser Mitarbeiter ermöglicht, wieder rückgängig gemacht wird, wenn Joachim Gauck – der die Versetzung bis heute falsch findet – Bundespräsident wird? Und meine dritte Frage: Warum fordert niemand von Gauck eine Stellungnahme darüber, dass er 1997 gegenüber der Bundesregierung eine falsche Auskunft über die Zahl der in der BStU beschäftigten ehemaligen Stasi-Angehörigen gegeben hat?

30.4.2012

Antwort von Arnold Vaatz

 

Sehr geehrte Frau Baumstark, meine Antworten auf Ihre Fragen lauten: 1. Ja, natürlich. 2. Das novellierte Stasi-Unterlagengesetz gilt. Es kann lediglich vor dem Bundesverfassungsgericht angefochten werden. Der Bundespräsident kann keine Gesetzesinitiative ergreifen.

3. Ich habe von dieser Forderung bereits mehrfach in der Presse gelesen.

Mit freundlichem Gruß Arnold Vaatz


22.3.2012

Leserbrief zur unantastbaren Würde

 

Die fortschreitende Verbreitung von Binsenweisheiten in Printmedien seit der Pöbelei gegen Wulff entwickelt sich zu einem richtigen Ärgernis. Vor allem dann, wenn es um Entwertung hoch sensibler Begriffe geht. „Aber die Würde des Präsidenten, das haben wir gelernt, ist antastbar – durch ihn selbst“, meint der Autor und beweist damit eine bemerkenswerte Ignoranz. Auf philosophischer Ebene lässt sich in der Tat darüber diskutieren, ob sich ein Mensch die Würde selbst verspielen kann. Meine Meinung ist das nicht. Die Menschenwürde steht für mich nicht zur Disposition. Doch der Autor ignoriert nicht nur, dass andere Leute andere Dinge lernen, als er selbst. Es scheint bei mehreren Journalisten, auch im Fernsehen, in Mode zu sein, Ziffer 1 des Pressekodex – Wahrung der Menschenwürde – zu ignorieren oder zumindest haar-scharf an deren Verletzung vorbei zu lavieren. Der Presserat ist an einer Prüfung diesbezüglich nicht ernsthaft interessiert, sonst hätte er sich längst zu Wort gemeldet. Auch auf rechtswissen-schaftlicher Ebene gibt es Vorstöße, das übergeordnete Rechtsgut der Menschenwürde zu relativieren. Das wird Auswirkungen haben. Ich fühle mich zunehmend unwohl in Deutschland.


Anm.: Am 16.1.2012 reichte ich Beschwerde beim Presserat ein. Sie betraf die Aussage bei Spiegel Online am 6.1.2012, Wulff habe seine „dignitas“ (lat. = Würde) unwiederbringlich verloren. Dies widerspricht eindeutig Ziffer 1 Pressekodex (Achtung der Menschenwürde). Mit einer absonderlichen Begründung wies der Presserat die Beschwerde am 21.3.2012 als unbegründet ab. Vor diesem Hintergrund ist der folgende Text zu verstehen.

25.3.2012

Der Presserat und ein gemopstes Wurstbrot

 

Die Krähen in Berlin sind besonders frech. Da hacken sie doch mit ihren spitzen Schnäbeln, jedweden Respekt vermissend, in das Dach des neuen Hauptbahnhofs lauter kleine Löcher. Jetzt fallen den auf dem Bahnsteig wartenden Gästen Tropfen auf den Kopf, wenn es regnet. Aber es geht noch dreister: Unlängst präsentierte sich auf dem Bahnhofsgelände eine Krähe mit stolz geschwellter Brust, im Schnabel transportierend, wie eine Siegestrophäe: ein gemopstes, angebissenes Wurstbrot! Rückendeckung haben die Krähen von Naturschützern: Sie wollen nur rumspielen, Steinchen vom Dach schmeißen, Blumentöpfe auseinanderzupfen  und ähnliches. Nun denn, solange sie ihren Artgenossen kein Auge aushacken, gehen sie durchaus konform mit der deutschen Gesellschaft. Und allemal mit dem Deutschen Presserat.

 

Ja, es gibt sie, diese Institution. Nur während ganz Deutschland darüber diskutierte, ob der mediale Umgang mit Christian Wulff angemessen ist, trug sie keinerlei ausführliche Einschätzung dazu bei. Er ist eben vornehm zurückhaltend, der Deutsche Presserat, die „Freiwillige Selbstkontrolle der Presse in Deutschland“ – bestehend aus Journalisten. Missstände im Pressewesen will er feststellen und auf deren Beseitigung hinwirken. Aber auch Beschwerden aus dem Volk prüfen und einem Medium eine Rüge aussprechen, wenn dieses gegen den Pressekodex verstoßen hat.

