23.11.2017

Das Ammenmärchen von den christlichen Naziführern

 

Jürgen Todenhöfer, Journalist und seit Januar Herausgeber* der Wochenzeitung „der Freitag“, haut auf Facebook folgenden Satz in die Tasten: „Es waren keine Muslime, die 6 Millionen Juden ermordet haben, sondern deutsche ‚Christen‘.“ Ob er tatsächlich so ungebildet ist? Die Politik der Nazis war auf Entchristlichung des öffentlichen Lebens ausgerichtet. Altgermanische Rituale sollten religiöser Ersatz werden. Mitglied der Kirche blieb Hitler nur, um nicht die Bevölkerung zu verprellen. Tatsächlich hatten er und seine Gefolgschaft nicht mehr als Verachtung für Religion und Kirche übrig. Man ließe sich nicht davon abhalten, „mit Stumpf und Stiel, mit allen seinen Fasern das Christentum in Deutschland auszurotten“, zitiert die Karl-Leisner-Jugend in ihrem Bericht: „Über das Ziel, die Kirche zu vernichten, war man sich in der nationalsozialistischen Führung einig, umstritten war lediglich der Zeitpunkt.“ Auch Sebastian Haffner dokumentierte im Zeitzeugenbericht „Germany: Jekyll & Hyde“: „Zynischer Nihilismus“ als markantes Merkmal der Naziführer; „im wahrsten Sinne gottlos“, nichts war ihnen heilig. „Es ist banal zu sagen, dass die Naziführer keine Religion, keine Moral, keine Menschlichkeit und keine traditionellen Hemmungen kennen.“   

 

Die Christenfeindlichkeit des Naziregimes dürfte jedem Journalisten ausreichend bekannt sein. Setzte Todenhöfer deshalb das Wort Christen in Anführungszeichen, weil er sehr wohl wusste, dass er Fake News postet? Was ihn angetrieben haben könnte, lässt sich ebenfalls aus Haffners Analyse herleiten: Die Nazipropaganda will „nicht überzeugen, sondern einen Eindruck hinterlassen“; sie richtet sich nicht an die Vernunft, sondern an das Gefühl. „Ob man etwas glaubt oder nicht – es darf nur nicht vergessen werden.“ Und es sollen imaginäre Bilder und Assoziationen beim Rezipienten entstehen, die vor allem bei Menschen mit geringem Unterscheidungs- und Urteilsvermögen „die Realität überdecken“. Jene überzeugt „ein eindrucksvoll gemaltes Bild, das aussieht wie etwas, wovon sie irgendwo einmal  etwas gehört haben“, viel mehr als das, was sie mit den eigenen fünf Sinnen wahrnehmen. Aus dieser Warte könnte Todenhöfers Hetze gegen Christen erfolgreich sein.  

 

Da der unsägliche Post nebenbei auch ein Schlag ins Gesicht aller christlichen Widerstandskämpfer ist, von denen etliche ihr Engagement mit dem Leben bezahlten, seien an dieser Stelle einige von ihnen aufgezählt: Korbinian Aigner, Alexander Heinrich Alef, Alois Andritzki, Hans Asmussen, Alfons Beil, August Benninghaus, Philipp Bleek, Dietrich Bonhoeffer, Alfred Friedrich Delp, Hans von Dohnanyi, Hugolinus Dörr, Hans Ehrenberg, Joseph Emonds, Birger Forell, August Froehlich, Clemens August Graf von Galen, Jakob Gapp, Martin Gauger, Anton Gebert, Eugen Gerstenmaier, Christoph Hackethal, Georg Häfner, Georg Heidingsfelder, Bernhard Heinzmann, Franz Jägerstätter, Julius von Jan, Katharina Katzenmaier, Alfons Kirchgässner, Kilian Kirchhoff, Erich Klausener, Hans Koch, Anna Bertha Königsegg, Max Lackmann, Hermann Lange, Bernhard Letterhaus, Bernhard Lichtenberg, Johannes Lohr, Johann Maier, Helene Kafka, Elpidius Markötter, Max Josef Metzger, Eduard Müller, Josef Müller, Otto Müller, Martin Niemöller, Emil Phillip, Harald Poelchau, Johannes Prassek, Konrad Graf von Preysing, Eitel-Friedrich von Rabenau, Arthur Rackwitz, Franz Reinisch, Josef Rieck, Johannes Ries, Leo Ries, Joseph Rossaint, Ernst Moritz Roth, Karl Schapper, Elisabeth Schmitz, Paul Schneider, Roman Karl Scholz, Aloys Scholze, Ulrich Sporleder, Karl Friedrich Stellbrink, Werner Straub, Engelmar Unzeitig, Maria von Wedemeyer, Franz Weiß, Friedrich Weißler, Bernhard Wensch, August Wessing, Wilhelm Wester, Hans Wölfel…  

 

*Siehe dazu auch: "Führende 'Freitag'-Mitarbeiter gehen wegen Herausgeber Jürgen Todenhöfer" oder bei der Jüdischen Allgemeinen: "Nicht mit Todenhöfer - Warum ich nach 26 Jahren nicht mehr für die Wochenzeitung schreiben werde...Auf meinen Absagebrief an Jakob Augstein habe ich keine Antwort erhalten. Ihm scheint das alles egal zu sein." 


