30.12.2016

Wo Behördentäuschung vor Fake News geht

 

Den österreichischen Justizminister Dr. Wolfgang Brandstetter erfüllt es mit Grausen, wenn er an den Vorschlag der deutschen Regierung denkt, ein „Wahrheitsministerium“ à la Orwell gegen Fake-News einzurichten, so der Kurier. Er warnt davor, „hier zur Strafrechtskeule zu greifen oder gar eine Behörde einzurichten, die darüber entscheidet, was wahr oder was falsch ist“. Das zur Verfügung stehende strafrechtliche Instrumentarium reiche völlig aus. „Gegen ‚Fake News‘ sei vielmehr die Bewusstseinsbildung entscheidend, dass es gerade im Internet auf die kritische Distanz des Medienkonsumenten zum Berichteten ankomme.“ Gesetzlich nachschärfen will der Justizminister vielmehr bei der absichtlichen und gezielten Behördentäuschung. Brandstetter ist parteilos, nominiert von der Österreichischen Volkspartei ÖVP.


16.12.2016

„Trusted reporters“

 

Bei der vom Bundesjustizminister angefachten Facebook-Task-Force ist wohl wenig bis gar nichts herausgekommen, wie Wired berichtet. Interessant ist in dem Zusammenhang ein neu eingeführter Begriff: Zusammenschlüsse wie „Netz gegen Nazis“ oder „Gesicht zeigen!“ sollen als „trusted reporters“ fungieren, die Inhalte bei Facebook mit Vorrang melden können. Derselbe Begriff taucht gerade auch in einer Antwort der Bundesregierung zum „EU Internet Forum“ auf: „Der EU-Anti-Terrorismus-Koordinator schlägt vor, Meldungen zu entsprechenden Inhalten könnten demnach durch vertrauenswürdige Hinweisgeber („trusted reporters“) erfolgen. Ihre Informationen zu bestimmten Inhalten sollten von den Anbietern auf ihren Webseiten veröffentlicht werden.“ Das relevante Programm „Civil Society Empowerment“ mit der gemeinsamen, privaten Meldeplattform will die EU mit zehn Millionen Euro fördern. Wie man sich als „trusted reporter“ qualifiziert bleibt offen: „Nach Kenntnis der Bundesregierung sind bereits einzelne Sicherheitsbehörden sowie Organisationen der Zivilgesellschaft seitens einzelner Plattformbetreiber als ‚vertrauenswürdige Hinweisgeber‘ anerkannt…Aus Sicht der Bundesregierung obliegt es den jeweiligen Plattform-betreibern, ‚vertrauenswürdige Hinweisgeber‘ für ihre jeweiligen Plattformen zu bestimmen“ (S. 7/8). Die Beteiligung von NGOs bei Löschentscheidungen, "die regelmäßig eine eigene politische Agenda haben, ist aus deutscher Perspektive ungewöhnlich", meinte LTO bereits vor einem Jahr. 

 

Nachtrag: Die Regierung will nach der Weihnachtspause ein Gesetz gegen Falschnachrichten erarbeiten. Vorgesehen sind Bußgelder bis zu 500.000 Euro. Volker Kauder will – nicht näher definierte – Beleidigungen im Netz härter bestrafen als im Normalfall. Facebook-Manager Adam Mosseri: „Wir glauben daran, Menschen eine Stimme zu geben und können nicht selbst Schiedsrichter der Wahrheit werden.“ (tagesschau.de) Außerdem Spiegel Online: Über ihre Jobs dürfen Arvato-Mitarbeiter (Anm.: Arvato gehört Bertelsmann), die im Auftrag von Facebook Einträge prüfen, nicht reden. "Niemand darf erfahren, für welchen Auftraggeber hier gearbeitet wird." Den Namen Facebook dürften sie nicht in ihre Lebensläufe oder Linkedin-Profile schreiben. "Nicht einmal ihren Familien sollen sie sagen, was sie tun." Warum nicht?