 

Nun dachte eine Beschwerdeführerin, ein Artikel auf Spiegel Online verstößt eindeutig gegen Ziffer 1 des Pressekodex – Wahrung der Menschenwürde. Ein Autor schrieb dort am 6. Januar über Wulff: „Seine Hülle kann noch geraume Zeit im Amt bleiben, die dignitas seiner Person ist unwiederbringlich verloren.“ Der Presserat wies diese Beschwerde als unbegründet zurück. Erklärung: Der Autor wolle mit der Aussage ausschließlich verdeutlichen, dass Wulff die Würde, die für das Amt des Bundespräsidenten notwendig ist, aufgrund der Vorkommnisse nicht mehr besitzt. Seine Menschenwürde sei damit nicht in Frage gestellt. Es wird wohl geheim bleiben, ob das Kriterium gesunder Menschenverstand regelmäßig keine Rolle spielt in den nicht öffentlichen Sitzungen des Beschwerdeausschusses. Festzuhalten bleibt: Ein Journalist fokussiert den Verlust der Würde ausdrücklich auf die Person Wulffs und bekommt Rückendeckung vom Presserat. Wo die Krähen aber auch überall ihre Nester haben…

 

Bestimmt wird es zukünftig noch heimeliger zugehen bei dem Zusammenschluss der Selbstkontrolleure. Gerade wurden zwei Mitglieder der Journalistengewerkschaft DJV in vielsagende Positionen gewählt. Einmütigkeit herrscht dann schon einmal beim Präsidenten-Bashing. Der DJV boykottierte nicht nur in beleidigter Manier den Neujahrsempfang im Schloss Bellevue, er will auch darüber bestimmen, ob sich ein Bundespräsident verletzt fühlen darf.: „Der Deutsche Journalisten-Verband hat sich gegen den Vorwurf zur Wehr gesetzt, die Journalisten hätten den am heutigen Freitag zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff mit ihrer Berichterstattung verletzt.“ 

 

Ansonsten glänzt der DJV mit Ambivalenz, wenn er etwa den freiwilligen Verzicht der Springer-Redaktionen auf Presserabatte begrüßt, diese aber keinesfalls pauschal abgeschafft wissen will. Aber wenn es ums Futter geht, sind ja die Krähen urplötzlich gar nicht mehr so solidarisch miteinander. Da gibt es dann Verstecker, Räuber und Desinformierer, und alle denken, sie tricksen die jeweils andere Krähe aus. Die so lange gepflegte Tradition „Der größte Lump im ganzen Land, das ist der Denunziant“ gilt eben nur, wenn nicht ureigene Interessen berührt sind. So sprießen die Missstände und zwar in beiden Konstellationen: wo geschwiegen wird, wenn Klartext reden nötig wäre und wo falsch geredet wird, nur um egoistische Interessen zu wahren.

 

Aber wer soll sich denn nun um die Einhaltung des Pressekodex kümmern? Um eine ausgewogene Berichterstattung, die sachlich verschiedene Meinungen transportiert und Wesentliches nicht verschweigt? Um einen Journalismus, der nicht manipuliert und die Demokratie gefährdet? Vielleicht sollten wir die Absarokee – die Kinder des langschnabeligen Vogels – ins Land holen. Diese amerikanischen Krähen-Indianer sind kampferprobt und gelten ohnehin schon als Verräter, haben also nichts zu verlieren. Wenn die nicht kommen wollen, bleibt nur noch die Unterwanderung des Deutschen Presserats durch Einheimische, die sich dann konspirativ um die Einhaltung des Pressekodex kümmern. Initiativbewerbungen sollten ankommen, wenn sie an folgende Adresse gesandt werden: Verein zur Etablierung des Dilettantismus, Krähenweg im Schnabelland, E-Mail:

hauptsacheichhabeinenposten@allesandereinteressiertmichnicht.de.

 

Aktueller Lesetipp zu Medienmacht und Demokratie: Martin Kriele: „Die Macht der Medien“ 


4.5.2012

Leserbrief zu einer Medienkritik

 

Vielen Dank für diesen Versuch einer Aufarbeitung. Allerdings wird von seriösem Journalismus in Deutschland nicht viel übrig bleiben, sollte die Bildzeitung am 11. Mai tatsächlich den Henri-Nannen-Preis für diese Schmierentragödie um die Causa Wulff bekommen. Welch Zufall, dass etliche der zuständigen Jurymitglieder regelmäßig in Talkshows der öffentlich-rechtlichen Sender ihre rhetorische Gehirnakrobatik zum Besten geben durften, um Wulff zu denunzieren und ihre unprofessionellen Journalistenkollegen zu stützen. Eine investigative Leistung wäre es herauszufinden, was hinter den Kulissen namhafter Medienverlage tatsächlich läuft. Vermutlich hilft hier nur noch Whistleblowing.

 

Nachtrag: Die Redakteure der Bildzeitung haben den Henri-Nannen-Preis bekommen.