29.12.2017

„Ein Attentat auf die Zukunft des Landes“

 

An deutschen Grundschulen fehlen trotz Mehrfachausschreibungen rund tausend Schulleiter und 20.000 Lehrer. Warum kaum noch jemand diesen Job übernehmen will, erschließt sich aus dem Erfahrungsbericht einer Grundschuldirektorin in Frankfurt sowie aus dem Alltagsbericht einer bayerischen Grundschullehrerin. Leserkommentare dazu: „Ich bin als Therapeut oft in den Schulen. Intelligente Kinder brauchen Futter, um nicht gelangweilt zu sein. Inklusion überfordert die Schwachen und bremst die Guten. Jetzt noch Migrantenkinder dazu zu geben, ist ein Attentat auf die Zukunft des Landes. Gut wären Alphabetisierungskurse und Deutschkurse in getrennten Klassen.“ – „Zu sozial ist unsozial und dauernde Gleichmacherei führt zu nichts anderem als Chaos.“ – „Statt neue oder auch altbewährte Wege in Bildung und Erziehung zu gehen, krempelt man in wildem Aktionismus alle paar Jahre alles um, hinterlässt noch größeres Chaos.“ 


28.12.2017

Das politisierte Schachspiel

 

Im saudi-arabischen Riad finden derzeit die Schnell- und Blitzschach-Weltmeisterschaften des Weltverbands Fide statt. Frauen dürfen zwar ohne Verhüllung mitspielen, wie die BZ berichtet, israelische Spieler sind hingegen wegen fehlender Einreisevisa von der Teilnahme ausgeschlossen: „Da konnte auch der Weltverband Fide nichts ausrichten, obwohl nach seinen Regeln kein Land Spieler aufgrund ihrer Nationalität ausschließen darf.“ Diverse Schachmeister sagten in der Folge ihr Kommen ab. Die Hannoversche Allgemeine führt weiter aus: „Saudi-Arabien sei als Gastgeberland ausgewählt worden, nachdem es dem Weltschachverband einen Scheck über 1,5 Millionen Dollar ausgestellt habe – viermal so viel wie die normale Jahresgebühr.“ Auch in den kommenden zwei Jahren werde die Weltmeisterschaft in Riad stattfinden. Anfang 2016 erklärte ein saudi-arabischer Großmufti das Schachspiel zur Sünde: Es führe zu Rivalität zwischen den Spielern. „Auch iranische Rechtsgelehrte verurteilten Schach, weil es Menschen zum Glücksspiel treiben könne.“ Der Unfug ist schon noch zu toppen; jedenfalls in Form einer gelungenen Satire. Man erinnere sich an folgenden Antrag an eine studentische Vollversammlung: „Das Schachspiel ist auf dem gesamten Gelände der Leibniz Universität Hannover ausnahmslos verboten. Alle Studierenden* sind dazu aufgefordert dafür zu sorgen, dass Zuwiderhandelnde* weinend das Gelände verlassen.“ Schach sei nämlich „ein Produkt kultureller Aneignung“ mit stark rassistischem und sexistischem Einschlag, das Gewalt verherrlicht, Klassendenken sowie monarchistisch-militaristische Denkstrukturen fördert, zum „Verlust der Differenzierungsfähigkeit durch Schwarz-Weiß-Denken“ führt und obendrein Trans-sexualität pervertiert. Warum die Redeleitung den Antrag nicht zuließ, steht in diesem Protokoll ab Seite 10 unten. Wo das Schachspiel ursprünglich entstand, ist übrigens noch nicht wirklich geklärt. 