12.12.2016

Das böse Internet schon wieder

 

Die Schimpftiraden auf das Internet auf den üblichen Kanälen bis hin zum Presseclub kann inzwischen auf den Nenner gebracht werden: Halbwahrheiten von Populisten auf der Suche nach einfachen Antworten. Da die um ihre Deutungshoheit besorgten Vereinfacher auf juristischem Weg nicht erreichen kritischen Bürgern den Mund zu verbieten, setzt man jetzt auf die EU. Dafür spricht etwa eine neue Richtlinie sowie die aktuell beworbene „Charta der digitalen Grundrechte der Europäischen Union“ von diversen Publizisten und Aktivisten auf Vorschlag der ZEIT-Stiftung. Zu den Initiatoren gehören EU-Parlamentspräsident und SPD-Politiker Martin Schulz, Sascha Lobo und die Schriftstellerin Juli Zeh. Darin enthalten ist die Forderung an die EU und ihre Mitglieder, mit Macht und Gesetz einzugreifen. Schließlich kommt „es im digitalen Zeitalter zu enormen Machtverschiebungen zwischen Einzelnen, Staat und Unternehmen“. Man ist „fest entschlossen, Grundrechte und demokratische Prinzipien auch in der digitalen Welt durch die Herrschaft des Rechts zu schützen“ und „staatliche Stellen und private Akteure auf eine Geltung der Grundrechte in der digitalen Welt zu verpflichten“. Die Charta soll dem Europäischen Parlament in Brüssel und der Öffentlichkeit zur weiteren Diskussion übergeben werden.

 

„Hinter der Forderung nach neuen Grundrechten lauern Zensurphantasien“, meint Rechtsanwalt Niko Härting in einem Kommentar dazu auf LTO. Die Digitalcharta sei eine sehr deutsche und auch vermessene Aktion nach dem Motto „Am deutschen Wesen mag die Welt genesen“. Den Verfassern gehe es nicht um gesellschaftliche Perspektiven, die elektronische Kommunikation eröffnet. „Stattdessen richten sie den starren Blick auf tatsächliche und vermeintliche Gefahren der Vernetzung: Das Internet als Hochrisikozone, in der die ‚normalen‘ Grundrechte zum Schutz der Bürger ganz einfach nicht mehr ausreichen. Putin und Erdogan würden eine solche Charta sofort unterschreiben.“ Geschützt würde nicht der freie Austausch von Meinungen. Bezüglich der Liste von Einschränkungen sieht Härting die Charta als eine Ängste schürende Kopfgeburt.

 

Insbesondere die SPD unternimmt immer wieder Zensurvorstöße. Interessant: die Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer „Änderungen im Strafzumessungsrecht zur Bekämpfung der sogenannten Hasskriminalität“ (November 2013). Ein damaliger Entwurf der SPD im Deutschen Bundestag (BT Drs.17/8131) verfolgte das Ziel, § 46 Absatz 2 StGB dahingehend zu ergänzen, dass bei der richterlichen Abwägung alle Umstände, „besonders auch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende“ Beweggründe berücksichtigt werden. In einer Anhörung dazu sprachen sich die Sachverständigen überwiegend gegen die Änderung aus. Der Bundestag lehnte dann auf Empfehlung seines Rechtsausschusses (BT-Drs. 17/11061) den Entwurf mehrheitlich ab (Plenarprotokoll 17/198, Seite 23955). Den demokratischen Beschluss akzeptieren offenbar etliche Politiker nicht: „Die Bundesrechtsanwaltskammer stellt mit Sorge fest, dass die Länder Saarland, Hamburg, NordrheinWestfalen, Sachsen-Anhalt und Thüringen planen, die Gesetzesinitiative in der neuen Legislaturperiode neu aufzugreifen.“ 

 

Die Bundesrechtsanwaltskammer begründet ihre Sorge wie folgt: „Allerdings liegt die Besonderheit der ‚Botschaftsverbrechen‘ darin, dass sie ihre kriminologische Bedeutung spezifisch aus der Perspektive der Verletzten gewinnen. Im kriminologischen Sinne kommt es für die Identifikation einer Tat als Hassdelikt weniger auf die - im Einzelfall möglicherweise gar nicht sicher feststellbare - Motivation des Täters an, sondern vielmehr auf die Bedeutung des Täterverhaltens für die Verletzten und für das Publikum.“ Grundlage der Strafzumessung dürften jedoch nur Umstände sein, die vom Täter vorausgesehen werden konnten und ihm deshalb als verschuldete Auswirkung zuzurechnen ist. Die Kammer warnt deshalb davor, „den viktimologisch geprägten Begriff des ‚Botschafts-verbrechens‘ in das vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich garantierten Schuldprinzips notwendig auf den Täterhorizont zugeschnittene Strafzumessungsrecht zu übertragen.“