20.7.2012

Leserbrief zu respektloser Kommunikation

 

Es sind doch gerade die deutschen Medien, die der Gesellschaft seit vielen Monaten vorleben, wie man eine Person nach der anderen durch den Dreck zieht, ohne jede Achtung vor Würde und moralischen Grenzen. Mit eben dieser Maß- und Schamlosigkeit – gerne verkauft als hohes Gut der Pressefreiheit – wird der Samen für derartige Entwicklungen gelegt. Welch Heuchelei, sich plötzlich als moralisch besorgte Bürger profilieren zu wollen.


16.8.2012

Kommentar zu einem offenen Brief

 

Es ist ja nicht die erste Menschenjagd. Wenn die Clique der Mediengurus einen anderen Bundespräsidenten haben will, dann fügen sich am Ende alle.


22.12.2012

Leserbrief zur Spekulation über Wulffs Befindlichkeit

 

Ich wünsche mir, dass die Leute endlich damit aufhören, ständig über Befindlichkeiten anderer Personen zu mutmaßen, diese zu bewerten und zu beurteilen. Wir wissen nicht, wie es Christian Wulff geht. Oder hat ihn jemand danach gefragt? Wenn jemand Posten und Frau verliert, dann ist es zwar nahe liegend zu meinen, er sei am Ende. Zwingend ist diese Spekulation nicht. Menschen sind, wenn ihre Entwicklung nicht durch ideologische Barrieren gehemmt ist, doch äußerst komplex und resilient. Rein theoretisch ist es auch möglich, dass Wulff durch diese Verluste früher oder später Erleichterung verspürt. Vielleicht wird er es als religiöser Mensch auch so erleben, wie Christa Spilling-Nöker es formulierte: „Unsichtbar durchkreuzt er all meine Pläne und zwingt mich, eine andere Richtung einzuschlagen. Erst sehr viel später vermag ich zu sagen: Gott sei Dank.“ Ich fände es interessant, wenn er mal in ein paar Jahren interviewt würde.

 

Nachtrag vom Januar 2020: Siehe dazu den Bericht über Wulffs Auftritt bei Markus Lanz. 


24.4.2013

Outing: Ein Journalist geht in sich

 

Das ist ja mal erfrischend wie ein Kopfsprung vom Zehnmeterbrett ins Becken der Reflexion:  Hans-Ulrich Jörges prescht im Stern vor mit einem Beitrag, der an Deutlichkeit nichts missen lässt. Unter dem Titel „Fürsorgliche Vernichtung“ schreibt er: „Es ist Zeit – und Anlass wahrlich genug –, über Macht und Hybris der Medien nachzudenken. Auch selbstkritisch. Denn deren Auftreten und Wirkung haben sich verändert, dramatisch.“ Von „Rudeljournalismus“ traut er sich zu sprechen, von lustvoll schmähenden Kampagnen. Widerworte gebe es kaum noch, ebenso wenig Besinnung. „Denn ideologische Gräben sind planiert, publizistische Lager aufgelöst. Das Rudel folgt Leitwölfen, vereint in Skandalisierung und Emotionalisierung. Das Ergebnis ist eine Medienrepublik, in der Journalisten nicht mehr argumentieren, wer regieren sollte und wer nicht, sondern in der sie darüber entscheiden.“ Ja, das Mitglied einer Chefredaktion hat das geschrieben, ganz aktuell.

 

Unter Journalisten wurde gewettet auf Wulffs Rücktritt, gibt Jörges preis. Wulff redet mit solchen Leuten nicht mehr. Dem „Stern“ sagte er: „Barmherzigkeit, Menschenwürde, Unschuldsvermutung, faires Verfahren, Privatsphäre, Familie, Kinder, nichts ist mehr heilig.“ Ein Satz, der nicht veröffentlicht werden sollte. Passt ja auch nicht wirklich zu seiner Verbrecherrolle, in die er medial gehetzt wurde. Auch Jörges erlebte „dieses Jagdfieber“. Mehrfach sei er bedrängt worden, ebenfalls Wulffs Rücktritt zu fordern. Im Ton lag auch er selbst schon mal daneben, so seine heutige Sicht: „Ich habe dem Druck nachgegeben, nicht die Kraft aufgebracht, weiter alleine zu stehen. Auch wenn sich alles in mir dagegen sträubt: Ich war Teil der Meute.“ Chapeau! Jörges hat völlig recht: Den kritischen Journalismus gilt es mit Zähnen und Klauen zu verteidigen. Der Nächste. Bitte!


Im Oktober 2012 sensationslüsterte die Bildzeitung: 24 Sonderermittler, fast 100 Zeugen,

1 Million ausgewertete Dateien,  380 sichergestellte Aktenordner, 45 ausgewertete Bankkonten, 37 überprüfte Telefonanschlüsse und Ersuche um Rechtshilfe in drei ausländischen Staaten.

Was das menschenverachtende Spiel der sogenannten Journalisten mit Wulff

die Steuerzahler gekostet hat, liegt nicht in ihrem Interesse zu erörtern.