6.12.2017

Bankrott für die Lesekompetenz 

 

Medien im Oktober: Deutschlands Viertklässler hätten sich in Mathematik, beim Zuhören und in Rechtschreibung verschlechtert. Weiter, laut Studie IQB-Bildungstrends, sei aber die Lesekompetenz 2016 auf ähnlichem Niveau geblieben wie 2011. Die muss wohl damals schon grottenschlecht gewesen sein, denn nun heißt es: Was die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu) für 2016 offenbart, „ist eine Bankrotterklärung für viele deutsche Grundschulen“. „Jedes fünfte Kind kann hierzulande nicht richtig lesen.“ Andere Länder konnten die Leseleistung der Zehnjährigen verbessern. Deutschland aber falle trotz etlicher, jahrelanger, millionenschwerer, aber unwirksamer Förderprogramme zurück. „Woran liegt das?“ Antworten erschließen sich insbesondere aus den Leserkommentaren bei der FAZ: „Das ist eine politische Spielwiese wie keine andere. Nur die Leidtragenden sind zu jung um sich wehren zu können, gegen Lehrer, Eltern, Politiker. Auch haben vorgenannte Personen ja mit keinerlei Konsequenzen für ihr Versagen zu rechnen. Schuld sind immer die Anderen.“ - „Der Bildungsverfall in D wird sich noch beschleunigen. Eine Ursache ist die ideologiever-seuchte Kuschelpädagogik, die mit Abschaffung der Noten in den ersten Klassen, Schreiben nach Gehör und allg. Anforderungsabsenkung dem Kind eine stressfreie Lernumgebung schaffen will, aber zugleich mit der Herausforderung jeden Lernanreiz vernichtet…In immer mehr Kitas und Schulklassen stellen bildungsferne Migrantenkinder mit mangelhaften Deutschkenntnissen die Mehrheit. Von wem sollen diese Kinder Deutsch lernen, wenn kaum noch deutsche Kinder da sind?…Die kognitive Entwicklung bleibt zurück, sodass auch die anderen Schulfächer leiden.“ Der weitere Abstieg Deutschlands sei also vorprogrammiert. - „Ich frage mich außerdem, warum die Pädagogik - eine zu Zeiten der Aufklärung entstandene Wissenschaft - es noch nicht einmal vermag, verbindliche und optimale Lernmethoden für grundlegenden Lehrstoff wie Lesen in den Kultusministerien durchzusetzen. Was für ein wissenschaftlicher Papiertiger ist denn diese Pädagogik, wenn sie nicht einmal die abstrusesten Lernmethoden wie ‚Schreiben nach Gehör‘ verhindern kann?!?“ - „Was ich an Grundschulen erlebt habe, ist die Fortsetzung der Kita ‚mit anderen Mitteln‘. Und das führt dann dazu, dass die Klassenräume an Grundschulen mit Lärmschutzdecken ausgerüstet werden! Kein Kind, auch das aufmerksamste und lernwilligste, kann in solch einem Umfeld gute Ergebnisse erzielen. Ruhe, Ordnung, Disziplin, Gehorchen, Aufmerksamkeit, Zuhören, Mitdenken, Rekapitulieren, waren früher Selbstverständlichkeiten, die Lehrkräfte auch durchsetzen konnte/durften! Heute sind das Un- oder gar Schimpfworte!“

 

Was dabei noch unter den Tisch fällt ist die ausufernde Gewalt an Schulen: etwa in Berlin, in Sachsen-Anhalt, in Bernburg oder in Ricklingen. Politiker, die sich um diesbezügliche und anderweitige Weitsichtigkeit keinen Deut bemühen, betrifft dies alles bekanntlich nicht.

 

Nachtrag vom 14.12.: Zur Lage in Saarbrücken: "Wenn Lehrer Angst vor Schülern haben" - Ein Kollegium schildert in einem Brandbrief an die Landesregierung verheerende Zustände.


4.12.2017

Ein Weihnachtsmarkt ist ein Weihnachtsmarkt

 

In diesem Fall hat sie recht: Lamya Kaddor schreibt aktuell: „Lasst die Finger vom Christkind, von St. Martin, dem Nikolaus und allen anderen aus der Familie.“ Im Sinne von Political Correctness müsse man eben nicht zu neutraleren Namen kommen wie Lichtermarkt, Laternenfest oder Sonne-Mond-und-Sterne-Fest. Als Muslimin finde sie solche Traditionen schön und wichtig: „Deutschland ist zu 60 Prozent von Christen bevölkert und hat eine lange christliche Vergangenheit. Es gibt keinerlei Veranlassung, die hieraus entstandenen Traditionen gezielt abzuschwächen oder gar zu tilgen. Die zweitgrößte Religionsgruppe sind die Muslime, und die machen gerade mal fünf bis sechs Prozent der Bevölkerung aus. Das ist keine Größe, an der sich andere universell orientieren müssten.“ Sie kenne auch keine Muslime, die eine Umbenennung von Weihnachtsmärkten verlangen würden. Ob es dennoch solche gibt, sei dahin gestellt. Was es gibt und nicht zu knapp sind deutsche Kindsköpfe aus der linksmarxistischen Szene, die ihren unreflektierten Atheismus wie einen Popanz vor sich hertragen und trotzig auf ihr „Lichterfest“ bestehen. Theoretischer Background ist etwa diese spinnerte Feinderklärung an die Religion aus dem Jahr 1909 – Feind in vorderster Front ist das Christentum und die heutige Lobbyaktivität für alles was muslimisch daher kommt im Sinne der Taktik kein Widerspruch, wie Richard Niedermeier („Allianz gegen das Christentum“) meint: Ideologen wollten es lieber mit dem Islam, als mit dem Christentum zu tun haben, denn: „Der Islam bedient ihre Ressentiments gegen die Religion überhaupt und lässt sich trefflich anführen, wenn Religion als rückwärtsgewandt diffamiert werden soll…ist es heute der antichristliche Charakter des Islam, den man nutzen will. Dieses antichristliche Motiv ist in der Gegenwart stärker als noch in der Aufklärung. Denn die durch den Islam in Europa erst realisierbare multikulturelle Gesellschaft soll dazu beitragen, das Christentum auch in seinen kulturellen Erscheinungsformen auszulöschen. Der Islam wird also instrumentalisiert in einem Kampf um die Seele Europas.“ Kaddors Gegenrede ist daher durchaus zu begrüßen. 