 

Im Übrigen seien menschenverachtende Tatmotive vom geltenden Recht bereits umfassend als strafschärfend erfasst. Der Vorschlag der SPD sei auch nicht geeignet, die Situation möglicher Opfer zu verbessern. „Vielmehr soll er ausweislich der Gesetzesbegründung ‚ein klares Signal setzen‘, um die Rechtsprechung dazu anzuhalten, hassgeleitete Motive eines Gewalttäters bei der Festsetzung einer angemessenen Strafe stärker strafschärfend zu berücksichtigen als bisher. Dieses ‚Signal‘ erweist sich bei genauer Betrachtung als verfassungsrechtlich bedenklicher Versuch, auf die Beweiswürdigung und Strafzumessung durch das jeweils erkennende Gericht einzuwirken.“ Das würde ein „Abgleiten in ein Gesinnungsstrafrecht“ bedeuten. Das Recht der Strafzumessung aber sei von jedem Schematismus weit entfernt und versagt sich aus guten Gründen jeder Akzentuierung. „Es handelt sich um ein symbolisches Vorhaben, mit dem vernünftigerweise nicht die Erwartung verbunden werden kann, es könne Problemen wie Rassismus, Homophobie oder Antisemitismus in der Gesellschaft gerecht werden.“

 

Auch interessant zu wissen: 2008 titelte der Spiegel: „Baden-Württemberg will deutsch-feindliche Parolen bestrafen.“  Wie geht man vor Gericht mit Verbalattacken wie „Scheiß Deutscher“ um? Nach dem Willen von Bundesratsminister Wolfgang Reinhart (CDU) sollen derartige Beschimpfungen künftig als Volksverhetzung bestraft werden können.


28.10.2016

Hatespeech: Autoritärer Popanz oder Digitalkrieg?

 

„Zensurpläne: Obama erklärt alternativen Medien den Krieg“, titelte kürzlich das Contra Magazin. Das erinnert an die Ansage des CDU-Bundestagsabgeordneten Ansgar Heveling vom Januar 2012 im Handelsblatt: „Netzgemeinde, ihr werdet den Kampf verlieren!“ Das Web 2.0 mit seinen „digitalen Maoisten“ sei bald Geschichte, kündigte er an. Während es Heveling zumindest schwülstig-vordergründig noch um die Verteidigung seiner persönlich definierten bürgerlichen Kultur ging, sei Obama direkter: Alternative Medien seien „eine Gefahr, welche den Glauben der Menschen in die etablierten Konzernmedien untergraben“. Der Präsident habe „einen massiven Angriff auf den ersten Zusatzartikel zur US-Verfassung vor“: In besagtem Artikel zur Meinungsfreiheit müsse man aufgrund des „Wildwuchses“ im Informationsfluss „eine Art von Kuratierungsfunktion“ einbauen. „Dabei will er (ähnlich wie die Zensurbehörde von Deutschlands Justizminister Maas) wohl eine Art Aufsichtsbehörde schaffen, die unliebsame Informationen ‚aussortiert‘.“   

 