 

Siehe auch: "Weihnachtsfeier-Aus wegen Muslima? Schulrektor verstrickt sich in Widersprüche"


14.10.2017

Die Würde der Tatsachenwahrheit verteidigen

 

In Ergänzung zum morgigen Wahlsonntag in Niedersachsen und in Österreich soll an dieser Stelle daran erinnert werden, dass die politische Philosophin Hannah Arendt heute 111 Jahre alt geworden wäre. Unter Bezugnahme auf ihr Essay von 1964 mit dem Titel „Wahrheit und Politik“ erkennt Boris Blaha bereits im November 2014 auch eine Arendt’sche Note im öffentlichen Umgang mit Flüchtlingen. Es geht um die Übertragung einer politischen Frage in den Bereich des Moralischen und um „spiegelbildliche Ausblendung von Faktizität“, die zur Entfernung von der Sache führt. Die Folgen: „Die moralisch-monologische Struktur einer gewaltsam auftretenden Gesinnungswahrheit verschließt sich gegenüber der Wirklichkeit und spaltet die Anwohnerschaft in Gut und Böse – der Riss geht mitten durch Familien und Nachbarschaften. Von einem auf den anderen Tag sprechen Menschen nicht mehr miteinander, die seit Jahren stabile Nachbarschaften gepflegt hatten – der daneben ist jetzt das feindliche Gegenüber.“ Die gemeinsame Welt versinkt im Abwärtsstrudel, wenn die Faktizität als solche durch ein „organisiertes, öffentliches Lügen vernichtet“ wird. 

 

Die „Tatsachenwahrheit“ aber könne durch nichts „außer der glatten Lüge“ erschüttert werden; auch wenn sie stets gefährdet ist, in Meinungen transformiert und damit beliebig zu werden. Die Hartnäckigkeit der Tatsachenwahrheit „sorgt für eine gewisse Beständigkeit, für etwas, das durch den Gemeinsinn der Vielen, die einfach nur sagen, was ist, in der Zeit gehalten werden kann und damit eine Würde erlangt“. Es muss daher darum gehen, die mit der Politik verknüpfte Würde der Tatsachenwahrheit gegen Versuche einer lügenhaften Vernichtung zu verteidigen. Denn die „Kraft des Wirklichen“ stabilisiert den politischen Raum als solchen. Außerdem ist sie Grundlage jeden Meinungsstreits. „Während die philosophische Wahrheit vereinzelt, die Gesinnungswahrheit spaltet, versammelt die Tatsachenwahrheit. Wird diese für das Leben in einer gemeinsamen Welt elementare Bindung durch öffentliches, organisiertes Lügen durch-trennt, gerät man unweigerlich auf die schiefe Bahn und damit schnell ins Bodenlose. Man verliert genau jene Orientierung, die dann durch ein erfundenes Freund/Feind Schema imaginär erst wieder konstruiert werden muss.“ Eigentlich ist es für eine Bewertung der aktuellen Lage unabdingbar, politische und mediale Kommunikation auch aus dieser Sicht zu betrachten.  


5.10.2017

Emigration als Politikum

 

Eben erfahren: Wolfgang Mayer hat am 2. Oktober seine letzte Reise angetreten. Einen Nachruf gibt es hier zu lesen. Der engagierte DDR-Bürgerrechtler betrieb die Homepage „Flucht und Ausreise“ unter dem Motto: „Muss die Ausreisebewegung nicht auch als Bürgerrechtsbewegung gewertet werden?“ In Bezug auf Hitlerdeutschland hatte Sebastian Haffner (†1999) einen ähnlichen Blick auf jene, die einer Diktatur ihre Anwesenheit verweigern. Unter dem Titel „Wir Emigranten“ sagte er später dem Stern: „Wir haben, immerhin, das bessere politische Urteil bewiesen, wir haben Weltkenntnis erworben; wir haben ein unbefangenes Verhältnis zur Außenwelt bewahrt; wir haben nichts zu verbergen oder zu bereuen; wir haben gelernt, wie Deutschland von außen aussieht, und können besser erkennen, wann es wieder zu entgleisen anfängt, und rechtzeitiger die Bremse ziehen.“ Im Februar 2017 stand im Manager Magazin: Nach Angaben der Beratungsgesellschaft New World Wealth haben 2016 rund 4.000 Millionäre Deutschland den Rücken gekehrt. Die Anzahl sei binnen Kurzem sprunghaft gestiegen: 2015 wanderten etwa 1.000 Millionäre aus Deutschland aus, in den Jahren zuvor lag die Anzahl im niedrigen dreistelligen Bereich. „Nach Ansicht der Studienautoren ist die Abwanderung besonders reicher Menschen aus einem Land ein alarmierendes Zeichen.“ Der starke Anstieg der Auswanderung reicher Menschen aus Deutschland hänge mit zunehmenden Spannungen in der Gesellschaft zusammen, wie sie auch in anderen europäischen Ländern zu beobachten seien.


5.10.2017

Schulchaos: hektische Abordnungen

 

Heute ist Weltlehrertag. Die Unesco verkündet: Bis 2030 werden wegen Verrentungen und zusätzlichem Bedarf weltweit 68,8 Millionen neue Lehrkräfte benötigt. Der Weltbildungsbericht 2017/2018 erscheint am 24. Oktober und zeige, dass in Industriestaaten der Druck auf Lehrkräfte steigt. Grund: Mehr Aufgaben. Wie sich das vor Ort darstellt, verdeutlicht eine deftige Pressemitteilung (PM) der Niedersächsischen Direktorenvereinigung (NDV): „Die NDV sieht die Situation an den niedersächsischen Gymnasien zu Beginn des neuen Schuljahres 2017/2018 mit größter Sorge. Viele Schulen stehen vor erheblichen Defiziten bei der Unterrichtsversorgung, insgesamt und fachspezifisch.“ Lehrkräfte wurden nicht ausreichend eingestellt und qualifizierte Bewerber von Mangelfächern wie Informatik abgewiesen, um „soziale Projekte (‚Helfende Hände‘ z.B.)“ zu finanzieren. „Diese eklatanten Mängel in der mittelfristigen Versorgungskalkulation der Gymnasien werden freilich noch übertroffen von der Situation an den niedersächsischen Grundschulen. Ihnen fehlen nahezu 10.000 Stunden“, heißt es in der PM vom 2. August 2017. Nach „hektischen Schnellschüssen“ und Aufschieben der Probleme „trotz innerministerieller Warnungen“ wurden dann „vor etwa zwei Wochen erste Abordnungen von Gymnasiallehrkräften an Grundschulen“ veranlasst. „Weitere Verfügungen erfolgten gestern und noch heute, einen Tag vor Beginn des neuen Schuljahrs, telefonisch.“ Ein schweres Versagen bei der Bedarfsplanung: „Mit einem hilflosen Mittel zur kurzfristigen Symptombekämpfung soll in letzter Minute der Schuljahresbeginn an den Grundschulen gesichert werden.“ Die Fürsorgepflicht sei nicht gewahrt, „überdies spielt bei solchen kürzestfristigen Notprogrammen die Frage nach pädagogischen und didaktischen Aspekten von Unterrichtsqualität offenbar gar keine Rolle mehr“. 

 

Völlig unzumutbar sei der Zeitpunkt der Abordnungen: Schulleitungen und Lehrkräfte müssen – während des anlaufenden Schulbetriebs – geeignete Personen finden, Unterricht verteilen und Stundenpläne schulübergreifend neu organisieren. Die ministerielle Behauptung, dass von den Abordnungen nur überversorgte Schulen betroffen sind, sei falsch: „In vielen Fällen werden Unterrichtsausfall und Stundenkürzungen am abgebenden Gymnasium in Kauf genommen: Neue Lücken entstehen, um alte zu schließen.“ Die Direktoren halten das für „völlig untauglich“ und resümieren: „Mit schweren Hypotheken gehen die niedersächsischen Schulen in das neue Schuljahr, ohne Aussicht, dass sich daran etwas ändert angesichts einer Schul- und Bildungspolitik, die man nur noch als chaotisch und ideenlos beschreiben kann.“ Konsequenzen zieht mal wieder: niemand. Auch anderswo wird einfach in der Gegend herum gelogen. Die Zeit teilt mit: "Tatsächlich fällt mehr als doppelt so viel Unterricht aus, als Behörden und Bildungsminister behaupten." Nachgefragt in den 16 Kultusministerien bekomme man methodisch nicht vergleichbare Zahlen mit erstaunlich niedrigen Werten. "Die Zahlen werden also seit Jahren und Jahrzehnten nicht einheitlich erhoben" – und wohl nicht umfassend. "Das grenzt angesichts der herrschenden Verhältnisse an unterlassene Hilfeleistung für Schüler und Eltern." 