Lautstark aktiv ist hierzulande neben Maas auch Volker Kauder sowie der Kriminologe Christian Pfeiffer. Facebook et al. wurde „ein Ultimatum gestellt“ bis März 2017 sicherzustellen, rechts-widrige Inhalte schnell von ihren Seiten zu entfernen: sonst müsse die Politik eingreifen. Der Tagesspiegel zitiert Maas: „In Europa diskutieren wir derzeit über eine Richtlinie zu audio-visuellen Medien“. Man müsse sich fragen, ob es noch sachgerecht ist, dass Soziale Netzwerke nicht zu diesen Anbietern gehören. Sollten diese der EU-Medienrichtlinie unterworfen werden, könnten Verfehlungen juristisch geahndet werden (Anm.: bei strafbaren Inhalten bereits möglich). „EU-Internetkommissar“ Günther Oettinger twitterte dazu im Mai: „We tackle #hatespeech via Code of Conduct.“ Ende September hieß es allerdings gegenüber Netzpolitik bei einer Zwischenbilanz der „Taskforce zu Hate-Speech“ im Bundesjustizministerium: „Die anwesende EU-Justizkommissarin Věra Jourová erklärte später aber, dass man keine konkreten Pläne in diese Richtung habe.“ Tipp zur Wahrheitsfindung: würfeln. 

 

Würde die Angelegenheit objektiv angegangen, wäre es in der Tat diskussionswürdig, wo die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten sind. Der Freispruch für Böhmermann dokumentiert hingegen die politisch einseitige Willkür der Debatte ebenso wie das Schweigen von Maas & Co. in Bezug auf „antisemitische Hasskommentare von Deutsch-Türken auf Facebook“, nachzulesen bei der Jüdischen Rundschau: „Auch diejenigen, die schon einiges an antisemitischen Hass-Tiraden gewohnt sind, konnten kaum glauben, was da geschrieben und hochgeladen wurde.“ Für jene, die Hatespeech stets anprangern, passe dies wohl nicht ins politisch korrekte Weltbild: „Sie suchen Antisemitismus ungern bei jungen nationalistischen Deutsch-Türken, sondern lieber in der ‚Mitte der Gesellschaft‘.“ Bei Netzpolitik erinnert man an die Warnung des UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfrei-heit David Akaye: „Die drängendsten Probleme entstehen durch eine staatliche Beeinträchtigung der Meinungsäußerung – zum Beispiel durch die Zensur von Gruppen“ sowie durch privatwirt-schaftliche Reglementierung: „besonders wenn Regierungen private Unternehmen dazu drängen, die Meinungsfreiheit zu beeinträchtigen.“ Tatsächlich scheint Facebook eine nicht weniger willkürliche Löschpraxis an den Tag zu legen – nachprüfbar bei der Wall of Shame. Obama kommt übrigens am 17. November auf Einladung von Merkel doch noch einmal nach Berlin.

 

Nachtrag: EU-Parlamentspräsident Martin Schulz will Facebook und Google kontrollieren. Denkbar seien öffentlich bestellte internationale Kontrollgremien, denen gegenüber die Konzerne rechenschaftspflichtig sind. Das Problem könne nur global gelöst werden. 


23.9.2016

No-Hatespeech: Unsensible Projektfolklore  

 

Der obskure Kampf gegen Hatespeech wird von mehreren Bundesministerien gepusht. Heise teilt mit: „Die Gruppe ‚Hooligans gegen Satzbau‘ (HoGeSatzbau) wurde für ihren Einsatz gegen Hasskommentare auf Facebook mit dem Smart Hero Award ausgezeichnet. Facebook vergibt diesen Preis in Zusammenarbeit mit der ‚Stiftung Digitale Chancen‘ des Bundeswirtschafts- und Bundesfamilienministeriums.“ Die HoGeSatzbau ist „ein ehrenamtliches Projekt“ und postalisch wie spendentechnisch über die Amadeu Antonio Stiftung erreichbar. Per Weiterleitung auf eine Website des Goethe Instituts China erfährt man, dass „Hasshilft” ebenso „rassistisches und islamophobes Gedankengut in den Sozialen Medien“ bekämpft und dass es sich um eine Initiative des Zentrums Demokratische Kultur (ZDK) handelt. Gesellschafter des ZDK: Amadeu Antonio Stiftung und Freudenberg Stiftung. Seit Juli gehört das ZDK zum „Kompetenzverbund Extremismus (KVE) Sachsen“. „Hasshilft“ veröffentlicht auf seiner Website „aus Sicherheits-gründen nur“ Vornamen und den ersten Buchstaben des Nachnamens der Top 10-Hassposter mit dem Hinweis, dass sich dahinter echte Facebookprofile verbergen. Unterstützt wird das Projekt unter anderem  von HoGeSatzbau und einigen Medien. Beachtenswert ist dieser Offene Brief zur No-Hate-Speech-Kampagne der Bundesministerien. Anhand dort gezeigter Kampagnenbilder wird noch deutlicher, wie es tatsächlich um die Sensibilität der Initiatoren bestellt ist.