 

Nachtrag vom 14.10.: "An Grundschulen fehlen Tausende Lehrer" beim Spiegel.


29.8.2017

Vernachlässigte Existenzfragen

 

Wo bleibt der Wahlkampf? Das fragt man sich gerade bei „Christ in der Gegenwart“ mittels eines durchaus fetzigen Kommentars. In vier Wochen wird der Bundestag gewählt, doch die Bevölkerung sei abgestumpft und „gepflegt nachlässig“ respektive ignorant bis feige. „Als Erregungsersatz bietet die Boulevardpresse im Schulterschluss mit Proll-Fernsehen und sozialen Netzwerken Nichtigkeiten an, seien es geplante oder geplatzte Clubwechsel millionenschwerer Fußballsöldner oder Nacktbadeszenen gekaufter Second-Hand-Promis.“ Alles habe sich auf das Feld des bloß Spielerischen verlagert. „Heute so, morgen anders. Wer A sagt, kann auch B, C oder sonst was sagen.“ Diese vernebelte, unzuverlässige Politik wecke Zweifel an der Ernsthaftigkeit und „gefährdet womöglich Demokratie“, heißt es im Kommentar. 

 

An Zukunftsfragen mangelt es derweil nicht. Etwa zu den sozialen Sicherungssystemen in einer zunehmend digitalisierten Arbeits- und Verbrauchskultur, der Zukunft der jungen Generation oder  der Zuwanderung. Menschen mit Migrationshintergrund machten bereits ein Fünftel der Bevölkerung aus. „Völlig offen ist, wie die sehr zahlreichen Zuwanderer aus bildungsfernen Schichten und Kulturmilieus jene Bildungsstandards erreichen können, die eine hochtechnisierte Wohlfahrtsnation voraussetzt.“ Gleichzeitig seien qualifikationsbereite Zuwanderer durch Arbeitshemmnisse blockiert. „Wer etwas leisten will, soll und muss auch etwas leisten dürfen und dabei engagiert unterstützt werden. Wer dagegen nichts leisten will, wer als Zugereister andere Absichten hat, hat sein Anrecht auf Beheimatung verwirkt.“ Wie ist das politisch differenziert umzusetzen? Eine Existenzfrage. Auch eventuelle Langzeitwirkungen leitkultureller Vorstellungen des zunehmend präsenten Islam kommen zur Sprache: „Droht ein Kulturkampf massiverer Art, wie er sich im Kleinen - etwa in manchen Schulen und unter jungen Leuten - längst abzeichnet? Was kann ihn vorbeugend abwenden? Darüber wird im Wahlkampf kaum redlich offen diskutiert.“ Realismus sei hier angebracht. Und „eine ehrliche Offenheit, die nichts mehr beschönigt oder beschweigt…und sich nicht auf der Ebene der propagandistischen Kampfbegriffe ‚Islamophobie‘ und ‚Islamophilie‘ abspielt“.  

 

Neben aller berechtigten Religionskritik lasse sich aber letztlich nicht bestreiten: „Nach den Jahrzehnten des staatlich verordneten Atheismus mit seiner Zerstörung des individual- wie sozialmoralischen Wertegerüsts haben Gebildete…wiederentdeckt, wie wesentlich der Glaube für die Sinnerfüllung des ganzen Lebens ist, gegen die persönliche wie kollektive Trostlosigkeit der verordneten Gottlosigkeit. Auch wenn der religiöse Glaube manipuliert und ideologisch ausgenutzt werden kann, wie man es im hindunationalistischen Indien genauso beobachten kann wie im buddhistisch imprägnierten Sri Lanka oder im wahabitischen Saudi-Arabien, hängt die Grundausrichtung, die Dynamik eines Gemeinwesens im Ganzen entscheidend von dem ab, was dem sterblichen Menschen wie viel wert, was ihm heilig ist…Wie viel ist den Deutschen im einst christlichen Abendland das Christentum noch wert? Auch Religion als substanzieller Teil von Kultur ist politisch. Daher müsste die Erosion des Christlichen sehr wohl ein zutiefst beunruhigendes Thema der politischen wie intellektuellen Eliten sein.“ Warum ist es das nicht?