12.8.2016

Willkürliche Zensurpolitik

 

Bei Facebook wird munter gelöscht und gesperrt. Anlass: die Kampagne des Bundesjustizministers gegen nicht näher definierte Hatespeech in Kooperation mit dubiosen Gebilden wie der Amadeu Antonio Stiftung. Ein Rechtsanwalt macht sich nun die Mühe, die Vorgänge zu dokumentieren und juristisch einzuordnen. Joachim Steinhöfel: „Facebook löscht Beiträge und sperrt Profile, auch wenn die darin enthaltenen Äußerungen in Einklang mit deutschen Gesetzen stehen. Gleichzeitig bleiben selbst strafbare Posts oder Kommentare, auch nach Hinweisen, online, weil sie offenbar nicht gegen die schwammigen ‚Gemeinschaftsstandards‘ Facebooks verstoßen. In einem Rechtsstaat darf jedoch nicht bestraft werden, wer sich rechtstreu verhält.“ Man lese und staune, wer von einer Facebook-Sperre respektive Löschung von Inhalten betroffen ist. Etwa: Jutta Berger, die sich bei den Polizeibeamten bedankte, die gegen den Würzburger Attentäter im Einsatz waren. Jürgen Kastrau, der jeweils ein symbolisches Bild der katholischen und evangelischen Kirche postete. Jan Zippel (vorübergehend), weil er folgendes Zitat von Lencke Steiner vom Bundesvorstand der FDP postete: „Es ist das legitime Interesse unseres Rechtsstaates, zu wissen wer und mit welchem Background in unser Land kommt.“ Nicht von Sperre oder Löschung wegen Hassposting betroffen ist hingegen Kamal El-Mustafa, der Folgendes schrieb: „Ab mit euch ihr fotzenkinder solche Kartoffeln wie euch würde mann in unsren länder aufhängen…“ Die Zensurfälle sind auf „Facebook Sperre - Wall of Shame“ via Screenshots verewigt. Relevante Mitteilungen von Betroffenen sind erwünscht. Das Ziel: „Im Ergebnis wünschen wir uns, dass Facebook zu einer transparenten Praxis im Umgang mit Meinungsäußerungen gelangt. Rechtswidrige Inhalte müssen entfernt, Nutzer, z. B. bei wiederholten Straftaten, endgültig gesperrt werden. Gleichzeitig müssen Beiträge grundsätzlich zugelassen und weder gelöscht, noch der Verfasser gesperrt werden, soweit dessen Äußerungen in Einklang mit deutschem Recht stehen. Aktuell ist dies ganz eindeutig nicht der Fall.“


20.7.2016

Demokratieentzug als primäres Interesse?

 

Die nun bezeichnete "Kampagne von Erdogan-Anhängern und seiner Partei AKP" mit ihrer Bitte an Vereine wie Privatpersonen, beleidigende oder abfällige Meinungsäußerungen zu melden, ist deckungsgleich mit dem, was aus deutschen Bundesministerien kommt. Es nähme nicht wunder, wenn letztlich - mögen die Motive auch noch so unterschiedlich sein - in internationaler Einstimmigkeit die freie Internetnutzung erheblich eingeschränkt würde.  


18.7.2016

Großreinemachen

 

Wie die Deutsche Welle (DW) unter Berufung auf den Spiegel berichtet, schrieb Bundesjustiz-minister Heiko Maas den „Cheflobbyisten von Facebook in Berlin und London“ einen Brief – man hat ja sonst nichts Wichtigeres zu tun: Das Netzwerk habe Zusagen im „Kampf gegen Hassbotschaften“ nicht eingehalten, nämlich wegen Volksverhetzung gemeldete Hasskommentare in 24 Stunden zu prüfen. Facebook lösche zu wenig und zu langsam und oft „auch das Falsche“, ohne dies zu konkretisieren. Maas fordert, dass Meldungen von Nutzern genauso zügig und sorgfältig bearbeitet werden wie die von Organisationen. Dass sich hierunter auch rein denunziatorisch Motivierte befinden können, scheint nicht weiter von Belang zu sein. Wenn Facebook nicht spurt, müsse der Konzern „mit strengeren Regulierungen auf europäischer Ebene rechnen“. Ein Beitrag zur Sympathiewerbung für die europäische Idee ist das sicher nicht.  