6.6.2017

„Das demokratische Lebenselement“

 

„Wir“ wohin das Auge reicht, von links bis rechts und dazwischen. Individualisten oder auch nur jene, die Wert auf Eigenständigkeit legen, haben wohl die Nase schon längst gestrichen voll von den zahlreichen „Analysen“ und Charakterisierungen in Print und im Netz, die mit ihrem ständig pauschalisierenden „Wir“ – …wir haben die Grenzen nicht kontrolliert…wir empfinden ja alle dies und das…wir verhalten uns so und so… – Personen in Mithaftung nehmen, die in verantwortlicher Position gänzlich anders entschieden hätten oder die ein völlig anderes Empfindungs- und Verhaltensrepertoire aufweisen als die Autoren solcher Texte.   

 

Die subtile Erziehung zu Unselbständigkeit bis hin zu Hörigkeit ist ein Aspekt davon. Ein anderer findet sich in dieser Buchbesprechung von Bernd Leineweber über Paolo Flores d’Arcais‘ Werk (2004): „Die Demokratie beim Wort nehmen - Der Souverän und der Dissident“. D’Arcais geht davon aus: Das Grundelement der Demokratie ist das Individuum. „Nur wenn jeder Einzelne seine und sei es noch so abweichende Meinung mit der Aussicht, die politische Öffentlichkeit zu erreichen, uneingeschränkt äußern könne und von der Mehrheit nicht nur geschützt, sondern ermutigt werde, seiner Meinung Ausdruck zu geben, sei eine Demokratie lebendig.“ Der Einzelne muss dafür meinungsfähig und gebildet, die Medien pluralistisch organisiert und die Unabhängigkeit der Justiz gewährleistet sein. Der Autor konkretisiert: Politische Partizipation setzt voraus, dass der Einzelne seine eigene Meinung höher bewertet als die von gesellschaftlichen Gruppen und Parteien – „von Mehrheiten eben, die zum Konformismus nötigen“. Die eigene, wenn auch abweichende Meinung, und gerade nicht die organisierte, ist das demokratische Lebenselement. 

 

Ein Demokrat mache aus, was Vaclav Havel mit „in der Wahrheit leben“ bezeichnete. Einer, der die Lügen der Parteipropaganda nicht mitmachen, sondern authentisch leben will. „Die Freiheit des Individuums existiert zuerst. Und im Sinne der Demokratie existiert das Volk juristisch und faktisch nicht mehr, wenn die Pluralität der unverwechselbaren Existenzen, die sie konstituieren, gefährdet ist“, meint der Autor: „Jede politische Ordnung, die Existenzen vereinheitlicht und unterwirft, öffnet sich bereits der Heteronomie des Totalitarismus und verfällt ihm.“ D’Arcais hat damit einen Orientierungsfaden zur Verfügung gestellt: es erleichtert mit diesem zu erkennen, wer es wirklich ernst meint mit der Demokratie respektive wer sie verstanden hat und wer sie fördert oder blockiert.  


29.5.2017

Identifizierbare Kulturen

 

„Im wunderschönen Monat Mai, als alle Knospen sprangen, da ist in meinem Herzen die Liebe aufgegangen…“ – über dies „Lyrische Intermezzo“ von Heinrich Heine und der musikalischen Umsetzung durch den „meraviglioso Schumann“ oder andere deutsche Dichter und Komponisten finden sich mehrmals wöchentlich Beiträge in italienischen Lokalzeitungen; sei es aus Anlass von Konzerten, Ausstellungen oder Vorlesungen. Jenseits der Alpen scheint man die deutsche Kultur also durchaus zu kennen und zu schätzen. Während meines herzallerliebsten Italienurlaubs – in Form von kreativer Selbstversorgung auch für schmalere Geldbeutel machbar – habe ich hier und da erzählt, dass im deutschen Parlament eine Integrationsministerin sitzt, die behauptet: „Eine spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar.“ Neben Bemerkungen wie „non va bene“ bekam ich von einem Mittsiebziger, engagiert bei Facebook, die konkretere Auskunft, dass während seiner Ausbildungszeit anstatt von italienischer Geschichte vielmehr Kommunismus gelehrt worden sei und bereits damals auch in Italien damit begonnen wurde, Kultur und Tradition den Kampf anzusagen. Nicht zuletzt im Flughafen Ancona Falconara gibt es noch diesbezügliche Wehrhaftigkeit: Am Eingang zur Sicherheitskontrolle steht – wie mir ein Mitarbeiter erklärte seit 18 Jahren – ein relativ großes Relief mit Maria und dem Jesuskind. Wen das nicht interessiert, der geht achtlos vorüber, und wer die christliche Religion schätzt, der freut sich daran. Kein Diskriminierungsproblem weit und breit. 