 

Deutschland reiht sich mit seinen fortlaufenden, konsequent intransparent formulierten und dadurch willkürlich wirkenden Maßregelungen in die Reihe der Länder ein, die freie Meinungsäußerung bekämpfen. In Russland tritt übermorgen ein Anti-Terror-Gesetzespaket in Kraft,  durch das „eine hohe Geldstrafe oder gar Freiheitsentzug“ riskiere, wer in sozialen Netzwerken etwa den falschen „Gefällt mir“-Button drückt, so die DW. In China laufe derweil eine Kampagne der Behörde zur Internetkontrolle, um „die Verbreitung von Falschmeldungen und Gerüchten zu stoppen“. Die Wirtschaftswoche bietet eine Übersicht über die Internetkontrolle in diversen Ländern. Über die Maßnahmen der EU und der Nato gegen „hybride Bedrohungen“ klärt Netzpolitik auf. Die Kritik am weltweiten Großreinemachen, das sich allem Eindruck nach zuvorderst auf politisch kritische Stimmen bezieht, darf nicht dazu verführen, eigene menschenrechtliche Ansprüche über Bord zu werfen. Die Selbstbeschränkung beim Gebrauch der Meinungsfreiheit wurde eingeführt, um einem Abgleiten in zwischenmenschliche Barbarei vorzubeugen. Aus diesem Grund kann man auch das „Gedicht“ von Jan Böhmermann verurteilen, ohne damit die Politik von Erdogan gutzuheißen.   


14.7.2016

Hatespeaker gegen Hatespeech

 

Nach der bundesweiten Razzia von Polizeibehörden gegen die nach wie vor interpretationsoffen gehaltene „Hatespeech“ im Internet schwingen sich jetzt Journalisten im Namen der Moral zu Verteidigern dieser erzieherischen Maßnahme auf, die bisher keinerlei Zurückhaltung kannten, wenn es um maßlose Diffamierung von politisch kritischen Stimmen oder inzwischen zurück-getretenen Politikern ging. Plötzlich erinnert man sich etwa bei Spiegel Online an die Ergänzung zu Artikel 5 Grundgesetz und dass es keinen „Freibrief zur ungehinderten Diffamierung“ gibt: Absatz 2 zur Meinungsfreiheit ergänzt: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“ In Absatz 3 heißt es: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“

 

Dieselbe Journalistenhorde, die mit stolz geschwellter Brust das Ziegenfickergedicht von Jan Böhmermann als mutigen Ausfluss der Meinungsfreiheit feierte, hängt nun am Rockzipfel des Bundesjustizministers, der beharrlich ausschließlich von rechts kommende Verbalattacken verfolgen lässt, während linksextreme Kreise das Internet völlig ungehindert mit „alle Polizisten sind Schweine“ zumüllen und zum Umsturz der staatlichen Ordnung aufrufen dürfen. Indessen hält das ZDF „Jan Böhmermann die Treue“: Er wird „weiter fest im Sattel des Mainzer Senders sitzen“ und es wird überlegt, in welcher Form man den „außerordentlich begabten Moderator und Comedian“ auch im Hauptprogramm präsentieren könnte. (tv.heute.at) Merke: Hatespeech in regierungsnahen Kreisen wird befördert, Hatespeech in bürgerlichen Kreisen wird verfolgt.  


29.6.2016

Zur „Arbeit“ der EU

 

Seit Juli 2015 gibt es bei der EU-Polizeiagentur Europol die „Meldestelle für Internetinhalte“ (EU IRU). Sie dient der Entfernung von Internetinhalten rund um Radikalisierung und Anwerbung von Terroristen auf Plattformen wie Facebook, Twitter oder Youtube. Dem nicht genug, startete die Europäische Kommission der Unübersichtlichkeit halber im Dezember 2015 mit diversen Anbietern das „EU-Internet Forum“. In den EU-Mitgliedstaaten wiederum wurden bislang 25 nationale Kontaktstellen für die EU IRU eingerichtet. Unter Einbeziehung von Europol arbeitet die Internetindustrie jetzt an einer gemeinsamen Meldeplattform; um zu verhindern, dass entfernte Inhalte an anderer Stelle hochgeladen werden. Außerdem soll das EU-Internet Forum bei der Entwicklung eines „Gegendiskurses“ helfen und die EU-Kommission will „Aktionen zur Förderung wirksamer alternativer Argumentationslinien“ unterstützen und „Lösungen für das Problem der Hassreden im Internet“ finden. In Bezug auf das entsprechende Ratsdokument ist die Bundesregierung der Auffassung, „dass die Europäische Kommission nach ‚Lösungen für das Problem der Hassreden im Internet‘ suchen wird, nicht aber, dass die EU IRU dies tun soll.“ Allein für die „Initiativen“ neue gemeinsame Meldeplattform und Gegendiskurs werden zehn Millionen Euro aus dem Fonds für Innere Sicherheit bereitgestellt.  

 

Quelle: Antwort der Bundesregierung auf Anfrage der Linken – Drucksache 18/8845. 

 

Nachtrag vom 7.10.: Zu aktuellen Aufgaben der EU IRU und deren Kooperation mit dem Europäischen Zentrum zur Bekämpfung der Migrantenschleusung (EMSC) siehe hier.


12.4.2016

Frage auf Abgeordnetenwatch zu Hatespeech

an den Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesjustizministerium Ulrich Kelber

 

Sehr geehrter Herr Kelber, die Politik investierte bereits einiges an Energie in den Kampf gegen "Hatespeech", häufig ohne justiziable und nicht strafrechtsrelevante Kommentare zu unterscheiden. Gibt es hierfür eine übergeordnete Definition? Falls es keine allgemein gültige Definition für Hatespeech gibt: entscheiden die Beteiligten willkürlich darüber, ob ein Kommentar der Hatespeech zuzuordnen ist? Meine weiteren Fragen beziehen sich auf die Bundestagsdrucksache 18/7941: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Grünen: "Maßnahmen von Bundesregierung und Unternehmen gegen Hassreden …": Auf Frage 12 antwortet die Bundesregierung, zum Kampf gegen Hatespeech gehöre "die Förderung von Stellen, die ‚Hate Speech‘ systematisch recherchieren und Betreiber zur Löschung auffordern". Die Antwort auf die Fragen 33 bis 35, wie viele der von Firmen wie Facebook eingestellten Mitarbeiter Juristen sind und ob sie Schulungen erhalten: "Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor." Warum fördert die Bundesregierung Stellen, ohne Kenntnis, ob Qualifikationen vorhanden sind? Braucht es keine Qualifikation, um Hatespeech zu identifizieren? In der Antwort zu den Fragen 44 bis 46 wird laut eingestellter Liste auch das "Bündnis der Islamischen Gemeinden in Norddeutschland e. V." (BIG) mit 130.000 Euro gefördert. Und: "Der Deutsche Presserat wird zweckgebunden für die Tätigkeit des Beschwerdeausschusses mit einem Betrag in Höhe von derzeit 223 000 Euro jährlich gefördert." Das BIG ist eng vernetzt mit der Gemeinschaft Milli Görüs, deren Tradition laut Manfred Murck vom Hamburger Verfassungsschutz (im Abendblatt vom 16.4.2014) "nach wie vor nicht mit den Grundprinzipien unserer Verfassung vereinbar" ist. Warum werden solche Gemeinschaften staatlicherseits gefördert bzw. welche Beiträge liefern sie gegen Hatespeech? Zum Presserat: Wie verträgt sich aus Ihrer Sicht der staatliche Geldsegen mit dem Grundsatz: Ein guter Journalist macht sich keine Sache zu eigen? 

12.4.2016 

Die zumindest flotte Antwort von Ulrich W. Kelber steht hier im Netz.  