 

Eine kleine Umfrage meinerseits unter weiteren Einheimischen, was ihnen zur deutschen Kultur einfällt, ergab folgende Details: Einem Jugendlichen im bezaubernden Santarcangelo fiel zunächst Bayern München und die Museumsinsel in Berlin ein, bei weiterem Nachdenken dann die Wertschätzung der antiken Philosophen, Literaten wie Goethe und die pragmatische Sprache. Zum Charakter bekam ich an meinem Standort Rimini – diese vielseitige Stadt lässt sich übrigens nur wirklich mittels Fahrrad erschließen – heraus: Die Deutschen seien generell präzise, treu im Sinne von redlich, ernsthaft und tolerant. Als negativer Aspekt wurde fehlende Flexibilität genannt: Italiener hätten da schon einen größeren Spielraum, um die Dinge neu zu justieren. In San Marino brauchte ich meine Frage gar nicht erst zu stellen. Nach meiner Richtigstellung gegenüber einem Sammarinesen, dass ich keine Französin bin, präsentierte mir dieser seine Deutschkenntnisse: „Wie spät ist es?“ Nebenan war ein kleines Café, das in Deutschland von den rigiden Kulturrelativisten in Politik und Medien vermutlich längst rufgemordet wäre:  Der Besitzer empfängt ankommende Reisebusse mit dem Schwenken der jeweiligen Nationalfahne. Die aussteigenden Leute freuen und amüsieren sich über diese Geste. Wie absurd und destruktiv in solchem Umfeld die Sprücheklopferei von der angeblich notwendigen Überwindung des Nationalen wirken würde. Die positive Erkenntnis ist: Das Gros der Menschen lebt überhaupt nicht nach dem, was von den Politkanzeln herab gepredigt wird. Es erreicht sie gar nicht. Hier spielt das Leben, dort der falsche Film.  


11.4.2017

Nivellierer als Strippenzieher

 

Ein interessantes Urteil: „Islamisches Kulturzentrum darf von Innenminister des Landes Bremen als ‚salafistisch‘ bezeichnet werden“, so das Oberverwaltungsgericht (OVG) Bremen nach einem Beschluss vom Dezember 2015: „Zwar verlange die Religionsfreiheit vom Staat besondere Zurückhaltung. Daher seien diffamierende, diskriminierende oder verfälschende Darstellungen einer religiösen Gemeinschaft zu unterlassen. Jedoch enthalte die Beschreibung ‚salafistisch‘ keine diffamierenden oder verfälschenden Darstellungen.“ Bei der Bundeszentrale für politische Bildung versuchte sich Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber drei Monate vorher an der Präsentation einer Typologie zum komplexen Phänomen Salafismus. Sein Fazit: „Alle genannten Handlungsstile des Salafismus können auch dem Fundamentalismus zugerechnet werden“ mit „einer deutlichen und hohen Extremismusintensität.“ Geht man nach dieser Definition und führt sich das aktuelle Sprachdiktat vor Augen, dann dürfte wohl der Beschluss des OVG Bremen heute keinen Bestand mehr haben. Um die Hintergründe der Debatte vollumfänglich zu erfassen, darf im Übrigen nicht untergehen, was ein Leser beim Tagesspiegel so formulierte: „Es ist nur zu offensichtlich, dass Viele die Gunst der Stunde nutzen wollen, um sich auf diese Weise aller Religionen zu entledigen…Wenn dem Islam seitens unserer Mehrheitsgesellschaft erst einmal seine Existenzberichtigung aberkannt wurde, dann wird auch dem traditionellen Christen-  und Judentum auf Dauer keine Existenzberechtigung mehr eingeräumt werden. Wieder ein Schritt hin zur großen ideologischen Monokultur. Keine Ländergrenzen mehr, keine Nationen, keine Religionen, keine Kulturen…“  


30.3.2017

Heringssalat bald überall?

 

Wenn man in Berlin eine Veranstaltung zum ausgewiesenen Thema rund um die christliche Religion besucht, kann es schon mal vorkommen, dass sich dort Atheisten dazu setzen, die sich dann darüber beschweren, dass es hier nur um christliche Religion geht und nicht um andere Religionen oder um Atheismus. Selbst erlebt, und nicht nur einmal. Zu solchen Zeitgenossen gehört auch Volker Beck von den Grünen. Laut Idea hatte der Politiker das christliche Hilfswerk für verfolgte Christen „Open Doors“ dahin gehend kritisiert, dass es diesem nur um Christen gehe und nicht um alle religiös Verfolgten. Der gleiche Duktus wäre die Grünen dafür zu kritisieren, dass es diesen nur um ihre eigenen politischen Positionen geht und nicht um die aller politischen Parteien. Es entspräche auch solch einer Einstellung in ein Schreibwarengeschäft zu gehen und sich dann zu beschweren, dass man dort keinen Heringssalat kaufen kann nach dem Motto: Jeder hat sich um alles zu kümmern. Die Welt wartet gespannt auf die nächste Ausweitung des Antidiskriminierungsgesetzes.