22.3.2016

Hasskommentar: In elitären Kreisen nennt sich das Essay

 

Während Hasskommentare im Internet mit bundesjustizministerieller Absegnung eifrig aufgespürt und gelöscht, bei Bedarf fortan auch strafrechtlich geahndet werden, wird eben jenen beim Berliner Tagesspiegel –  verziert mit dem Genre „Essay“ – in epischer Breite Raum geboten. Never forget: All are equal, but some are more equal than others. 


29.2.2016

Schlechte Inhalte sind schlecht

 

„In eigener Sache: DWN setzen Postings auf Facebook aus.“ Das ist mal eine konsequente Ansage: Die Deutschen Wirtschafts-Nachrichten werden „sich nicht der inhaltlichen Kontrolle durch Facebook unterwerfen“. Aus ethischen Erwägungen und redaktionellen Grundsätzen für eine unabhängige und kritische Berichterstattung komme das Publizieren „auf einer Website, die in Absprache mit der Bundesregierung eine Kontrolle unserer Artikel vornimmt“,  nicht in Frage. Chapeau! Und was ist der Hintergrund? Aufgrund des Drängens von EU-Parlamentspräsident Schulz, Kanzlerin Merkel und Bundesjustizminister Maas prüft Facebook zusammen mit rund 200 Kontrolleuren der Bertelsmanntochter Arvato  Postinhalte auf Facebookseiten und löscht diese, sofern es sich um „Hatespeech“ handelt. „Das Unternehmen hat keine Kriterien für die Überprüfung angegeben“, schreiben die DWN. Eine vage Definition gab Marc Zuckerberg aber schon: Seine Mitarbeiter stellten sicher, dass „schlechte Inhalte“ nicht auf Facebook stünden. Ein schlechter Inhalt ist ja nun auch die Meldung, dass es morgen stürmt und regnet. Um mit den Worten von Rudolf von Ihering (19. Jh.) zu sprechen: „Wir sind zwar die Willkür des Individuums losgeworden, haben aber die des Gemeingefühls dafür eingetauscht: hier so, dort anders, abermals der Zufall und das reine Belieben, die ihr Spiel treiben!“

 

Aktualisierung bei den DWN: Facebook "zahlt nur minimale Steuern in Deutschland...und kooperiert daher mit der Bundesregierung – die ihre Hände wiederum in Unschuld waschen kann, weil ja nicht sie selbst zensuriert, sondern ein Bertelsmann-Unternehmen im Auftrag von Facebook. Das Bertelsmann-Unternehmen ist zur strengsten Verschwiegenheit verpflichtet. Somit kann die Bundesregierung sicher sein, dass Facebook nach ihren Vorgaben löscht, was der Bundesregierung als „schlechte Inhalte“ erscheint."


18.1.2016

Bundesjustizministerium versus Menschenrechte

 

Der Bundesjustizminister ist fleißig in Bezug auf seine Initiative, von ihm nicht öffentlich definierte "Hasskommentare" in Facebook und anderen Social Media-Auftritten löschen zu lassen. Er konnte jetzt laut neopresse.com mehr als 100 geschulte Kontrolleure der Bertelsmanntochter Arvato für die praktische Umsetzung des Diskriminierungsprojekts gewinnen. Sie werden sicherlich ganz in seinem Sinne agieren. Denn "Geld findet überall höfliche Leute", wie der Schriftsteller Peter Rosegger seinerzeit eindeutig feststellte. Dagegen verblasst dann selbst die aktualisierte Fassung des General Comments zur Meinungsfreiheit: "Der Ausschuss hält fest, dass die Staaten die Freiheit und redaktionelle Unabhängigkeit der 'Social Media' fördern...als Sieg der Rechtsstaatlichkeit über drohende staatliche Willkür kann die explizite Verankerung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der Bestimmung über die Einschränkung der Meinungsfreiheit (Ziffer 22) bewertet werden." Ohne Transparenz lässt sich die Verhältnismäßigkeit nicht überprüfen;  ergo ist es Willkür.

 

General Comment = Allgemeine Bemerkung zur Interpretation eines Menschenrechtsartikels